Tatort: Freischwimmer (MDR)

Sonntag, 6. November 2005

Vorige Woche war ich verhindert. Kai Wagner hat freundlicherweise die Tatortrezension übernommen. Vielen Dank!

„Hot town, summer in the city (…) Doesn’t seem to be a shadow in the city. All around people looking half dead …“

Leider sieht der 23-jährige Leo Stein (Christian Ehms) nicht nur tot aus — er ist es auch. Leo war Hauptzeuge in einem Verfahren wg. Körperverletzung gegen den 17-jährigen Ralf Salchow (Florian Bartholomäi). Hauptkommissar Ehrlicher (Peter Sodann) und Hauptkommissar Kain (Bernd Michael Lade) glauben allerdings nicht an das naheliegende Motiv und stehen bald vor einem Rätsel, denn keiner der zahlreichen Zeugen will etwas gesehen haben.

Ehrlicher und Kain besuchen die trauernde Familie Stein und finden rasch heraus, daß nicht alles Gold ist, was auf den Wahlplakaten glänzt. Unter der Oberfläche scheinen sich dunkle Geheimnisse zu verbergen – Motive für einen Mord? Leos Schwester Alexandra spritzte ihrem zuckerkranken Bruder gelegentlich Insulin, weil Sie mit seiner Betreuung überfordert war und ihn ruhig stellen wollte, so auch kurz vor seinem Tod. Auch die Aussagen von Martin Steins Vorgesetzten werfen ein ganz anderes Licht auf die Familie des Toten: Alexandras Vater ist beurlaubt worden, weil er mit seinen Schülern nicht mehr zurechtkam. Zudem steht die Ehe der Steins kurz vor der Scheidung und das Haus ist mit einer Hypothek belastet. Leos Mutter, die Stadträtin Bettina Stein, hat derweil nur ihre Karriere im Kopf und drängt auf eine schnelle Aufklärung, weil für Sie der Fall klar auf der Hand liegt.

In einem Netz von Lügen und Widersprüchen finden die Ermittler immer neue Spuren aber keinen Ausweg — und auch der Zuschauer fischt weiterhin im Trüben. Denn auch außerhalb der Familie Stein gibt es Verdächtige. Da ist nicht nur Ralf Salchow, sondern auch Alexandras neuer Freund Mike Baader, ebenfalls Mitglied von Salchows Clique. Verdächtig ist auch Mikes Vater Lutz. Der Ex-Leistungsschwimmer, 1988 wegen der Beziehung zu einer „Klassenfeindin“ aus dem Kader für die Olympiade in Seoul geworfen, arbeitet als Aushilfe im Bad und will ausgerechnet zum Tatzeitpunkt die Umkleiden gesäubert haben.

Freigeschwommen – wie der Titel suggeriert – haben sich die Hauptfiguren dieses gelungenen Films jedoch nicht, die Wasser der Vergangenheit sind viel zu tief. Der am Asperger-Syndrom leidende Ben (Jonas Jägermeyr), ein Freund Leos, bringt die beiden Kommissare schließlich auf die richtige Spur, und als bekannt wird, dass auch Bettina Stein Mitglied im Olympiateam von Seoul 1988 war, ist der Fall klar …

Die Geschichte von Mario Giordano und Andreas Schlüter (Regie: Helmut Metzger) überzeugt mit vielen Wendungen und routiniert aufspielenden Protagonisten. Und auch der Humor kommt nicht zu kurz. Während sich der Zuschauer über Kain lustig macht, der ständig seinem geklauten Handy hinterherrennt, hat sich Ehrlicher eine gute Portion schwarzen Humors bewahrt: Um der „sommerlichen Hitze“ zu entfliehen, schlägt er Kain vor, die kühlen Hallen der Gerichtsmedizin aufzusuchen.

Gedreht wurde der 612. Tatort im traditionsreichen Schreberbad, Leipzigs ältestem Schwimmbad (erbaut 1866) — und das unter extremen Bedingungen: Bei den Aufnahmen im Juni kletterte die Quecksilbersäule nicht über 13˚ Celsius. Die Folge: Mangels Badegästen mussten kälteresistente Komparsen angeheuert werden.

Ach ja, btw, Radio Jump sucks!

(Erstsendung: 30. Oktober 2005)

(© Kai Wagner)

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