Zeitunglesen (iii)

Montag, 26. Juni 2006

Man soll nicht nur loben, oder: Christian Kortmann, heul doch. Kortmann bejammert soziale Ungerechtigkeit zwischen den einen Akademikern, die in die Toskana fahren und den anderen, die zu hause bleiben müssen.

Das Unangenehme am Hype um das sog. Prekariat ist, daß man das Gefühl hat, hier versuchten Schreiber, ausschließlich aus ihrer (sicher mißlichen) Lebenslage zu extrapolieren. Und während persönliche Texte, wie Horst Freunds Hartz-IV-Dokumentation gerade durch ihren subjektiven Blick auf gesellschaftliche Themen bestechen, ist der durchsichtige Versuch, nur aus dem eigenen kleinen Leben ein soziales Phänomen zu extrahieren, ein bißchen dünne.

Vor allem aber wird dabei meist ausgeblendet, daß (und hier will ich nicht die eine benachteiligte Gruppe gegen die andere ausspielen) von (finanziell schwierigen) Lebenslagen die Rede ist, wie sie Nichtakademiker, vor allem wenn alleinerziehend oder langzeitarbeitslos, wesentlich länger, häufiger und härter treffen.

[Bin immer noch erstaunt, wie tief in der BRD der Graben zwischen Leuten mit und ohne Abitur ist.]

Auch das von Kortmann beschriebene, durch Einkommensunterschiede hervorgerufene Zerbrechen von Freundeskreisen kann man wohl kaum in der Zwangsläufigkeit feststellen, die der Artikel suggeriert. Man fragt sich vielmehr, nach welchen Lebenszielen der Autor strebt.

Vollkommen lächerlich macht er sich, wenn er über Milieus schreibt, zu denen er anscheinend tatsächlich keinen Zugang hat:

So ist einem jungen Informatiker die Lage eines jungen Geisteswissenschaftlers kaum zu vermitteln, da er sich auf einem völlig anderen Lohnniveau bewegt, und die besagten 1.000 Euro, um die viele Berufsanfänger heute kämpfen, um in einer Großstadt zu überleben, für ihn ungefähr der Betrag ist, den er monatlich für Extravaganzen übrig hat.

[Die Zahlen sollte man übrinx mal auf konkrete Städte beziehen: 1000 € in Stuttgart sind etwas ganz anderes als 1000 € in Berlin]

[Und wem’s schlecht geht, der soll laut rufen, klar. Wenn der Ruf aber als Zeitungsartikel daherkommt, will ich als Leser nicht für dumm verkauft werden.]

One Response to “Zeitunglesen (iii)”

  1. Haha, n Tausender übrig für Extravaganzen – der Mann hat sie nicht mehr alle…
    [hoffe aber natürlich, daß es sich wirklich irgendwann ergibt;-)]

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