Bahnprivatisierung: Ein Gutachten

Sonnabend, 7. Juni 2008

Etwas untergegangen in den Nachrichten vom Untergang des Aufbau-Verlags, der Telekom-Spitzelei und den hessischen Schreibfehlern ist die Verscherbelung der Bahn im Bundestag. Zwar wurde durch einen aufmerksamen Abgeordneten ein grobes Foul gerade noch verhindert: durch die Hintertür hätten doch 49,9 % statt 24,9 % der Bahntochter Mobility und Logistics (M&L) verscherbelt werden können.

Der Rest ist jedoch schlimm genug: getrieben von der Gier wurde die Privatisierung im Bundestag ohne Gesetz beschlossen, damit der Bundesrat, aus dem Widerstand zu erwarten gewesen wäre, nicht beteiligt werden muß. Und auch von der SPD-Basis, die im letzten Jahr kaum zu besänftigen war, ist jetzt nichts mehr zu hören.

Interessant ist eine Studie, die Michael Holzhey von der Beratungsfirma KCW Ende Mai für den Verkehrsausschuß des Bundestages erstellt hat, die aber leider im Web nicht zu finden ist, so daß hier ein paar Zitate genügen müssen. Während sich das Gutachten nicht prinzipiell gegen Privatisierung ausspricht, wird dort sehr deutliche Kritik am Tiefenseeschen Holdingmodell geäußert.

Zum einen wird der Renditedruck auf den Personenfernverkehr stark erhöht werden.

Der Personenfernverkehr ist diejenige Transportsparte, die von den Folgen der Privatisierung am stärksten berührt wird. Ursächlich ist die chronische Margenschwäche, die der Anteilseigner Bund über Jahre kritiklos hinnimmt, der private Investor jedoch nicht. Im Vorgriff auf die gehobenen Ansprüche hat die DB AG in ihrer Planung die Meßlatte signifikant nach oben geschraubt. […] Der Fernverkehr [soll] seinen schmalen Gewinn von 110 Mio. € binnen 4 Jahren mehr als verfünffachen.

Das wird weitere massive Streckenstillegungen zur Folge haben. Unter den Oberzentren mit künftig entfallender Fernverkehrsanbindung nennt das Gutachten Städte wie Potsdam, Brandenburg, Halle/S., Flensburg und Marburg. Zu denen mit künftig verschlechterter Anbindung gehören Stralsund, Greifswald, Rostock, Schwerin, Magdeburg, Lüneburg, Oldenburg, Kaiserslautern und Saarbrücken. Schon 2009 werden wohl der Südharz und das Weserbergland vom Fernverkehr abgekoppelt.

Betriebswirtschaftlich ist der DB AG kein Vorwurf zu machen. Die Kapitalmarktlogik gebietet es, die Renditevorgaben auf jedes einzelne Produkt, hier auf eine Linie herunterzubrechen. Was sich mittelfristig rechnet, fliegt aus dem Programm. Dies dürfte ein Großteil der heutigen IC-Verbindungen sein, die heute noch geduldet werden, weil das Fahrzeugmaterial abgeschrieben ist. Sobald aber die Aufwendungen der Neubeschaffungen verdient werden müssen, dreht sich die Linienerfolgsrechnung ins Minus. Dies ist keine Panikmache, sondern ökonomische Mechanik.

Weiter wird kritisiert, daß ganz klar ist, daß es letztlich auf eine hundertprozentige Privatisierung hinausläuft, dieses aber dem Wähler verschwiegen wird:

Verfahrenstechnisch wird die Privatisierungsspirale aller Wahrscheinlichkeit nach dadurch weiter gedreht, daß die DB AG in zwei bis drei Jahren erneut Kapitalbedarf reklamiert. Dieser Druck entsteht desto früher, je enttäuschender der Erlös der ersten Tranche ausfällt. Paart sich die Forderung mit einer Konjunkturdelle, wird der Finanzminister als erster darauf drängen, weitere Anteile zugunsten der Haushaltskonsolidierung zu veräußern. Die Begründung für die weitere Kapitalspritze wird die gleiche sein wie die heutige: Märkte entwickelten sich rasant, die Konkurrenz schlafe nicht, usw. Die Politik wird sich nicht mehr an den Beschluß einer außerparlamentarischen Arbeitsgruppe erinnern, sondern darauf verweisen, daß der Bund ja die Mehrheit behalte, also nicht überstimmt werden könne. Beim nächsten Schritt bis 74,9% wird betont, die Sperrminorität verschaffe dem Bund die Gewißheit, daß nichts Wesentliches gegen ihn entschieden werden könne. Am Ende kommt es zur Vollprivatisierung, da Transporte von A nach B keine Staatsaufgabe seien. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen – nur sollte dies vorab klar gesagt werden.

Das Gutachten geht weiterhin davon aus, daß die DB M&L relativ bald zerbrechen wird, weil die Rendite im Güterverkehr wesentlich höher als im Personenverkehr ausfallen wird. Es wird darauf hingewiesen, daß es neben den Staatsbahnen in der Welt keine Bahnbetriebe gibt, in denen Güter- und Personenverkehr eng verzahnt sind.

Außerdem wird es, da einzig der Transport dem Renditeinteresse unterliegt, nach der Privatisierung noch weniger Eigenmittel der Bahn geben, die in die Infrastruktur fließen, was den Staatsanteil hier erhöht.

Der Staat wird, neben verringertem Einfluß in der Verkehrspolitik, auch finanziell nicht viel vom Verkauf haben: die Vereinbahrung zwischen Bahn und Gewerkschaften, bis 2023 auf privatisierungsbedingte Entlassungen zu verzichten wird nach dem Gutachten dazu führen, daß die M&L rigide Personal sparen wird, das dann in die (weiterhin dem Staat gehörenden) Eisenbahninfrastrukturunternehmen verlagert wird, so daß diese zu Beschäftigungsgesellschaften werden, in denen Verluste sozialisiert werden, während M&L die Gewinne privatisiert.

Im Fazit des Gutachtens heißt es:

Der tiefer liegende Grund für die skizzierten Schwächen ist die fortgesetzte Weigerung des Bundesverkehrsministeriums, an erster Stelle seinen originären Auftrag zu erfüllen, d.h. nach verkehrspolitischen Erwägungen mit dem Fokus auf der Schienenverkehrsbranche zu handeln. Statt dessen wird alles dem Ziel untergeordnet, das Unternehmen DB AG als nationalen Champion aufzustellen. Eine solche Privatisierung ist als „unstrukturiert“ zu bezeichnen, weil sie nicht vom Markt her ansetzt, sondern von einem einzelnen Spieler, ohne die Folgen umfassend zu überdenken.

Angesichts der abzusehenden Kollateralschäden ist die Privatisierung nach dem Holdingmodell derzeit abzulehnen. Bezahlen müssen es die Fahrgäste, Verlader und Steuerzahler, insbesondere der Länder.

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