Everything counts in large amounts

Sonnabend, 24. November 2007

Ich kokettiere manchmal mit meinem Unverstand, Ökonomie betreffend. Dabei sollte ich demütig sein und einfach ein gutes Buch lesen.* Nun ist bekannt, daß der Sozialismus sich nicht gerade durch ökonomische Weitsicht auszeichnete. Dabei ist es durchaus interessant, ob es theoretisch hätte besser laufen können, oder ob nur das konkrete Personal schlecht besetzt war. Jedenfalls hatten sich aber spätestens Anfang der Achtziger Schlamperei und Schlendrian in allen Schichten so sehr durchgesetzt, daß nicht mehr viel zu holen war.

Wie stark der ökonomische Unverstand allerdings bis in höchste Kreise verbreitet gewesen ist, erstaunt dann doch.

[Ich muß ein bißchen ausholen.] Beim Berliner Landesbeauftragten für die Stasiunterlagen ist im vorigen Jahr ein hübsches Büchlein erschienen: Jens Schöne: Stabilität und Niedergang. Ost-Berlin im Jahr 1987. Aus den Stasiunterlagen wird anhand wichtiger Ereignisse des Jahres ein Bild der DDR-Gesellschaft und ihrer Widersprüche in den späten Achtzigern gezeichnet. Die Ereignisse sind: Die nervigen 750-Jahr-Feiern (mir war gar nicht klar, wie wichtig dabei die Konkurrenz zu und gleichzeitig die Abstimmung mit West-Berlin war); Honeckers Bonn-Besuch und die vorbereitenden Maßnahmen (Generalamnestie etc.); die Konzerte auf West-Berliner Gelände am Reichstag und die DDR-Jugend an der Mauer; der Skinhead-Überfall auf das Konzert von Die Firma und Element of Crime in der Zionskirche; die Stürmung der Umweltbibliothek in der Zionskirche durch die Stasi und die folgenden Festnahmen und Mahnwachen.

Am Ende des Buches gibt es dann noch ein paar Interviews mit Zeitzeugen – Bärbel Bohley (IFM, Neues Forum), Eberhard Diepgen (West-Berliner Bürgermeister), Jakob Ilja (Element of Crime) und Günter Schabowski (SED, Mitglied des Politbüros).

Und Schabowski sagt zur Ökonomie:

Als Kommunisten ließen wir uns dadurch [Notwendigkeit von Milliardenkrediten aus der BRD] nicht im Geringsten beeindrucken. Insbesondere die Kredite aus dem Westen raubten uns nicht den Schlaf, und das aus zwei Gründen. Wir hatten Anleihen bei kapitalistischen Banken genommen, und damit ohnehin nur zurückgeholt, was die Ausbeuter – zumindest nach der reinen Lehre des Marxismus-Leninismus – aus dem Proletariat herausgepreßt hatten. Moralische Bedenken fielen damit von vornherein aus. Politisch-ökonomisch sahen wir natürlich die Gefahr, durch die Kredite in Abhängigkeit zu geraten. Doch wir begriffen uns als kommende Sieger der Geschichte, letztlich würde sich die Überlegenheit unseres Gesellschaftssystems ohnehin erweisen. Und was sollte so schlecht daran sein, sich bis dahin von den Kapitalisten finanzieren zu lassen? Als eigentliches Problem sollten sich aber die Zinsen herausstellen. Die wurden immer drückender, und wir mußten auf den Westmärkten immer mehr Valuta erwirtschaften, um wenigstens die zahlen zu können. An eine Rückzahlung der Kredite war ohnehin nicht zu denken, aber solange die Zinsen bedient wurden, war das eigentlich kein Problem. Als Bürge stand dahinter ja ein ganzer Staat. Und da mit dessen plötzlichem Verschwinden nicht zu rechnen war, schienen die Anlagen für die Kreditgeber gesichert. Tatsächlich sollte es aber immer schwieriger werden, selbst die finanziellen Mittel für die Zinsen aufzubringen, spätestens Anfang 1989 war klar, daß sich daraus ernsthafte Probleme für uns entwickeln könnten. 1987 jedoch spielte das noch keine Rolle bzw. wurde ignoriert.

[Mir fällt gerade auf, daß ich gar nicht beurteilen kann, ob Politiker heute so viel mehr Ahnung haben (Unverstand, you know) – oder ob ihr Einfluß und damit der mögliche Schaden einfach nur geringer ist.]

*Davon abgesehen, daß ich wohl erstmal nicht dazu komme – kann mir jemand für Weihnachten eine vernünftige, unideologische Einführung in die Nationalökonomie empfehlen?

3 Responses to “Everything counts in large amounts”

  1. Thomas says:

    Hallo,
    also das Fach Nationalökonomie heißt heute Volkswirtschaftslehre, genauer Makroökonomie. Das ist aber selten ideologiefrei: Du kannst grob unterteilen in normative oder empirische/quantitative Ansätze, keynesianisch oder neoklassisch, links oder rechts … in der VWL gibt es meistens kein klares wahr oder falsch, Du kannst mit Modellen und Annahmen, Ein- oder Ausblendung von Einflussfaktoren beliebig hin- und herjonglieren. Und das dann je nach politischer Überzeugung verwerten. Ein Buch aus der Berliner HU, welches ich im Grundstudium gelesen habe ist ganz OK, aber es gibt sicher bessere: Michael Burda, Charles Wyplosz: Macroeconomics. A European Text. Oxford University Press, USA; 2nd edition (March 27, 1997)

    • stralau says:

      Danke für den Hinweis! Ich werde es mir anschauen.

      Daß die einzelnen Lehren meist der einen oder anderen Ideologie entspringen, habe ich mir gedacht. Ich dachte aber, daß es vielleicht einführende Überblickswerke gäbe, in denen die einzelnen Schulen vorgestellt und im größeren Zusammenhang dargestellt werden.

      Daß es im Westen Volkswirtschaftslehre oder Makroökonomie heißt, war mir bewußt – Nationalökonomie habe ich nur verwendet, weil es im Text doch um die DDR ging.

  2. Thomas says:

    Leider war mein Eindruck, dass es nur wenige Ökonomen gibt, die die jeweils andere Seite ernsthaft respektieren und ihr gleichen Raum wie ihrer eigenen Sache in einem Lehrbuch einräumen würden. Vielleicht ist so eine neutrale Betrachtung eher eine Sache für Philosophen als für Ökonomen – die hängen da zu leidenschaftlich drin (es geht schließlich zum gewissen Grade um Gut gegen Böse).

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