Tatort: Feuerkämpfer (NDR)

Montag, 13. März 2006

Behinderte, Migranten, Schwule, Scheidungsväter, Feuerwehrleute — ich hab was gegen unterdrückte Minderheiten. Zumindest dann, wenn sie Anlaß sind, den Tatort in eine ungenießbare süße Soße zu verwandeln.

Daß aber auch immer alles dreimal ausgesprochen werden muß. Und dann wird so ein fader Wortwitz („Der Brandstifter entkam über die Feuerleiter“) auch noch mit dem Kommentar „Ironie“ versaut (Erwähnte ich schon, daß ich „Ironie“ auch nicht ausstehen kann? Selbstironie schon gar nicht).

Kriminalistik? Nicht vorhanden. Dafür Pädagogik schön stabil in Dreifachausführung.

Besonders schlimm: die „knisternde Erotik“ zwischen Jan Casstorff und der Staatsanwältin. Der Gipfel der Geschmacklosigkeit: der rote Schlüpper der Staatsanwältin. Von sowas träumt Thomas Bohn (Buch und Regie) wohl.

Gute Nacht.

Und als hätte es keinen Schleichwerbeskandal gegeben, ungeniert plaziert: Nokia, Deutsches Rotes Kreuz und Bionade („Die ist ohne Zucker!“).

[Erstsendung: 12. März 2006]

Leider immer noch überschätzt

Montag, 13. März 2006

Die deutschen Mädchenbands und die Leipziger Schule.

Baby — did you forget to take your meds

Sonnabend, 11. März 2006
Placebo

Andacht.

Da stand er nun, als wolle er uns mit seinem riesigen Mund verschlucken und hob den Zeigefinger.

Unspektakuläre Bühnenshow. Dafür handwerklich sehr sauberes Rockkonzert.

Olsdal und vor allem Brian Molko sehr präsent.

Kaum Interaktion mit dem Publikum, aber völlig ok so.

Sehr seltsam: Mitklatschen bei Placebo. Zwischenzeitlich wie bei „Ein Kessel Buntes“ gefühlt.

Publikum: mehr Frauen als Männer. Ob die etwa auch in Molko verliebt sind?

Problem: die eigene Verzweiflung und Finsterkeit, die offenen Wunden, die durch diese Musik so gut getroffen wurden, werden in der Masse plötzlich banal. Schlimm das.

Ganz großartig: Songs, die einfach so einsetzen, ohne Einzählen, Intro etc. Molko, der mit seinem unglaublichen Gesang auch live ganz nonchalant immer den richtigen Ton trifft.

Vorher: drei Stunden von der Masse vor der Tür zusammengedrückt werden. Leicht dramatische Szenen. Unangenehm: O2 öffnet hin und wieder die Tür und filmt das ganze.

Unbedacht: Die Fließgeschwindigkeit in einem Trichter scheint am Rande höher zu sein als in der Mitte. Dort wird man nur zusammengequetscht und kommt nicht vorwärts.

Sympathisch: Slut als Support-Act, auch wenn ihre Interpretation der Dreigroschenoper etwas zu gefällig ist.

War jut jewesn.

[Placebo, 10. März 2006, Columbiahalle, Tempelhof]

Elikan Dew …

Sonnabend, 11. März 2006

heute im Kato. Die Fotos sind zwar eher niedlich, aber der Typ kann singen!

Melancholie

Donnerstag, 9. März 2006
Straßburger Meister: Büste eines sich aufstützenden Mannes (15. Jhd.)
Straßburger Meister, 15. Jhd.

Man sollte durchaus hingehen: es sind viele aufregende Werke zu sehen. Als Ausstellung insgesamt zu beliebig: Fast alles läßt sich ja in dieses Thema einordnen. Leider wird das auch getan. Dürer, Goya und Friedrich drängen sich natürlich auf. Es entsteht aber der Eindruck, daß da von allem was genommen wurde, hauptsache es kuckt jemand traurig, und daß viel Geld für renommierte Werke da war (entsprechend hoch ist der Eintritt).

Neben den Bildern sehr platte Texte, die dem Betrachter die (häufig ziemlich gewollte) Interpretation aufzwingen. Auch die Kapitelüberschriften („Der Melancholie-Kult in der Renaissance“, „Melancholie-Verbot im Sozialismus“) sind stark überarbeitungsbedürftig.

Warum kriegt auch in einer solchen Ausstellung die DDR-Kunst ihre Extra-Abstellkammer? So spezifisch waren die ausgestellten Arbeiten nicht. Und wenn schon DDR, dann wären zusätzlich zu den obligaten Tübke und Mattheuer z.B. die Autoperforationsartisten passender gewesen.

Männer, die den mitgebrachten Weibchen ihre Kunstkenntnis demonstrieren:

  • „Bosch, weißt Du, der malt so ähnlich wie Dalí.“
  • F: „Das hier ist doch ziemlich bekannt, oder?“
    M: „Ja klar, das ist …“ (schielt auf das Schild) „… Ritter, Tod und Teufel.“

[Neue Nationalgalerie bis 7. Mai. Öffnungszeiten: Di, Mi 9-18, Do 9-22, Fr-So 9-20, Mo geschl.]

Lesen

Donnerstag, 9. März 2006

Ingo Schulze bisher wegen seines Namens für leichte Lesebühnenkost gehalten. Dabei kann er gar nichts dafür. Er zwingt zum Langsamlesen. Gut.

Mark Siemons in der FAZ über Debatten und Interpretationshoheit in China. Im Wirtschaftsteil eine Seite Hintergrund über Einkommen und Löhne.

Den erweiterten …

Donnerstag, 9. März 2006

… Infinitiv mit zu ohne Hauptsatz zu gebrauchen.

Ist auch so eine Unsitte.

Zu Ihrer Sicherheit

Dienstag, 7. März 2006

Vorige wurde in den USA der Patriot Act um unbefristete Zeit verlängert.

Der Kryptologe und Sicherheitsfachmann Bruce Schneier stellt in einem hervorragenden Text zusammen, welchen Überwachungsmechanismen der durchschnittliche Amerikaner heute ausgesetzt ist, und schildert an plastischen Beispielen, daß es eine qualitativen Unterschied zwischen klassischer Polizeiüberwachung und Massendatensammlung mit Data Mining gibt.

[]

Wholesale surveillance is a whole new world. It’s not “follow that car,” it’s “follow every car.” The National Security Agency can eavesdrop on every phone call, looking for patterns of communication or keywords that might indicate a conversation between terrorists. Many airports collect the license plates of every car in their parking lots, and can use that database to locate suspicious or abandoned cars. Several cities have stationary or car-mounted license-plate scanners that keep records of every car that passes, and save that data for later analysis.

More and more, we leave a trail of electronic footprints as we go through our daily lives. We used to walk into a bookstore, browse, and buy a book with cash. Now we visit Amazon, and all of our browsing and purchases are recorded. We used to throw a quarter in a toll booth; now EZ Pass records the date and time our car passed through the booth. Data about us are collected when we make a phone call, send an e-mail message, make a purchase with our credit card, or visit a website.

[]

Die Tatsache, daß wir mehr und mehr Datenspuren hinterlassen und daß Speicher praktisch nichts mehr kostet, führt dazu, daß Dinge möglich werden, die man sich früher nicht vorstellen konnte:

[]

The typical person uses 500 cell phone minutes a month; that translates to 5 gigabytes a year to save it all. My iPod can store 12 times that data. A “life recorder” you can wear on your lapel that constantly records is still a few generations off: 200 gigabytes/year for audio and 700 gigabytes/year for video. It’ll be sold as a security device, so that no one can attack you without being recorded. When that happens, will not wearing a life recorder be used as evidence that someone is up to no good, just as prosecutors today use the fact that someone left his cell phone at home as evidence that he didn’t want to be tracked?

[]

Als Ausweg dieser Bedrohung der informationellen Selbstbestimmung fordert er strengere Gesetze, ähnlich denen, die es in Europa gibt. Leider sind die Gesetze hier tatsächlich strenger, aber Datenschutz ist nicht gerade ein Modethema. Hoffen wir, daß nicht allzuviel davon abgebaut wird, bis die Hysteriewelle vorüber ist.

In wenigen Worten

Montag, 6. März 2006

Google behandelt “Wörter” und “Worte” synonym. Das ist nicht in Ordnung.

Ich weiß nicht

Montag, 6. März 2006

Tschuldigung, wenn ich mit Politik nerve. Nachdem die Wahlaufregung vorüber ist, scheint das Interesse nicht mehr groß zu sein. Ist auch ok, aber ein paar Fragen habe ich noch. Zum Beispiel, ob das emotionale Die-Oder-Wir der SPD im Wahlkampf wirklich klug war. Man könnte den Eindruck bekommen, daß die wahren Probleme dadurch unter den Teppich gekehrt wurden.

Ich weiß bis heute nicht, warum Schröder zurückgetreten ist. Ich sehe bis heute kein Konzept für die Zukunft der Kranken- und Rentenkassen. Und mir kann bis heute niemand erklären, was an Ein-Euro-Jobs gut ist.

Einige Dinge aber sind schon lange vor der Wahl schiefgelaufen:

Schon nach der 1998er Wahl war mir etwas mulmig, als sich die Grünen auf das Außen- und das Umweltministerium zurückzogen. Ja, Gesundheit hatten sie auch noch und Andrea Fischer war nicht die schlechteste.

Dennoch wäre das Verkehrs- oder das Innenministerium weit spannender gewesen. OK, Innen hätten sie vermutlich nicht bekommen, aber grüne Verkehrspolitik hätte die Zerschlagung der Bahn und Mehdorns Gang durch die Wand vielleicht etwas bremsen können. In diesem Bereich ist auch in Zukunft Raum für intelligente Ideen, die nur leider vermutlich nicht umgesetzt werden.

Weiterhin ist der Atomausstieg zu begrüßen, aber vermutlich haben die Grünen auch hier mehr Opfer gebracht, als ihnen guttat. Anders als mit Rücksicht auf Stammwähler und einem Sinn für öffentlich wirksame Themen kann man es nicht erklären, warum aus der Atomverstromung ausgestiegen wird, während in der Steinkohle mit Milliardenbeträgen neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

Und nach der Wahl? Wenn der SPD-Vorsitzende heute auf dem Energiegipfel sagt “Energie ist die Zivilisationsfrage unserer Zeit”, warum wurde dann der Unkundige Sigmar Gabriel Umweltminister, wo die SPD doch den deutschen Experten für erneuerbare Energien im Bundestag hat?

Ich wünsche mir weniger Geschrei und mehr kluge Gedanken. Phoenix sendet Bundestagsdebatten aus den sechziger Jahren, in denen schwarz-weiße Abgeordnete mit Hornbrillen versuchen, sich mit Argumenten zu überzeugen. Sowas.

Tatort: Unter Kontrolle (SWR)

Montag, 6. März 2006

Nachstellung. Ein Veranstalter von Betriebsfeiern wurde umgebracht. Kurz zuvor hat ihn seine Geliebte im Streit niedergeschlagen. Diese wiederum wird vom schnaufenden Stalker verfolgt.

Das war’s auch schon an Story. Von nun an könnte es jeder gewesen sein, und auch jeder wird verdächtigt. Leider verhält sich die Polizei dabei unlogischer als es der Zuschauer ihr zugestehen will. (Wenn DNS1-Daten da sind, warum muß der potentielle Täter dann erst eingeschüchtert werden — eine Haarprobe hätte doch gereicht. Warum lautet die erste Frage nach einem gesehenen Fahrzeug “Saß eine Frau oder ein Mann am Steuer?” anstatt, wie üblich, nach Kennzeichen und Farbe? Müssen heute wirklich noch Fangschaltungen in Wohnungen installiert werden? Ich dachte, dafür gibt’s längst standardisierte Schnittstellen beim Telefonanbieter.)

Des weiteren ganz viele schlimme Klischees, Zeigefingerpädagogik („Diese Männer machen Frauen angst, weil sie selbst vor Frauen Angst haben.“ Ui.) und diese widerliche Musiksoße, mit der solche anrührenden Szenen gerne angerührt werden.

Schade. Dabei sind Ulrike Folkerts und Andreas Hoppe schauspielerisch ganz prima.

Lieber Tatort: ich zahle meine Fernsehgebühren fast nur für Dich, weil ich sonst selten zum Fernsehen komme. Streng Dich ein bißchen an! Für meine Mutter mußtu das nicht machen, die kuckt auch sonst alles mögliche.

[Erstsendung: 5. März 2006]

1Immerhin wird das erste Mal im Tatort auch die deutsche Bezeichnung DNS verwendet.

Amor

Montag, 6. März 2006
Max Klinger: Ein Handschuh (10): Amor
Max Klinger: Ein Handschuh (10): Amor
(Aufs Bild klicken macht groß)

ENDE.

[Alle Bilder]
[s.a. Art-Bin]

Mind-boggling! — Evening Post

Sonntag, 5. März 2006

Auf den Straßen visuelle Belästigungen: diese furchtbar penetrante Welt-Kompakt-Werbung. Ich bin ja sonst nicht so für Arroganz, aber Leute, die sowas lustig finden, will ich nicht kennenlernen. Auch nicht die, die sowas lesen. Für Zeitungen muß man sich Zeit nehmen, sagt ja schon der Name. Wers schnell braucht, nimmt Blogs oder Heise. Am besten von hinten.

Des weiteren: Die Gestalter des Requiem-Plakats haben den Schweizer Praktikanten rangelassen. Schon unangenehm, wenn so ein Schreibfehler auch noch groß in der Mitte steht. (Überhaupt — diese Einzelwörter aus Zeitungskritiken auf Plakate zu drucken.)

Dabei ist der Film wirklich grossartig. Was an Schmid bemerkenswert ist: daß er seinen Figuren ganz nah ist, ohne rührend zu sein. Daß er den Schmerz zeigt, ohne auch nur irgendeinen Ausweg zu zeigen. Dieser Film hat mich nicht so getroffen wie 23, der in einer schlimmen Krise einfach da war, aus dem mich der irre Blick von August Diehl angestarrt hat — und wir haben uns verstanden.

Aber auch hier: die gleichgültig-unentschiedene Umwelt. Niemand will böses und dennoch geschieht es. Die Protagonisten werden, alle Klischeefallen vermeidend (und derer gibt es bei diesem Stoff einige), so gezeigt, wie sie sind. An „Das Fest“ erinnert gefühlt (Vorsicht: Handkamera, lieber etwas weiter hinten sitzen — mir wurde schlecht von dem Gewackel).

Einzig schade, aber dafür kann der Film nichts, daß das Ende schon vorher in der Presse verraten wurde. Besser ist es, nicht zu wissen.

[Update: Jung von Matt, klar.]

Distinktion?

Sonntag, 5. März 2006

Pah.

Harald Rock

Rockerschweine!

Die Pinguine …

Sonntag, 5. März 2006

… sind weggesperrt wegen Geflügelpest.

Flucht

Sonntag, 5. März 2006
Max Klinger: Ein Handschuh (9): Flucht
Max Klinger: Ein Handschuh (9): Flucht
(Aufs Bild klicken macht groß)

Da isser!

[Alle Bilder]
[s.a. Art-Bin]
[andere Handschuhe]

Blogs: The new music journalism?

Sonnabend, 4. März 2006

Johannes Schardt von Antifreeze macht sich Gedanken.

Ruhe

Sonnabend, 4. März 2006
Max Klinger: Ein Handschuh (8): Ruhe
Max Klinger: Ein Handschuh (8): Ruhe
(Aufs Bild klicken macht groß)

Liegt der Handschuh auf der Bühne? Dem geschlossenen, wunderschönen, aus Handschuhen bestehenden Vorhang nach zu schließen, wäre das vor der Vorstellung.

Da baut sich was auf: Das seltsame Tier, das unter dem Vorhang durchschaut, war schon auf dem letzten Bild zu sehen.

[Alle Bilder]
[s.a. Art-Bin]

Ängste

Freitag, 3. März 2006
Max Klinger: Ein Handschuh (7): Ängste
Max Klinger: Ein Handschuh (7): Ängste
(Aufs Bild klicken macht groß)

[Alle Bilder hier]
[s.a. Art-Bin]

Ladezeiten

Donnerstag, 2. März 2006

Die Bilder der Handschuhserie führen leider dazu, daß die Seite sehr groß wird und damit das Laden ziemlich dauert, besonders für Stralauer mit langer Leitung.

Deswegen habe ich die Kategorie Stralau ohne Handschuhe eingerichtet, in der alle Beiträge außer denen der Handschuhserie erscheinen.

Huldigung

Donnerstag, 2. März 2006
Max Klinger: Ein Handschuh (5): Triumph
Max Klinger: Ein Handschuh (6): Huldigung
(Aufs Bild klicken macht groß — das ist diesmal auch nötig, sonst erkennt man den Handschuh gar nicht)

Nachdem klar ist, wer der wahre Herrscher der Gedankenszene ist, kann ihm hemmungslos gehuldigt werden. Auch hier wieder ungewöhnliche Bildkomposition: nicht die Bühne nimmt den größten Raum ein, sondern das Publikum.

[Alle Bilder hier]
[s.a. Art-Bin]

Triumph

Mittwoch, 1. März 2006
Max Klinger: Ein Handschuh (5): Triumph
Max Klinger: Ein Handschuh (5): Triumph
(Aufs Bild klicken macht groß)

Ha!

[Alle Bilder hier]
[s.a. Art-Bin]

Warum ich (erstmal) nicht (mehr) auf Bloglesungen gehe

Dienstag, 28. Februar 2006

Zunächst: ich war nicht in Düsseldorf. Vielleicht wars ja super. Das Folgende bezieht sich auf Bloglesungen im Allgemeinen, unfair extrapoliert aus den beiden, die ich gehört habe, und ist eine Antwort auf diesen Text. Wobei ich mich gar nicht angesprochen fühlen müßte, ich bin ja kein Feind der Literatur, nicht mal von Lesungen, nur gut müssen sie sein.

Ja, ich habe mir die Artikel, auf die Don Alphonso sich bezieht angesehen, und die sind wirklich teilweise dumm, aber ich verstehe nicht, warum das gleich so einen Aufschrei verursacht. Und es stört mich. Weil es eine Haltung von “Wer nicht für uns ist, ist gegen uns” aufbaut.

beim wichsen im elfenbeinturm passiert einem nichts, da wird einem nicht der spiralblock weggenommen, da passiert einem nichts überraschendes, da wird man einfach und sicher alt und klug.

[wirres]

Das ist klug beobachtet und aufgeschrieben. Ansonsten finde ich den Streit, der da momentan stattfindet, äußerst lächerlich. Denn es geht ja wohl nicht darum, ob man Lesungen an sich gut oder schlecht findet. Klar, wer mit Lesungen nichts anfangen kann, bleibt zu hause. Für alle anderen gibt es gute und schlechte Lesungen.

Und die beiden Bloglesungen, die ich in Berlin erlebt habe, waren schlecht. Auch das wäre nicht der Rede wert, würde es nicht jedesmal diese gleichzeitig vereinnahmende und ausschließende “Wir finden uns gegenseitig so gut”-Kuschelatmosphäre geben, die im Nachhinein furchtbar empört auf Kritik reagiert.

Um die Punkte festzumachen:

Viele haben nicht gut gelesen. MC Winkel fand ich ganz gut. Parka Lewis habe ich leider noch nicht gehört.

Die meisten gelesenen Texte waren ungeeignet für Lesungen. Viele deutsche Blogtexte entstammen den Kategorien “subtile Alltagsbeobachtung” und “Gefühlsschau”. Das funktioniert in Blogs selbst recht gut, weil da der Aktualitätsbezug klar ist. Auf Lesungen fehlt dieser Rahmen aber. Und das beschwört Vergleiche mit den Meistern dieses Genres: die Sprachmächtigkeit eines Max Goldt (der i.ü. auch sehr gut lesen kann) aber selbst die scheinbar hingerotzten Lesebühnentexte von Jochen Schmidt und anderen Enthusiasten haben mehr Mitreißendes.

Diese Vergleiche würden vielleicht etwas gnädiger ausfallen, wäre mehr Bescheidenheit im Spiel: sowohl im Auftritt der Lesenden als auch in den Ankündigungen.

Alltagstexte sind leicht zu konsumieren. Das macht sie sehr geeignet für schnelles Bildschirmlesen. Auf einer Lesung ist mir das aber wie zu viele Pralinen und zu wenig Ballaststoffe. Gebt mir was zum Kauen!

Wortspiele: Bitte weniger und bessere.

Das sind meine sehr subjektiven Eindrücke. Aber damit müssen die Lesenden leben: auf die Bühne zu gehen bedeutet nicht automatisch Applaus, sondern erstmal Beurteilung durch das Publikum. Und die kann so oder so ausfallen. Deswegen macht das auch nicht jeder. Deswegen gibt es sowas wie Lampenfieber.

Dummerweise ist es im Zeitalter von Blogs jedem möglich, seine Meinung aufzuschreiben. Aber das haben wir ja immer gewollt, oder?

Um ein paar Diskussionen gleich abzukürzen: Ja, ich habe auch schon auf ein paar Bühnen gestanden. Das ist aber nicht der Punkt. Kritik ist möglich, auch wenn man nicht selbst Schaffender ist. Ich gehe auch sehr gern zu Lesungen. Nur müssen sie mir was geben.

So. Macht mich fertig.

Rettung

Dienstag, 28. Februar 2006
Max Klinger: Ein Handschuh (4): Rettung
Max Klinger: Ein Handschuh (4): Rettung
(Aufs Bild klicken macht groß)

[Alle Abbildungen hier]

Auf diesem Bild, welches auch „Die Gefahr“ hieß, wird der Handschuh ein zweites Mal gerettet. Ungewöhnlich: Die Draufsicht auf das Boot, durch die es zum zentralen Bildelement wird, und die Schatten, welche das Echo eines Blitzes zeigen, der als selbst nicht sichtbar ist.

[s.a. Art-Bin]

Wünsche

Montag, 27. Februar 2006
Max Klinger: Ein Handschuh (3): Wünsche
Max Klinger: Ein Handschuh (3): Wünsche

[Die anderen Abbildungen der Serie sind hier.]

Der Protagonist sitzt im Bette, neben ihm eine ausgeblasenen Kerze und ein Glas auf einem kleinen Schranke. Auf seinen Beinen liegt der erbeutete Handschuh, hinter ihm eine Landschaft mit einer Frau. Er hält den Kopf in den Händen.

Eindrucksvoll: die Bildkomposition, die die Projektion seiner Wünsche mit dem Subjekt selbst vereint. Die Größenverhältnisse, in denen der Fetisch viel bedeutender wird, als die Frau, für die er steht. Der riesige Baum mit vier langen aufsteigenden Stämmen und einem fünften, abzweigenden für den Daumen.

Und auch hier wieder: Strenger Rhythmus, Bewegung der Formen.

[s.a. Art-Bin]

Echt jetze

Sonntag, 26. Februar 2006

„Weeßte, wenn dit wattu sachst, jetz ma anjenomm, dit würd inna ßeitung stehn …“
„Ja?“
„Denn wür’ick umblättan!“

Handlung

Sonntag, 26. Februar 2006
Max Klinger: Ein Handschuh (2): Handlung
Max Klinger: Ein Handschuh (2): Handlung
(Aufs Bild klicken macht groß)

Klinger war 22 Jahre alt, als er die Arbeiten am Handschuh begann. Auf der Rollschuhbahn in der Hasenheide fand er einen Handschuh, den eine elegante Brasilianerin verloren hatte. Dieser tatsächliche Fund war die Inspiration für die Traumgeschichte vom Handschuh.

Aufregend auf diesem Bild ist die Pendelbewegung, deren Schwingen Klinger auf dem Papier festhält.

[s.a. Art-Bin]

Ort

Sonnabend, 25. Februar 2006
Max Klinger: Ein Handschuh (1): Ort
Max Klinger: Ein Handschuh (1): Ort
(Aufs Bild klicken macht groß)

Dieses Bild, das den äußeren Rahmen der Handlung festmacht, zeigt eine Gesellschaft in einer Rollschuhbahn. Zur Linken (mit dunklem Bart) steht der Künstler, zusammen mit seinem Freund, dem Maler Hermann Prell.

Der Rollschuhsport wurde in den 1870er Jahren bedingt durch die technische Revolution populär. Die Rollschuhbahn in der Berliner Hasenheide (welche auf dem Bild dargestellt ist) war die erste deutsche Bahn, 1876 von einer englischen Firma erbaut.

Eine andere Kreuzberger Rollschuhbahn in der Bernburger Straße wurde ab 1882 vom Philharmonischen Orchester genutzt und 1888 von Franz Schwechten umgebaut. Diese Alte Philharmonie wurde 1944 zerstört.

[Interpretation bei Art-Bin]

Ein Handschuh

Sonnabend, 25. Februar 2006

1881 veröffentlichte Max Klinger unter dem Titel „Ein Handschuh“, später „Paraphrase über den Fund eines Handschuhs“ einen der ersten Cartoons. In zehn Radierungen, die den Weg eines verlorenen Handschuhs zeigen, werden innere Welten auf atemberaubende Weise nach außen gestülpt.

In der Kategorie „Der Handschuh“ gibt es ab heute jeden Tag ein Bild aus dem Zyklus zu sehen. Hinzuweisen ist auch auf die hervorragenden Interpretationen im schwedischen Art-Bin-Magazin.

Im Reformhaus

Sonnabend, 25. Februar 2006

Es ist schon ziemlich traurig, wenn Leute sich Regelungskompetenz anmaßen in Bereichen, von denen sie nachweislich keine Ahnung haben. Das Gezerre um die Rechtschreibreform nimmt nach Jahren immer noch kein Ende.

Kultusminister geben inzwischen unter der Hand zu, daß die Reform gescheitert ist, wollen aber aus Gründen der Staatsraison daran festhalten. Ich hatte den Vorteil von Demokratie gegenüber anderen Staatsformen eigentlich darin gesehen, daß es leichter sei, Irrtümer zu korrigieren. Auch die Verschiebung der Verantwortung für das Scheitern auf die Zeitungen zeugt nicht gerade von Aufrichtigkeit. Dabei fragt man sich, von welcher Reform sie überhaupt sprechen, denn von der ursprünglichen Fassung von 1996 ist so gut wie nichts mehr übriggeblieben.

Theodor Ickler, Professor in Erlangen und für den PEN im Rat für Deutsche Rechtschreibung beschreibt den geballten Schwachsinn im Rat und die Gründe für seinen Austritt: Ja da kann man nur noch gehen:

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München, Hanns-Seidel-Stiftung, 8. April

Der Rat ist ziemlich vollzählig versammelt, ein Aufpasser der KMK sitzt immer dabei. Als erstes hat der Rat sich für alle Beschlüsse eine Zweidrittelmehrheit verordnet und auch schon von der KMK genehmigen lassen. Damit ist sichergestellt, daß keine Korrektur der neuen Regeln gegen den Willen der Reformbetreiber zustande kommt. Sehr schlau, aber nicht mehr zu ändern.

Der Altreformer Horst Sitta beantragt die Streichung des Tagesordnungspunktes „Getrennt- und Zusammenschreibung”, da zu wenig Zeit zur Vorbereitung gewesen sei. Verblüfftes Schweigen, denn nur wegen dieses Punktes ist der Rat heute zusammengekommen. Der Vorsitzende Zehetmair versucht die Lage zu retten, die durch Sittas scharfen Ton noch peinlicher geworden ist. Weitere Wortmeldungen in diesem Sinne. Ich selbst weise darauf hin, daß die Zeit zwar knapp, für Fachleute, die sich jahrzehntelang mit der Sache beschäftigt haben, aber ausreichend gewesen sei, außerdem darauf, daß ich für diejenigen, die nicht so mit der Materie vertraut sind, einen Kommentar versandt habe, der die Grundzüge und Hauptfolgen leicht erkennen läßt. Sitta stellt fest, daß bei ihm „Post vom P.E.N. ungelesen in den Papierkorb wandert”. Der Antrag wird abgewiesen, bei einer Gegenstimme.

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