Dok-Leipzig 2008 (iv): Fritsud ja blondiinid

Dienstag, 28. Oktober 2008

Dok Leipzig 2008: Nazis and Blondes

Fritsud ja blondiinid (Nazis & Blondes) (Arbo Tammiksaar, Andrei Hvostov, Estland, Lettland 2006, 52 min.) — Internationales Programm Dokumentarfilm

Das ist das vielbeschworene Klima von Leipzig, weswegen ich nur immer wieder empfehlen kann, hierherzufahren: gerade als ich diesen Text schreibe, findet mich der Regisseur und erzählt mir von den Schwierigkeiten und Unsicherheiten seines Filmes, nachdem vor zwei Stunden in der Vorstellung eine Frage von mir nicht richtig beantwortet wurde.

Fritsud ja blondiinid handelt von Propaganda. In der Sowjetunion wurden unzählige platt-propagandistische Filme über den zweiten Weltkrieg gedreht. Die Nazis in diesen Filmen wurden mit Schauspielern aus dem Baltikum besetzt, was ein echtes Problem ist, weil nicht nur in den letzten Jahren, sondern auch schon in der Sowjetunion den Balten das Naziklischee immer wieder vorgehalten wurde, während sie sehr unter der Annexion durch die Sowjetunion und den nachfolgenden Verbrechen leiden mußten. Der Drehbuchautor erzählte, wie sein Freund in den achtziger Jahren bei der Armee wegen seiner lettischen Herkunft den Spitznamen Martin Bormann verpaßt bekam.

In den sowjetischen Kriegsfilmen standen die Faschisten (wie die Nationalsozialisten in den sozialistischen Ländern genannt wurden) für das Grundböse an sich. Dieser Haß übertrug sich auch auf die Schauspieler, denen ihre zwiespältige Rolle, die sich eben nicht nur gegen die Deutschen sondern auch gegen die Balten richtete, im Nachhinein sehr unangenehm ist. Ein russischer Filmkritiker kommt ausführlich zu Wort und erzählt unter anderem davon, wie der Krieg in Rußland zur Religion wurde, denn durch den Krieg konnten die furchtbaren stalinistischen Verbrechen vergessen werden, der Feind war von nun an außen.

Die Interviews werden am Ende zu Verhören mit den Schauspielern in einer Art Nachstellung der Nürnberger Prozesse. Das mag für deutsche Augen und Ohren zu dick aufgetragen sein, aber ihre Geschichte ist nicht unsere. Das Bemerkenswerte an den Verhören sind aber die Emotionen, die währenddessen bei den Schauspielern freiwerden.

Umrahmt werden die Interviews und Verhöre von einem Treffen der „Veteranen der Ideologie“ auf einem Schloß in der Nähe von Riga, auf dem in einer hübschen Nazi-Parodie den verdienten Schauspielern Preise — die „Ringe der Nibelungen“ — verliehen werden. Interessant: Auf diesem Treffen von Litauern, Letten und Esten ist Russisch die lingua franca.

Der Bogen zu Gegenwart wird geschlagen, als Ausschnitte aus russischen Medien gezeigt werden, die kalt lächelnd den Esten und Letten wieder die Rolle der Nazis zuweisen. Regisseur und Drehbuchautor weisen aber im Gespräch darauf hin, daß auch die estnische und lettische Position heute sehr propagandistisch ist.

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