Schämt Euch, Charlottenburger!

Sonntag, 9. Dezember 2007
Schöneberger Löwe

Schöneberger Löwe

Stadtspaziergang: vom S-Bahnhof Schöneberg nach Witzleben.

Lebt man im Osten, glaubt man ja, es gäbe kein bürgerliches Berlin. Oder man hält die Bürgertumssimulation in Prenzlauer Berg dafür. Dabei ist dort alles nur dünner Lack, die Konditoreien mit den Torten noch so frisch, daß sie morgen schon wieder wegsein können und das Maurer ist auch tatsächlich schon weg.

Kommt man jedoch nach Charlottenburg, Wilmersdorf, Schöneberg, dann sieht man, was Berlin auch ist, glaubt man sich in einer anderen Welt. Vom S-Bahnhof Schöneberg, dem Bruder des nächsten Kreuzungsbahnhofes Papestraße, der im Südkreuz verschwand, geht es zum Bayerischen Platz, vorbei an immer prächtigeren Häusern. Hier gibt es ein einleuchtendes, auf viele Straßen verteiltes Stadtdenkmal, das an die schleichende Ausgrenzung der hier lebenden Juden in den dreißiger und vierziger Jahren erinnert.

Weiter geht es — Parole Emil — durch die Trautenaustraße zum Nikolsburger Platz. Mein Vater, der das schon geteilte Berlin noch offen erlebte, zeigte mir Kai aus der Kiste und Kästner und erinnerte an den verschwundenen Rest der Stadt.

Durch immer herrschaftlichere Häuser, vorbei am Feinkostladen in der Mommsenstraße, in den wir manchmal vom Büro aus gingen, in das französische Lokal am Savignyplatz, das dann am Abend auch im Tatort auftaucht. Alles so anders, selbst die Neubauten aus den sechziger Jahren.

Stuttgarter Platz, Amtsgericht, Holtzendorfstraße, Lietzensee.

Und nun das: Der Bahnhof Westkreuz heißt schon seit 1932 so, der Falk-Plan verzeichnet jedoch auch noch die alte Bezeichnung „Ausstellung“, genauso wie die alte Siemensbahn als „Strecke außer Betrieb“ samt Bahnhöfen verzeichnet ist. Das hier ist Berlin, nicht Stuttgart.

Jedoch: Von 1961 an war S-Bahn-Boykott („Der S-Bahn-Fahrer zahlt den Stacheldraht“). Und ich kenne Westberliner, die heute noch nicht den Bahnhof kennen, der hinter ihrem Haus liegt. Am Westkreuz: es gibt keinen Eingang vom Nordostquadranten her. Wir fragen einen Einheimischen mit Hund, der uns erklärt, daß es eine Abstimmung gab und die lokale Bevölkerung keinen Zugang zum Viertel von der S-Bahn aus wollte. So muß man bis zum Bahnhof Witzleben (der inzwischen in Messe-Nord umbenannt wurde) laufen.

Schämt Euch, Charlottenburger.

One Response to “Schämt Euch, Charlottenburger!”

  1. dr.no says:

    Interessant, endlich eine Erklärung wieso Westkreuz eigentlich ausschließlich Umsteigebahnhof ist, obwohl östlich Wohnbebauung angrenzt. Danke.

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