Dok Leipzig 2009 (i): Eröffnung

Dienstag, 27. Oktober 2009

Ein Jahr ist um, ich halte den noch nach Klebstoff riechenden Katalog in der Hand und bin sehr erregt darüber, eine Woche lang abzutauchen. In diesem Jahr sind die Texte freilich familienbedingt kürzer als früher.

Am Anfang des Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm gibt es Reden, aufregend ist das nicht, bis auf die leise aber sehr leidenschaftliche Eröffnungsrede Claas Danielsens, in der er privat wird und das Fernsehen auffordert, Haltung und Anspruch zu zeigen.

So setzt in den Dokumentationen des Formatfernsehens nach 30 Sekunden der Kommentar ein und zieht sich atemlos durch bis zu Minute 43, oder bei internationalen Produktionen bis Minute 52, unterbrochen nur von Interviews – alles muss leicht und eindeutig verständlich sein. Im Streben nach berechenbaren Einschaltquoten und sicherem „Audience Flow“ ist das Programm durchformatisiert worden. Festgefügte Sendungsrezepte haben das Medium erstarren lassen. Hinter diesen Formatfassaden verstecken sich die verantwortlichen Redakteure und machen sich unangreifbar. Eine redaktionelle Handschrift jedoch können sie nicht mehr hinterlassen. Sie zeigen sich nicht mehr.

[…]

Wann haben Sie im deutschen Fernsehen den letzten untertitelten Film gesehen? Auf ARTE? Vor 0.00 Uhr? Fremdsprachen werden in Deutschland nicht untertitelt, sondern wegsynchronisiert.
Machen wir uns mal klar, was da passiert: Den Menschen vor der Kamera wird ihre Stimme genommen! Und wir als Zuschauer können ihre Emotionen nicht mehr hören. So werden wir sowohl des authentischen Gefühls als auch des Wohlklangs ihrer Stimmen und ihrer Sprachen beraubt. Wie unsere Zeit, so auch das Fernsehen: Rationales Verständnis statt sinnlichem Erleben.

[…]

Und doch kann ich als sehender und hörender Mensch nicht umhin festzustellen, dass sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen freiwillig zum reinen Massenmedium hat degradieren lassen. Wir nähern uns dem kleinsten gemeinsamen Nenner und bekommen das geboten, was am wenigsten weh tut. Wir mauern uns mental ein und erzeugen ein Wir-Gefühl der Verängstigten. Seien wir ehrlich: Die vordringlichste Aufgabe des Fernsehens ist nicht mehr Bildung, Aufklärung und gesellschaftliche Teilhabe, sondern die Ruhigstellung der vielen sozial absteigenden Menschen.

[…]

Ich fordere die Kolleginnen und Kollegen in den von uns allen finanzierten Funkhäusern auf: Steuern Sie um und widerstehen Sie. Zeigen Sie sich! Zeigen Sie ihre Frustration und Wut, die ich in Gesprächen mit intelligenten Redakteuren immer wieder höre.

[…]

Ein Schwerpunkt ist in diesem Jahr der afrikanische Dokumentarfilm, es gibt eine Dokfilmretrospektive zu Joris Ivens, die Reihe Transit ’89: Danzig, Leipzig, Bukarest, die Ergebnisse zweier Ausschreibungen: „Innere Sicherheit“ und „Breathless“, eine Animationsfilmretrospektive zu Andrei Chrschanowski, portugiesische Animationsfilme und ein Programm über das Schaffen von DDR-Animationsfilmern nach der Wende. Außerdem internationaler, deutscher und Nachwuchswettbewerb für Dokumentarfilm, Internationaler Wettbewerb Animationsfilm, Internationales Programm Dokumentarfilm, Internationales Programm Animationsfilm, Neue Deutsche Animation, Animadok, Anima für Kinder sowie Pink Elephant, the best of young international animation scene.

Nach meinem Eindruck sind wieder deutlich mehr politische Filme als im letzten Jahr dabei und insgesamt wirkt das Programm fokussierter als im vorigen Jahr.

Und jetzt eintauchen.

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