Ganz Gallien?

Dienstag, 21. Februar 2006

Ende Dezember fand im französischen Parlament eine Debatte zum Thema Urheberrechte und P2P statt. Anstatt den Gesetzesentwurf von Kulturministerium und Industrie, der starke Einschränkungen zur Folge gehabt hätte, einfach durchzuwinken, zeigten die wenigen anwesenden Abgeordneten gesunden Menschenverstand. Eine gute Zusammenfassung der unglaublichen Vorgänge hat Alexander Noe geschrieben:

Vielleicht sollte ich dir mal erklären, was sich am 20. – 22. Dezember (eigentlich 23. Dezember ca. 0:30) abgespielt hat. Dann wirst Du sehen, daß diese Industrie alles schlechte der Welt verdient:

Sie wollten ein Überwachungssystem einrichtigen (das lag als Gesetzesentwurf vor, ich glaube §7 dieses Gesetzes), um folgendes zu erreichen: Es sollte überwacht werden, wer illegalerweise einen Open-Source-Player wie VLC benutzt, um eine DVD unter Linux abzuspielen, um auch tatsächlich durchsetzen zu können, daß auf das Abspielen von DVDs unter Linux 3 Jahre haft stehen. ISPs sollten gezwungen werden, jede E-Mail zu prüfen, und die zu löschen, die möglicherweise geschütztes Material enthält (also z.B. eine aus Spaß in .mp3 umbenannte Textdatei). Die Frage, wie man urheberrechtlich geschütztes Material erkennen sollte bzw. Material, zu dessen Verbreitung der Absender keine Erlaubnis hat, wollte der Minister nicht beantworten.

Natürlich ist es nicht ganz einfach, so etwas durchzusetzen, also muß man das vorher planen. Dazu wurde:

  • der Minister davon überzeugt, daß das Gesetz Dringlichkeit haben muß (sehr leicht, da de Vabres unglaublich dumm ist)
  • Änderungsanträge einreichen lassen, mit dem Ziel, daß die Gegenseite den Überblick verliert (Antrag Nr. 227, 7 Seiten lang, kam 10 Stunden vor Beginn der Debatte, und die Abgeordneten der Nichtregierungsparteien erfuhren von der Existenz des Antrags erst im Radio, erhielten aber weder selbst eine Mitteilung noch eine schriftliche Kopie des Antrages)
  • verlangt, daß die Debatte am 20. bis 22. oder 23. Dezember stattfindet. Dadurch waren weniger als 60 Abgeordnete anwesend (von 533), von denen man also nur 30 kaufen muß.
  • den Abgeordneten wurden direkt vor der Debatte Musikdownloadgutscheine überreicht

[]

Da zeigt sich, wozu ein Parlament gut sein kann. In Deutschland sieht das leider vergleichsweise traurig aus, wie Telepolis anhand der Debatte um die Vorratsdatenspeicherung erläutert:

Nichtsdestotrotz verfolgen Otto Schily und Brigitte Zypries weiterhin unbeirrt ihren Kurs Richtung VDS. Da auf nationaler Ebene keine “mandatory data retention” festgelegt worden war, war eine Änderung dieses Zustandes also notwendig. Auch führte man schon prophylaktisch die ersten Gespräche mit den Telekommunikationsunternehmen und impfte die EU-Abgeordneten entsprechend.

Und im Dezember 2005 war es dann soweit: das EU-Parlament gab seine Zustimmung zu einer Maßnahme, die Ende der 90er Jahre in der Enfopol-Arbeitsgruppe die ersten entscheidenden Fortschritte verbuchen konnte. Diese Tatsache entkräftet auch das Argument, daß eine Vorratsdatenspeicherung erst nach den Anschlägen des 11. September 2001 als Mittel gegen den internationalen Terrorismus in Erwägung gezogen wurde.

[…]

Hier wird Rückgratlosigkeit durch eine kokett zur Schau getragene Machtlosigkeit übertüncht. So wie das EU-Parlament hätte auch ein Jörg Tauss, genauso wie jeder andere an der VDS zweifelnde Abgeordnete, die Möglichkeit gehabt, eindeutig Stellung zu beziehen. Kauder hat dies getan – nicht aus den Gründen, die die Datenschützer und Bürgerrechtler vertreten – und zeigte, daß es geht. Daß es anderen nicht möglich war, auch wenn sie gegen die VDS waren, dürfte wenig schwer zu interpretieren sein.

Die VDS ist in Deutschland abgesegnet und hierbei haben sowohl der EU-Rat, das EU-Parlament als auch Tauss’ Parteimitglieder Otto Schily und Brigitte Zypriess und auch Jörg Tauss eine Rolle gespielt; die Unterschiede liegen lediglich in der Passivität oder Aktivität des Einzelnen. Wirklich machtlos aber war niemand, auch wenn es momentan chic erscheint.

One Response to “Ganz Gallien?”

  1. […] Stralau-Blog — Ganz Gallien? (tags: copyright urheberrecht) […]

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