Sich nicht erwischen lassen

Mittwoch, 30. Juli 2008

Unter dem Eindruck des Prager Frühlings verteilen die Studenten Rainer Schottlaender und Michael Müller Flugblätter gegen den obligatorischen Marxismus-Leninismus-Unterricht auf dem Gelände der Humboldt-Universität. Das MfS startet daraufhin die aufwendigste Fahndungsaktion seiner Geschichte: die Humboldt-Universität wird komplett überwacht, sämtliche Berliner Anträge auf neue Personalausweise, die damals ausgegeben wurden, werden auf die Schreibmaschinentype hin überprüft.

Dennoch gelingt es den beiden, die Aktion fortzusetzen und unerkannt zu bleiben. Die Schreibmaschine verstecken sie auf dem Dachboden einer Kirche in Zittau. Vor Jahren gab es darüber einen Artikel in der HU-Studentenzeitung „Unaufgefordert“.

Heute abend, 21.55 Uhr und am 12. August, 10.55 Uhr zeigt Arte eine Dokumentation von Gabriele Denecke.

Nachtrag: Mit Superlativen ist das so eine Sache. Sie schreiben sich schnell hin. Es gab allerdings einen anderen Fall, an dessen erfolgreicher Aufklärung die Stasi zumindest beteiligt war: im Kreuzworträtselmord wurden eine halbe Million Schriftproben ausgewertet. Die Leiche eines siebenjährigen Jungen wurde in einem Koffer gefunden, der aus einem fahrenden Zug geworfen worden war. Im Koffer befanden sich außerdem Zeitungen mit einem teilweise gelösten Kreuzworträtsel.

Alle Bewohner Halle-Neustadts gaben Schriftproben ab. Außerdem wurden Altpapiersammlungen durchgeführt und 60 Tonnen Zeitungspapier ausgewertet. Und wieder ein Superlativ: Die Wikipedia nennt den Kreuzworträtselmord den „Kriminalfall mit der weltweit umfassendsten Auswertung von Schriftproben“. Er ist 1988 als Folge der Krimiserie „Polizeiruf 110“ verfilmt worden.

9 Responses to “Sich nicht erwischen lassen”

  1. Andi says:

    War recht am Anfang (ca. zwischen Minute 5 und 15) des Filmes das Ostkreuz zu sehen, mit großem “Neues Deutschland”-Schriftzug am Bahnsteig der (heutigen) Ring-Bahn? Gab es den “zu Ostzeiten” dort?

    • stralau says:

      Ja, das Ostkreuz war zweimal zu sehen, bei 7:21 sieht man Menschen auf der Treppe von Bahnsteig E (Schlesiche Bahn) zur Brademannschen Fußgängerbrücke. Bei 12.49 steht die Kamera auf Bahnsteig D (Ostbahn), aber es wird Richtung Westen gefilmt, der ND-Schriftzug ist also wieder auf der Brademann-Brücke, nicht an der Ringbahn. Zu meiner Zeit (späte 70er/80er) war dann dort große Werbung für die BZ am Abend (eine Abendzeitung, aus der nach der Wende der Berliner Kurier wurde).

      Bei 12:58 sieht man nochmals eine ND-Werbung, diesmal auf einer S-Bahn-Brücke über eine Straße. Das könnte Ostbahnhof, Friedrichstraße oder Schöneweide sein.

  2. Andi says:

    Danke noch für deine Info – hast du Fotos des Schriftzuges am Ostkreuz, oder ne Ahnung, wo es die geben könnte?

  3. Andi says:

    Eigentlich meinte ich den ND-Schriftzug an der Brademann-Brücke, aber auch der von “BZA” wäre interessant.
    Mein Gedanke war: das Ostkreuz wurde zumindest in den letzten Jahren so genau dokumentiert, vielleicht gibt’ s auch Aufnahmen aus der DDR-Zeit?
    Wenn du das Bild aus dem Film schneiden könntest, würde ich mich persönlich drüber freuen, ja.

    Zu Fotos und Brücke noch was anderes: mich würden auch Aufnahmen von der Modersohnbrücke vor dem Umbau interessieren, und vom damaligen Steg, der während der Umbauphase (1999-2001?) bestand. Habe es leider damals versäumt, ihn selbst zu dokumentieren. Ich erinnere mich aber, dass es eine recht abstruse Geschichte war. In meiner Erinnerung sah er sehr zusammengeflickt aus und war so schmal, dass 2 entgegenkommende Fahrräder nicht aneinander vorbei kamen.
    Wäre für Hinweise dankbar.
    Grüße!

    • stralau says:

      Das sehr gute Buch „Butter/Kirsche/Preuß: Berlin Ostkreuz. Die Drehscheibe des S-Bahn-Verkehrs, GeraMond-Verlag, ISBN 3-932785-24-X“ enthält eigentlich alles, was man zum Ostkreuz wissen muß und sehr viele sehr gute Fotos aus allen Zeiten.

      ND finde ich darin nicht, aber BZA auf S. 85 von 1988 und auf S. 105 von 1976. Das Buch ist leider vergriffen, sollte aber in Berliner Bibliotheken vorhanden sein. Es wurde auch mal in den S-Bahn-Shops Alex, Ostbahnhof und Friedrichstraße verkauft, vielleicht gibt es da noch Restbestände.

      Von der Modersohnbrücke hab ick nüscht, Film-Stills schicke ich Dir demnächst mal zu.

  4. Andi says:

    Vielen Dank für die Auskunft und die Mühe bzgl. Foto!!

  5. Matthias says:

    ….mit Schriftproben der Stasi bin ich auch mal konfrontiert worden. Grund waren gesprühte Sprüche wie “Nur im Westen geht die Sonne auf” auf meiner POS im Prenzl Berg.
    Das war so um die 750 Jahr Feier, 1987. Bei den vielen neuen “Goldenen Hausnummern” machten sich solche Sprüche schlecht meterhoch an der Fassade einer Schule.
    Jedenfalls war die Schule gut eine Woche lang okkupiert von den Männern im Trenchcoat, jeder Schüler durfte dann einzeln in einem separatem Raum seine Schriftprobe inklusive Kommentar zur dieser “Sauerei” abgeben.
    Öffentliche Distanzierungen etc. waren die Folge. Und, der Jugendwerkhof hatte tatsächlich dann 2 Neuzugänge, ob schuldig oder nicht…..

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