Man sieht nur mit den Augen gut

Montag, 5. November 2007

Nachdem der wissenschaftliche Marxismus in der DDR Staatsreligion geworden war, hatten es andere Götter schwer neben ihm. Einiges wurde unternommen, um die Leugnung alles Metaphysischen auch in der Alltagskultur zu etablieren. Der schon einmal am Ende des Dritten Reiches unternommene Versuch der Etablierung von Weihnachtsliedern ohne Gott wurde wiederholt (die Jahrersendflügelfigur wurde aber nicht ernsthaft verwendet). Ältere Werke wurden in den neuen Kanon aufgenommen, nachdem sie von religiösen Bezügen gereinigt worden waren. In der Schule wurde selbst Bach ohne Gott gelehrt (Kaffeekantate, Wohltemperiertes Klavier, Brandenburgische Konzerte).

Ein hübsches Beispiel für diese Borniertheit (so etwas findet sich wohl in allen zensierten Gesellschaften) war die Kürzung von Matthias Claudius’ „Der Mond ist aufgegangen“ in nichtkirchlichen Liederbüchern um alle Strophen, in denen explizit von Gott die Rede ist. Als neue letzte Strophe blieb dann allerdings ausgerechnet die folgende übrig:

Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.

[Dank an die kleine Schwester fürs Auffrischen der Erinnerung.]

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