Links von Freitag, 11. Januar 2008

Sonnabend, 12. Januar 2008

Gesammelte Links von Freitag, 11. Januar 2008:

15 Responses to “Links von Freitag, 11. Januar 2008”

  1. Christian says:

    Eine sich in lobenswertem Maße um Nüchternheit bemühende und leider doch wieder unvermeidbar, wie für scheinbar alle Theologen, die über Dawkins schreiben, darin scheiternde Auseinandersetzung mit der “God Delusion”.
    Natürlich tritt Dawkins in dem Buch ignorant auf gegenüber den Feinheiten theologischer Debatten und gegenüber jeder Rhetorik der Sinnsuche — weil er sie für unerheblich für die Wahrheitsfrage hält. Ob die Bibel nun die Erbsünde predigt oder was sonst und wie die Menschen das in den nachfolgenden zwei Jahrtausenden mal in die eine oder andere Richtung ausgelegt haben, lässt sich rhetorisch zurechtgebiegt gewiss für einige der Polemik, die Dawkins in einigen Abschnitten des Buches klar und selbstbewusst als Polemik gekennzeichnet übt, missbrauchen und in diesem Missbrauch hinterfragen; den Kern seiner Argumentation berührt es jedoch nicht:

    Diese liegt in der These liegt, dass 1. die kritische wissenschaftliche Methode ein trilliardenfach geeigneteres Mittel zur Wahrheitssuche darstellt als der zirkulär sich selbst bestätigende Glaube, infolge mangels wissenschaftlicher Hinweise auf Gott es keinen plausiblen Grund gibt, die Existenz Gottes für wahr zu halten; dass 2. infolge alle auf der Existenz Gottes und die um diese Existenz gebauten Weltsysteme aufbauenden Thesen in ihrem Wahrheitswert ebenso irrelevant sind; 3. dass es eine bessere Strategie für den Menschen ist, sein Denken und Handeln und auch seine Moral nach der Wahrheit auszurichten, und damit nach der Wissenschaft, als der nach obigen Punkten in ihrem Wahrheitswert nichtigen Religion.

    Diese These hat sicher einige angreifbare Stellen: So kann man die Frage stellen, ob die Wahrheit wirklich eine so erstrebenswerte Sache ist, dass man sie dem psychologischen Wohlbefinden, das der Glaube einem gibt, vorziehen sollte. Wenn der Mensch schwach und sterblich ist, was hilft ihm dann das Wissen, dass er schwach und sterblich ist, wäre es nicht wohltätiger, ihm den Glauben zu schenken, er habe eine unsterbliche Seele und werde in einem Jenseits für die Leiden im Diesseits entschädigt? Das wäre ein Angriff auf Punkt 3.

    Oder man griffe Punkt 1 an: Wer sagt, dass die Wissenschaft ein trilliardenfach geeigneteres Mittel zur Wahrheitssuche darstellt als der Glaube? Aber dann hat man genau die Konfrontation, die alle Versöhner von Glauben und Wissenschaft mit ihrer These, das eine trampele nicht auf die Grundfragen des anderen, vermeiden wollten und die Dawkins eben mit Freunden wieder entfacht. Wenn Häring versucht, eine religiöse Sinnsuche gegen die positivistische Wahrheitssuche der Wissenschaft aufzumachen, spielt er eigentlich auch schon mit eben diesem Feuer. Was vor dem Urknall war oder warum Menschen sich philosophische Fragen stellen, sind nämlich sehr wohl Fragen, die auch die Wissenschaft beschäftigen können. In Erforschung dieser, vor allem der zweiten Frage, mag sie schnell zum Ergebnis gelangen, dass ‘Sinn’ nur eine rhetorisch-psychologische Kategorie menschlichen Denkens ist, ins neuronale Netz eingeschrieben — und sonst nichts weiter. Und damit hat sie dann wieder ein Territorium, das die Religion für sich als gesicherten Bereich des wissenschaftlich Unwissbaren beanspruchte — abgeräumt.

    • stralau says:

      Daß es keinen wissenschaftlichen Anhaltspunkt für Gott gibt, überzeugt allenfalls Atheisten von dessen Nichtexistenz, nicht jedoch Gläubige. Von daher liegt die Annahme, es gäbe keinen Gott, doch genauso im Bereich des Glaubens wie die Annahme, es gäbe ihn.

      Anders wäre es, wenn es einen Beweis für die Existenz oder Nichtexistenz Gottes gäbe. Ich kenne Dawkins’ Thesen nur aus zweiter Hand, aber soweit ich weiß, ist auch ihm klar, daß solche Beweise unmöglich sind.

      Und da wird es seltsam: Er wendet sich gegen Fundamentalismus, behauptet aber, daß schon Glaube an sich zu Fundamentalismus führt, verkennend, daß auch die Postulation der Nichtexistenz Gottes Glaube ist — und wird damit selbst zum Fundamentalisten.

      Wie gesagt, alles leider aus zweiter Hand argumentiert — vielleicht sollte ich das Buch mal lesen.

  2. michael says:

    Dawkins spricht in “God Delusion” in dieser Frage viel über Wahrscheinlichkeiten: Klar kann man nicht beweisen, dass es Gott nicht gibt. Jedoch ergibt sich für ihn daraus sicher kein 50:50-Verhältnis in der Frage ob Gott existiert. Und naturwissenschaftliche Argumente dürfen eben seiner Meinung nach in dieser Frage nach der Wahrscheinlichkeit doch mit einbezogen werden.

    Für ihn ist (unter anderem) die Evolutionstheorie in dieser Hinsicht ein “consciousness raiser”, sie macht darauf aufmerksam, dass aus einfachem komplexes entstehen kann – ohne, dass dazu ein komplexer Designer nötig wäre. Zwar bezieht sich die Evolutionstheorie nur auf die Biologie, sie zeigt aber die Möglichkeit auf.

    Dawkins erwähnt in diesem Zusammenhang auch die Chinesischen Teekanne im Orbit um die Sonne zwischen Mars und Erde. Zwar können wir alle nicht beweisen, dass es sie nicht gibt, rein theoretisch müssten wir also alle Teekannen-Agnostiker sein, praktisch aber sind wir alle sicher A-Teekann-isten. Wir glauben also, dass eine solche Teekanne so unwahrscheinlich ist, dass es für uns praktisch keine Rolle spielt und wir diese Möglichkeit ganz ausschließen können. (Diese Geschichte funktioniert übrigens auch super mit den unaufspürbaren, unsichtbaren pinken Einhörnern in meiner Garage.)

    Ich persönlich hab’ auch immer Schwierigkeiten mir Atheistische Fundamentalisten vorzustellen.

  3. michael says:

    PS: Ganz vergessen, Dawkins zitiert bei der Teekanne übrigens Bertrand Russell.

  4. Christian says:

    Japp, so hab ich es auch schon in meiner Formulierung auszudrücken versucht, “es keinen plausiblen Grund gibt, die Existenz Gottes für wahr zu halten”. Dawkins erhebt die wissenschaftliche Plausiblität zum Maßstab, an dem die Existenz Gottes gemessen werden muss, um für wahr angenommen zu werden. Und unter diesem Maßstab ist sie nunmal nicht wahrheitswahrscheinlicher als die Existenz einer von einem untoten Elvis regierten Zivilisation grüner Elephanten auf der Venus oder, wie es die Pastafaris propagieren, die Verringerung der irdischen Piratenpopulation als Hauptursache der Globalen Erwärmung. Es gibt in der Wahrheitssuche keinen Grund, etwas für wahr zu halten, auf das nichts hindeutet; umgekehrt ist die totale Abwesenheit von Hinweisen (Dawkins erklärt ja recht überzeugend evolutionstheoretisch jede Komplexität und Schönheit in der Natur profan-naturwissenschaftlich von der Notwendigkeit eines genialisch-göttlichen Funkens weg) auf etwas genug Grund, um das Nichtgegebensein dieses Etwas anzunehmen. Wenn die Wissenschaft mit ihrer angemessenen Methodik uns noch nicht sagen kann, was vor dem Urknall war, warum sollte dann etwas mit einer so unangemessenen Methodik wie der Glaube, der ein sich zirkulär selbst bestätigendes System von psychologischen Reflex-Annahmen ohne Realitätsbezug ist, diesen Anspruch erheben dürfen?

    Der Vorwurf des atheistischen Fundamentalismus ziehlt glaube ich dort, wo er ernsthaft gedacht ist, auf eben diesen Exklusivitäts-Anspruch der wissenschaftlichen Methode auf die Wahrheitssuche, wie ihn Dawkins vertritt. An ‘Wahrheit’ kann man dann eben nicht gelangen durch Gefühl oder In-sich-Reinhören oder dergleichen, sondern nur mit harter Empirie und von ihr ausgehender Logik. Der Ansatz, den Dawkins propagiert, nimmt es sich heraus, keine alternativen Wahrheitsdefinitionsmethoden neben sich zu dulden und erklärt damit Systeme, die traditionell Ehrfurcht erwarten, von der Theologie bis zu bestimmten Bereichen der Philosophie, für bestenfalls nette Lyrik ohne Anrecht auf wahrheitsklärenden Anspruch. Dawkins gefällt sich ja auch in Gesten der Respektlosigkeit gegenüber Scholastik und bestimmten philosophischen Argumenten, die er als rein rethorische Begriffswirrspiele denunziert, deren Aussagewert selbst gegen Null läuft.

    Aus Dawkins’scher Perspektive ist der Vorwurf des Fundamentalismus natürlich schon deshalb daneben gegriffen, weil Dawkins die wissenschaftliche Methode als strukturell inhärent antifundamentalistisch betrachtet: ein System der ständigen Selbstkritik, das keine Annahme als absolut gesicherte Wahrheit duldet, sondern diese Annahmen stets der Empirie anzupassen sich zwingt. Dawkins meint, er würde ohne zu Zögern seinen Atheismus aufgeben, wenn man ihm denn einfach gute Beweise für die Existenz Gottes entgegen legen täte. Umgekehrt hält er den Glauben für ein zutiefst fundamentalistisches System, eben weil es über zirkuläre Selbstbestätigung und die Tabuisierung des Zweifels (es ist das moralisch Richtige, zu glauben, und das moralisch Falsche, zu zweifeln) läuft. Der Gläubige ist /stolz/ darauf, sich durch Gegenbeweise dennoch nicht von seinem Glauben abbringen zu lassen, betrachtet das Verharren im Glauben gegen ein Meer von Widersprüchen viel mehr als moralisch stärkende Herausforderung.

  5. Christian says:

    Nachtrag, nochmal zur wissenschaftlihcen Ethik nach Dawkins: In der Wissenschaft steht und fällt der Wert mit, beschränkt sich ganz auf, die Übereinstimmung mit dem Nachprüfbaren. Das ist das wissenschaftliche Ideal (eine Anekdote, die Dawkins aus seiner Studienzeit bringt): Der Professor, der Jahrzehnte an Arbeit in eine Theorie gesteckt hat, und dann, als eines Tages ein junger Kollege ihm mittels irgendeines neuen Ergebnisses unzweifelbar vorführt, dass seine Theorie nicht funktioniert, dafür /dankt/, dass er ihm bewiesen habe, all die Jahre /falsch/ gelegen zu haben. Eine Theorie hat für die wissenschaftliche Wahrheitssuche keinen zusätzlichen Wert dadurch, dass sie besonders schön oder besonders komplex, reich an Investment in Blut und Schweiß oder besonders reich an Feinheiten und einer kulturell tiefen Entwicklungsgeschichte sein mag. Eben das sind aber die Maßstäbe, auf die die Theologen in ihren Angriffen auf Dawkins so für die Bewertung ihres Feldes pochen, wenn sie Dawkins vorwerfen, die sublimen Details, die Vielfalt der Positionen, die große Kulturgeschichte ihrer Lehren und die Tonnen intellektueller Arbeit, die in sie gesteckt wurden, völlig auszublenden, zu ignorieren. Nichts könnte Dawkins weniger interessieren für seine Wahrheitssuche.

  6. stralau says:

    Mh. Ockhams Skalpell ist kein Argument gegen eine Gottesexistenz, denn es macht ja gerade keine Aussage über die Gültigkeit von Modellen.

    Daß er sofort an einen Gott glauben würde, wenn man ihm denn einen Beweis dafür bringen würde, scheint billige Polemik — da er doch weiß, daß ihm niemand diesen Beweis bringen wird.

    Den Hauptpunkt hast Du aber schon benannt: Dawkins scheint Glauben und Wissenschaft unzulässigerweise auf eine Stufe zu stellen und damit in Konkurrenz zueinander zu setzen. Diese Irrlehre hat schon der katholischen Kirche ziemlich geschadet. So wie der Glaube naturwissenschaftliche Erklärungen der Welt nicht ersetzen kann, sind Naturwissenschaften prinzipiell überfordert, wenn es um Sinnsuche geht. Dennoch leben Wissenschaft und Religion nicht in voneinander getrennten Sphären: eine Lehre, die wissenschaftliche Erkenntnisse leugnet und damit der Lebenserfahrung der Menschen widerspricht, macht sich lächerlich.

    Überhaupt nicht einverstanden bin ich aber mit der Zuschreibung, daß Glaube Zweifel ausschlösse. Im Gegenteil — wirklicher Glaube, der über Lippenbekenntnisse hinausgeht, ist meiner Meinung nach ohne Zweifel überhaupt nicht denkbar. Hier scheint der Pappkamerad erst aufgebaut zu werden, gegen den dann hinterher gekämpft wird.

    Zurück zum Fundamentalismus: Vermutlich läßt sich jede Bewegung, die auf einer Idee beruht, in eine fundamentalistische verwandeln. Dafür muß sie aber nicht religiös sein: die fundamentalistischen Bewegungen im Europa des 20. Jahrhunderts waren eher antireligiös. Eigentlich müßte man nach Dawkins also alle idealistischen Bewegungen als inhärent fundamentalistisch verdammen. Ich hingegen hielte es eher für sinnvoll, zu fragen, ob eine Lehre „gezähmt“ ist, also ob sie prinzipiell andere Ideen neben sich anerkennt oder nicht.

  7. Christian says:

    Nun, genau diese Frage finde ich aber sehr wohl nur unbefriedigend geklärt:

    *Warum* ist es unzulässig, Glauben und Wissenschaft auf eine Stufe zu stellen? Du argumentierst, genau diese ‘Irrlehre’ habe der katholischen Kirche ziemlich geschadet; das wundert nicht, wer auf derselben Rennstrecke aufs unterlegene Pferd setzt, verliert halt gegen das überlegene. Warum sollte die Wissenschaft sich da großzügig aus dem Spiel zurückziehen — um dem Konkurrenten Glauben zu gestatten, sein Gesicht zu wahren? Sind nicht beide, Wissenschaft wie Glauben, Versuche der Welterklärung?

    Was *ist* ‘Sinnsuche’ in Abgrenzung zur ‘wissenschaftlichen Wahrheitssuche’? Welchen Wert soll ein ‘Sinn’ haben, der sich nicht aus der Wahrheit ableitet? Bleibt da nicht höchstens ein moralisch-psychologisch-manipulativer — die Menschen handeln sozialverträglicher oder fühlen sich besser, weil sie eine Ideologie haben, die die schaurigen Lücken für sie füllt und offenen Fragen für sie beantwortet?

    (Ich selbst sehe mich außerstande, zu verstehen, was mit “Sinnsuche” gemeint sein soll. Die Suche nach Intentionalitäten in dem, was ist? Well, sagt der Naturwissenschaftler, die Suche ist kurz, denn: Da gibt es keine. Deshalb auch die Stärke von Dawkins evolutionistischer Argumentation: Evolutionstheorie erklärt den Entstehungsprozess von Dingen, die intentional konstruiert erscheinen, als gänzlich frei von Intentionalität. Die Alternative wäre: Ein Vorhaben, das man sich geben kann im Leben. Dazu braucht man aber keinen Gott; man kann identifizieren, was einem gefällt und was einem missfällt, und für die Förderung des ersteren und die Bekämpfung des letzteren handeln.)

    Dawkins ersetzt ganz frech die Sinnfrage durch die Frage nach Wahrheit. Für ihn bedarf es keiner realitätsgelösten Sinn-Konstruktion mehr, um das menschliche Leben lebbar zu machen, schließlich haben wir dank der Wissenschaft einen so grenzenlos faszinierenden Kosmos uns erschlossen, dass die Weltbilder der Mystiker dagegen banal und öde wirken.

    Zur Zweifelfähigkeit des Glaubens: Ist Glaube nicht per definitionem eben das: etwas als wahr anzunehmen, obwohl es keinen plausiblen wissenschaftlichen Grund dafür gibt, es als wahr anzunehmen? Sonst wäre es ja kein Glaube, sondern Wissen.

    Insofern Dawkins auf dem Exklusivitätsanspruch der wissenschaftlichen Methode für die Wahrheitssuche beharrt, kann man ihn vielleicht wirklich als Fundamentalisten bezeichnen; mir fällt aber einfach kein argumentativ wehrhaftes Konkurrenzmodell der Wahrheitssuche zur wissenschaftlichen Methode ein, gegen das dieser Fundamentalismus sich richten könnte. Innerhalb des von dieser Methode geschaffenen Welterklärungssystems sieht er dagegen eine Wappnung gegen jeden Fundamentalismus, eben weil die Wissenschaft per definitionem die Kunst der Kritik, der Überprüfbarkeit und des ständigen Austestens /neuer/ Welterklärungsmodelle sei.

    P.S.: Macht Spaß, hier zu diskutieren :-)

  8. stralau says:

    Es geht mir nicht ums Gewinnen, und auch die Fehler, die die katholische Kirche im Laufe ihrer Geschichte gemacht hat, sind doch keine Argumente gegen den heutigen Glauben des Einzelnen — schon gar nicht für Nichtkatholiken.

    Ich glaube, wir reden aneinander vorbei: ja, die Wissenschaft wird keinen Beweis für Gott finden — die Glaubensfrage ist dann, ob man es dabei beläßt, oder einen Gott annimmt.

    Wenn Dawkins dann für sich zu der Annahme kommt, daß es keinen Gott gibt, dann ist das sicher richtig für ihn — und dieser Glaube ist nicht schlecher als der eines Menschen, der einen Gott annimmt — aber eben auch nicht besser, auch nicht im Sinne der Wissenschaft, denn was die sagen kann ist nur: wir wissen es nicht.

    Die Kritik an Dawkins ist nicht, daß er nicht an Gott glaubt, oder meinetwegen, daß er gute Argumente für diesen seinen Glauben hat (aber keine Beweise im naturwissenschaftlichen Sinne!), sondern seine Behauptung, Glaube an Gott wäre schlecht, weil er zu Fundamentalismus führt.

    Und das ist der Kritikpunkt von Häring, der mir am stärksten erscheint: es ist nicht klar, gegen wen sich Dawkins wendet. Ja, gegen Kreationisten, die der Meinung sind, Gott ließe sich nachweisen, läßt es sich leicht argumentieren. Aber Dawkins sagt ja anscheinend, daß jegliche Art von Glauben zu Fundamentalismus führt.

    Zum Zweifel: Ich bin da Deiner Meinung: Glaube ist eben nicht Wissen — aber das schließt doch Zweifel nicht aus. Denkst Du wirklich, alle gläubigen Menschen, würden einfach nachplappern, was ihnen da vorgesprochen wird? Das wäre dumm.

  9. Christian says:

    Oh, es ist schon klar, gegen was Dawkins sich wendet: gegen sich selbst bestätigenden Glauben und gegen den Respekt, der diesem gezollt wird. Für Dawkins verdient nur eines Respekt, und das ist die wissenschaftlich nachprüfbare Wahrheit. Und da für Dawkins sich selbst bestätigender Glaube nichts hiermit zu tun, verdient Glaube keinen Respekt.

    Dawkins argumentiert so: Wenn wir den Katholiken und den Prostentanten Respekt zollen, wenn sie ihr Handeln mit ihrem Glauben rechtfertigen, müssen wir denselben Respekt auch den Selbstmordattentätern zollen. Die Attentäter vom 11. September waren keine schlechten Menschen, sie haben moralisch gehandelt und das getan, was sie für das Gute hielten. Das Problem liegt also nicht in ihrer Intention, sondern in der Grundlage ihrer Intention: dem Glauben.

    Für Dawkins gibt es keinen Grund, jemandes religiösen Glauben zu respektieren. Für die Behauptungen über die Welt, die religiöser Glaube stellt, lässt die wissenschaftliche Auserklärung der Welt zu wenig Raum; weshalb man jemanden, der im Glauben an Gott sein Denken, Leben, Handeln begründet, darin nicht respektvoller zu begegnen braucht als demjenigen, der derlei begründet in seiner Überzeugung, Napoleon Bonaparte zu sein, tentakelköpfige Aliens würden die Weltregierungen kontrollieren oder die Juden seien an allem schuld. Derlei irrationale Anschauungen über die Welt produzieren im Zusammenprall ihrer Fehleinschätzung der Wirklichkeit mit den Anforderungen der Wirklichkeit bestenfalls harmlose Irritationsmomente und schlimmstenfalls Massenmord.

    Im Grunde argumentiert Dawkins (und das mag man durchaus als in einer sich frei nennenden Gesellschaft politisch angreifbar bezeichnen) gegen weltanschauungsstrukturellen Relativmus. Mag jeder seiner eigenen Wahnwelt im stillen Kämmerlein träumend anhängen, aber wenn wir Diskursbomben wie den Glauben, der Dawkins’ Ansicht nach die Diskurssäulen Kritikfähigkeit und Wahrheitsanspruch untergräbt, im *gesellschaftlichen* Diskurs respektvoll Raum einräumen, öffnen wir die Tür für Überfälle durch Fundamentalismus jeder Art. Wer einem Bischof in seiner öffentlichen Diskussionsrunde gleiche Redezeit einräumt neben einem Wissenschaftler, der duldet auch Scientology, Horst Mahler und Osama Bin Laden als gleichberechtigte Positionen. (Da fällt mir die erbauliche Johannes-B.-Kerner-Sendung ein, in der Dawkins sich via Dolmetscher mit Bischof Huber prügeln durfte, da flogen aber die Fetzen ;) )

    Gesellschaftlicher und moralischer Respekt gegenüber jemandes Glauben produziert Zugzwang zum gesellschaftlichen und moralischen Respekt gegenüber jedem Wahngebilde. Die moralische Anleitung, mit der der Glaube angeblich der Gesellschaft nutzen mag (Dawkins’ behauptet, dass der Glaube überhaupt keine moralische Anleitung gibt, sondern bestenfalls ein ästhetisches Darstellungssystem, in das schon vorhandene, evolutionsbiologisch entstandene altruistische Moral-Grundsätze eingegossen werden), gleicht diesen Makel für ihn längst nicht aus.

    Dawkins’ Feindbild sind alle gesellschaftlichen Zugeständnisse an religiöse Gruppen, darunter würde die Kirchensteuer genauso fallen wie ein Status religiöser Autoritäten als (z.B. für ein Fernsehinterview in Fragen zum Familienrecht konsultierbarer) moralischer Autoritäten oder das Sonderrecht, wider das Tierschutzgesetz ein Tier schächten zu dürfen.

  10. Christian says:

    s/Relativmus/Relativismus/

  11. stralau says:

    Tja. Für mich sieht das nach geschlossenem Weltbild aus.

    Da (wie gesagt) wissenschaftlich nichts für oder gegen eine Gottesexistenz spricht, steht der Glaube an einen Gott auf der gleichen Stufe wie der Glaube, daß es keinen Gott gibt. Und jemand, der eine dieser beiden Vermutungen absolut setzt, sie also anderen aufzwingen möchte, ist in meinen Augen Fundamentalist, sei er nun in der konkreten Ausprägung Evangelikaler, Moslem oder Atheist.

    Zu den Attentätern: wenn man die Taten einzig aus ihrem Antrieb begründet und die Wahl der Mittel im Prinzip freistellt, gibt es niemanden, der schuldig ist. Aber der Zweck heiligt eben nicht die Mittel, weder für religiöse Attentäter noch für Atheisten oder Nazis.

    Wenn Dawkins die Ursachen für Gewalt einzig in der Religion sieht, wie erklärt er dann die Verbrechen des Nationalsozialismus oder die des Stalinismus?

  12. Christian says:

    Geschlossen ist das Weltbild in Hinsicht auf den Exklusivitätsanspruch der wissenschaftlichen Methode auf die Wahrheitssuche, ja. Und aus diesem heraus ist eben der Glaube an eine Existenz Gottes nicht angebracht, weil Glaube an sich nicht angebracht ist. (Und ‘Sinnsuche’ ist hierbei dann eine Kategorie, die keinen Sinngehalt hat.) Man kann Dawkins IMHO eher als Fundamentalisten der wissenschaftlichen Wahrheitssuche denn als Fundamentalisten der Nichtexistenz Gottes setzen.

    Man muss da den Begriff Glauben wohl auch ausweiten, er umfasst eigentlich jede wissenschaftlich unbegründete Überzeugung mit einem kritikresistenten Wahrheitsanspruch. Nur ist der religiöse Glaube da halt die Version mit der größten Tragweite. Ich kann auch wider jeden Gegenbeweis stur glauben, dass unter einem Schrank in einem Haus in Kleinmachnow ein unsichtbares Monster haust, aber das hat wahrscheinlich nicht so viele paranoische Auswirkungen auf meine Gesamtherangehensweise an die Welt wie die Überzeugung einer über das gesamte Universum waltenden intelligenten Allmacht.

    Dawkins setzt den religiösen Glauben aber durchaus in die selbe Kategorie wie z.B. den fundamentalistischen Patriotismus, der in mancher Kriegssituation gepredigt wird, um einen Antrieb zur Selbstaufopferung für die Nation zu geben. Oder Selbstaufopferung für eine politische Ideologie. Lässt sich eigentlich alles unter Glauben fassen.

    Ganz so einfach, die Ursache für Gewalt einzig in der Religion zu sehen, macht es sich Dawkins natürlich nicht (den Titel der “God Delusion” vorrangehende Fernseh-Polemik “The root of all evil?” will er selbst nicht ausgesucht und darüberhinaus für irreführend befunden haben), aber er scheint schon einem regen Optimismus anzuhängen, dass erstaunlich vieles besser wäre, wenn die Religion — oder allgemeiner: die Vorherrschaft von Glauben nach obiger begrifflicher Ausweitung — unterginge.

    Dawkins’ Argument ist ja zu großen Teilen auch ein moralisches — es wäre besser für die Menschheit, wenn es in ihren Reihen weniger Glauben gäbe. Er kann mittels Evolutionsbiologie plausibel begründen, dass bestimmte moralische Kategorien, Nächstenliebe und dergleichen, keiner Religion als Grundlage bedürfen. Aber meines Erachtens unterschätzt er die psychologische Notwendigkeit von Religion und auch eben einem Glauben allgemein, der vielleicht der Wahrheitssuche nicht dient, aber sehr wohl der Ruhigstellung des psychologischen Haushalts. Was für eine Grausamkeit ist es, von den Menschen zu verlangen, sich von der Unsterblichkeit ihrer Seele zu verabschieden?

    (Ich hab mir dazu mal in meinem Blog und später auch bei Mindestenshaltbar.com Gedanken gemacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass die Wissenschaft erst reale individuelle Unsterblichkeit oder dergleichen ermöglichen muss, um der Wissenschaft einen Attraktivitätsvorsprung vor dem religiösen Glauben zu geben:

    http://futur.plomlompom.de/archiv/1800/erst-das-heil-dann-der-atheismus
    http://www.mindestenshaltbar.net/0312/stories/2148/
    )

    (Sorry für die Eigenwerbungslinks ;) )

  13. stralau says:

    Wie gesagt, mich stört da einiges: das Gegeneinandersetzen von Religion und Wissenschaft, als sei die eine nur ohne die andere denkbar. Der meiner Meinung nach unbegründete Fundamentalismusvorwurf (ich sehe die Gefahr nämlich eher in „ungezähmten“ Bewegungen, s.o., als in idealistischen Bewegungen an sich.

    Edit: Selbst die Evolutionslehre ist doch hier in Deutschland schon für Verbrechen schlimmster Art mißbraucht worden. Macht es deswegen die Lehre als solche gefährlich?).

    Die Unterstellungen (Glaube käme ohne Zweifel aus). Der Versuch der Bekehrung an sich.

    Aber wir drehen uns im Kreise — ich habe das Gefühl, wir sind an einem Punkt, an dem sich die Argumente wiederholen und bin damit draußen.

    Danke für die Einführung!

  14. Christian says:

    Joa, belassen wir den Diskussionsthread mal erstmal dabei. Geht mit mir immer etwas textlastig durch, wenn ich Argumente und Diskussionen interessant finde, sorry ;-)

    Obwohl, den einen Punkt zu dem Edit mit der Evolutionslehre muss ich doch nochmal kurz los werden ;-) Eine argumentativ selbstgenügsame Evolutionslehre lässt sich natürlich genauso als Glauben missbrauchen wie jede andere Idee über die Welt auch. Die relevante Differenzierung ist, ob die Idee selbst in das Netz aus Beweisbarkeits-Anspruch und Widerlegbarkeit / Wahrheitsfähigkeit eingebunden ist, die die Wissenschaft bildet, oder nicht … Wobei die genannten Verbrechen ja auch aus einer kategorischen Verirrung kamen, das wissenschaftliche ‘Wie ist etwas’ der Evolution mit einem ethischen ‘Wie sollte es sein’ durcheinanderzubringen.

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