Tatort: Nachtgeflüster (WDR)

Freitag, 12. Oktober 2007

Sonntags nach der Tagesschau liest Heiko Werning in der Reformbühne. Wiewohl ich gern zu Lesungen gehe und gerade die Reformbühnen-Autoren sehr schätze, war ich leider noch nie dort: sonntags kommen die Leute nämlich nach Stralau, um Tatort zu sehen.

Da aber auch das nicht immer klappt, weil ich hin und wieder zur Rumtreiberei neige, bin ich dann sehr froh, wenn sich jemand den Tatort ansieht: Danke, Heiko! Nüscht muß man mehr selbermachen! Spoilerwarnung: Auflösung wird verraten.

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Wer Köln kennt, den wundert es nicht, daß dies nun schon der zweite Psychopathen-Tatort in diesem Jahr von dort ist. Da ist er, der Lokalkolorit-Anspruch des Tatorts.

Obwohl zunächst gar nichts danach aussieht. Ein erschossener Streifenpolizist im Auto, die Spuren führen ins Kleinkriminellenmilieu. Daß es damit aber nicht getan sein würde, ist von Beginn an klar, dafür ist der Film ganz offensichtlich zu ambitioniert. Was man, wenn die Handlung das nicht direkt erahnen läßt, am besten erst mal filmisch klarmacht: Nach einigen atmosphärischen, farbintensiven Nachtbildern der Stadt (schließlich heißt der Streifen „Nachtgeflüster“), geht die Sonne über dem Auto mit dem toten Polizisten auf, und der Film wird so gelb, daß man nach einigen Minuten beunruhigt kurz mal umschaltet, um sicherzugehen, daß nichts mit dem Fernseher ist. Mit dem ist aber alles in Ordnung, also wissen wir: Filmkunst! Und natürlich auch, daß es sich nicht einfach um Gezänk unter Zockern und korrupten Kiezpolizisten handeln kann. Später wird der Film mal grün, mal blau, und bald ist man mehr davon gefangen, dahinter so etwas wie Sinn zu entdecken, als den Täter zu erraten.

Ach so, das „Nachtgeflüster“. Angelehnt an den WDR-Intimtelefontalker Domian haucht eine Melissa nächtlichen Psychowracks Verständnis durch den Äther, und bei genau dieser Dame meldet sich auch jemand mit Maschinenstimme, der behauptet, der Polizistenmörder zu sein. Und da die Fahnder ein Zettelchen mit der Nummer von Melissa beim Toten gefunden haben, nehmen sie die Sache einigermaßen ernst. Es beginnt das übliche Telefonschnipseljagdspiel mit Hinweisen aus dem Schließfach und orakelhaften Andeutungen und Fangschaltungen, die nie schnell genug den Aufenthaltsort ausspucken. Und so treiben sich Ballauf und Schenk zunehmend im Radiosender herum, und ziemlich bald ist dem geübten Tatort-Gucker klar, daß der dortige Praktikant mindestens mit dem Anrufer irgendwas zu tun haben muß, weil er a) nun einmal Praktikant ist, b) dazu auffallend devot und c) auch noch ständig was mit Tonaufnahmen macht. Daß der Junge sich letztlich aber als, siehe oben, waschechter Psychopath entpuppt, der in unerfüllter Liebe der Radiotante gegenüber dieser ewige Zeiten nachgepirscht ist und nun sogar den Praktikumsjob angenommen hat (und im übrigen selbstverständlich bei seiner Mama wohnt) und also sie am Ende auch gerne mit in den Tod nehmen will, kommt dann doch etwas überraschend, ebenso wie die Tatsache, daß das Opfer gar keines ist, jedenfalls nicht das eines Mörders, sondern sich selbst die Kugel gab. Was aber von der smarten Chefin als Mord angetäuscht wurde, um dann eben via Bekenner-Anruf, für die wiederum der Praktikant herhalten muß, für mehr Quote zu sorgen. Weshalb Melissa natürlich auch nicht beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk talken kann, sondern bei den bösen Privaten, denn beim WDR selbst ginge es natürlich niemals um Quote, erst recht nicht um mit fragwürdigen Mitteln erzielte, das ist nur was für den Unterschichtenrundfunk.

Ach so, und 10-jähriges Dienstjubiläum hat der Herr Ballauf auch noch. In echt ebenso wie im Tatort, und das will gefeiert werden. Zumindest von den anderen im Präsidium, der Max hat’s ja nicht so mit diesem Spießerkram. Also wird den ganzen Film über geheimnisvoll das Fest vorbereitet, das schließlich mit beachtlichem Tamtam am Ende als Überraschungsparty steigt. Und Freddy hat doch keine Affäre, sondern die blonden Haare auf seinem Jackett stammten von Sängerin Lizzy, der ersten Assistentin von Ballauf und Schenk, die dann ins Showbusiness wechselte und nun einen netten kleinen Gastauftritt gibt.
Insgesamt nicht gerade die überzeugendste Folge aus Köln, obschon der Vergleich auch etwas ungerecht ist, denn überdurchschnittlich oft liefert der WDR ja besonders gute Beiträge. Und im Vergleich mit den meisten Fällen von Blum, Ehrlicher, Odenthal etc. muß „Nachtgeflüster“ sich nicht verstecken. Die Domian-Anleihe hat was, das Team überzeugt wie immer durch sehr gutes, harmonisches Spiel, und insgesamt wird man nicht schlecht unterhalten. Getrübt wird das alles aber durch den doch etwas knarzigen Plot, die exaltierte filmische Machart und einige inhaltliche Schwächen – unnötig stark wird z. B. Kommissar Zufall involviert, wenn die Kommissare versehentlich denselben Pfeiler im Parkhaus rammen, der auch das Auto des Toten verschandelt hat, auch ist die ganze Kleinkriminellennebenhandlung eher über und wirkt als etwas sinnloses Zugeständnis an die Mitraterei, und letztlich wird für all das soviel Zeit vertändelt, daß Motivation und Charakterisierung des Psychos doch arg, nun ja: unausgelotet bleiben. Da haben wir schon weit Besseres gesehen in diesem Jahr, aber ein Flop ist „Nachtgeflüster“ auch nicht.

[Autor: Heiko Werning, Erstsendung: 7. Oktober 2007]

2 Responses to “Tatort: Nachtgeflüster (WDR)”

  1. […] Tatort: Nachtgeflüster Auf Einladung des ohnehin lesenswerten Stralau-Blogs hatte ich die Ehre, mich an der dortigen schönen Reihe sonntäglicher Tatort- resp. Polizeiruf-Kritiken beteiligen zu dürfen. Ich hatte Glück, weil ich einen Kölner Tatort erwischt habe, und dann doch eher Pech, weil dieser eher unspektakulär war. Die ganze Kritik (aber Achtung: es wird alles aufgelöst, was irgendwie aufzulösen war) kann man hier lesen. […]

  2. […] ist ja durchaus gewollt. Nicht nachvollziehen kann ich dagegen Heiko Wernings (der hier auch schon über Tatorte geschrieben hat) Warnung vor der Esoterik, der dieser Film das Wort reden würde. Die […]

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