Korrektes Gedenken

Sonnabend, 9. Juli 2005

Letzten Dienstag wurde die private Mauergedenkstätte am Checkpoint Charlie geräumt (mehr hier und hier). Nun war die Gedenkstätte, die die Witwe des Gründers des Hauses am Checkpoint Charlie betrieb, nicht gerade ein Ausdruck von Geschmackssicherheit.

Dennoch ist die Häme, die über Alexandra Hildebrand ausgegossen wurde, nur teilweise nachvollziehbar. Kultursenat und Bundestag haben sich jetzt auf ein Gedenken am Brandenburger Tor geeinigt. Hintergrund dieser Entscheidung ist ausdrücklich, daß Touristen in Berlin nicht das finden, was sie suchen. Nun — es gibt das sehr gut gemachte Dokumentationszentrum in der Bernauer Straße mit Gedenkstätte und Kapelle der Versöhnungsgemeinde. Ich fürchte, daß drei Dinge bei der Entscheidung für das Brandenburger Tor eine Rolle spielten:

  • Das Brandenburger Tor ist das bekannteste Symbol Berlins
  • Touristen sind sowieso schon dort
  • Es gibt einen Ort, an dem Politiker sich im Schatten des Gedenkens profilieren können.

Klar stand auch am Brandenburger Tor Mauer. Nur hat dieser Ort wenig Authentizität. Das Verdichten auf ein Symbol führt dazu, daß einerseits die Vielfalt der verschiedenen Erinnerungen verlorengeht, andererseits macht es die Deutung des Geschehenen leichter beherrschbar.

Ein ähnliches Symbol ist das Mahnmal für die ermordeten Juden in Europa. Es gibt jetzt ein offizielles deutsches Denkmal, hinter dem alle anderen Erinnerungsstätten erst einmal zurücktreten.

Detail aus dem Wachturm Schlesischer Busch
Letzte Überprüfung — Detail aus dem Wachturm Schlesischer Busch

Ähnlich wie beim Holocaust-Mahnmal scheint beim Mauergedenken ein Bedürfnis zu bestehen, Erinnerungen in ein Denkmal zu gießen, sie quasi einzufrieren.
Das starke Bedürfnis zeigt sich sowohl in den übertrieben emotionalen Reaktionen der Opferverbände und A. Hildebrands, als auch im Wunsch der politischen Klasse, korrektes Gedenken selbst schaffen zu wollen. Dieses Bedürfnis kam auch in den grotesk übertriebenen Straßenumbenennungen der neunziger Jahre zum Ausdruck. Als es dem Verkehrssenat mit der Umbenennung der Dimitroffstraße nicht schnell genug ging, wurde der U-Bahnhof, der sich am Ende der Dimitroffstraße befand, schonmal nach der eher unbedeutenden Verlängerung benannt. Die Dimitroffstraße heißt jetzt Danziger, der U-Bahnhof immer noch Eberswalder. Fast noch absurder sind die Pläne zum Neubau des Schlosses.

Das Holocaust-Mahnmal wird zwar hochgelobt, ist aber sehr beliebig. Als wir noch religiös waren, wurde in Kirchen, Synagogen und Moscheen gebetet, getrauert und vergeben. Dieser gemeinsame Ort ist verlorengegangen. Dabei wäre bei solch schrecklichen Verbrechen ein gemeinsamer Ort der Trauer erlösend. Das Mahnmal will einerseits die Form des Gedenkens nicht vorgeben, bleibt dadurch aber andererseits nebulös. Vielleicht ist das aber auch ein Ausdruck der Gesellschaft, die das Denkmal bauen ließ. Es gibt keinen gemeinsamen Umgang mit der Geschichte.

Anders: Dokumentationen an historischen Stellen, die den Besucher zur Auseinandersetzung einladen. Das Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen, in dem man von ehemaligen Häftlingen geführt wird. Ehemalige Konzentrationslager, die das Fingerspitzengefühl beweisen müssen, sowohl die Naziverbrechen als auch die teilweise Weiternutzung durch die Kommunisten angemessen zu dokumentieren. Der Bendlerblock. Die beiden letzten Mauerwachtürme in Berlin (von einstmals über 300) am Schlesischen Busch und in der Kieler Straße.

Es wäre schade, wenn Besuchern durch eine zentrale Gedenkmeile suggeriert würde, Berliner Geschichte hätte sich nur in Mitte/Tiergarten abgespielt.

Adressen und Öffnungszeiten

  • Mauerdokumentationszentrum Bernauer Straße:
    Bernauer Str. 111, 13355 Berlin, geöffnet Mi-So 10-17 Uhr
  • Grenzwachturm Schlesischer Busch:
    Puschkinallee, Schlesischer Busch — Kunstausstellung und Dauerausstellung zur Geschichte des Ortes, geöffnet Do-So 14-19 Uhr (Mai–Oktober)

    Auf Anfrage unter LUe@kunstfabrik.org Führung durch den Wachturm und durch die Kunstfabrik am Flutgraben, einem Industriegebäude aus den zwanziger Jahren, das, direkt am Grenzfluß gelegen und unsaniert, noch viele Spuren zeigt. Dieses Ensemble kann übrigens von Stralau in einem schönen Spaziergang am Wasser erreicht werden.

  • Gedenkstätte Günter Litfin:
    Kieler Str. 2, 10115 Berlin, geöffnet Mo-Do 12-18, So 14-18
  • Denkmal für die ermordeten Juden Europas:
    Cora-Berliner-Str. 1, immer geöffnet, Ort der Information tgl. 10-20 Uhr
  • U-Bhf. Eberswalder Str.:
    Danziger Straße Ecke Schönhauser Allee, geöffnet von ca. 4-1 Uhr, am Wochenende durchgängig
  • Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen:
    Genslerstr. 66, 13055 Berlin, Führungen Mo-Fr 11 Uhr und 13 Uhr, Di und Do zusätzlich 15 Uhr, Sonnabend und Sonntag stündlich zwischen 10 und 16 Uhr
  • Gedenkstätte Deutscher Widerstand im Bendlerblock:
    Stauffenbergstr. 13-14, 10785 Berlin, geöffnet Mo-Mi, Fr 9-18 Uhr, Do 9-20 Uhr, Sbd, So, an Feiertagen 10-18 Uhr

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