Unter neuer Leitung gab es weniger Filme als sonst, aber immer noch mehr gute Filme, als eine Person in einer Woche sehen kann. Schön fand ich, daß auf der Eröffnungsveranstaltung die langen Reden zu kurzen Grußworten gekürzt worden sind.
Unbedingte Filmempfehlungen: „Rebellinnen“ über drei Fotografinnen der DDR, Kunst und Widerstand. „The Homes we Carry“ über Moçambikanische DDR-Vertragsarbeiter, die um ihr Geld betrogen wurden und das Aufwachsen als Schwarze Deutsche ohne Vater. Filme von Mila Turajlić, die mit viel Witz, Tempo und Rhythmus die Geschichte Jugoslawiens erzählt und die berührenden Animationen von Špela Čadež (Slowenien).
Sehr seltsam war der Mittwoch, und zwar bei zwei Vorführungen:
„König hört auf“ ist ein Film über den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König und seinen Abschied vom aktiven Berufsleben. Lothar König kennen die meisten – er leitete seit Anfang der Neunziger die Jenaer Jugendarbeit und hat sich dabei unter anderem sehr im Kampf gegen Faschismus engagiert, was ihm u.a. nach einer Gegendemo zu Pegida eine von der sächsischen Polizei initiierte Hasudurchsuchung und Verfahren einbrachte sowie tätliche Angriffe und Morddrohungen gegen ihn und seine Tochter aus der rechten Szene.
Den Film hat sein Sohn Tilman König gedreht, er ist insgesamt sehr stimmig und hat einige sehr gute Momente, insbesondere, wenn es um die Widersprüche in Königs Person geht.
Zum Filmgespräch konnte Tilman König nicht da sein, aber dafür Lothar König und das hat ihm eher geschadet: nach zwei Stunden ohne Zigarette sowieso schon nervös, hatte er offenbar das Gefühl, nach dem Film sehr viel richtigstellen zu müssen, denn natürlich hatte Tilman König aus vielen Stunden Filmmaterial eine subjektive Auswahl getroffen. Hier hätte der Protagonist geschützt werden müssen – so wurde es ein langer Monolog, dem man schwer folgen konnte und der vor allem aus einem Mißverständnis entstand. Interessanter wäre das Gespräch mit seinem Sohn gewesen.
Schockiert hat mich eine Vorstellung im Rahmen der Retrospektive, die dieses Jahr DDR-Dokumentaristinnen gewidmet war. Ich war leicht überrascht, als die Kuratoren die Eingangsworte sprachen, denn sie waren zu jung, um die DDR miterlebt zu haben, aber warum nicht mal ein anderer Blick auf die DDR. Der erste Film der Vorstellung „Jung sein – und was noch?“ von Gitta Nickel 1977 begleitet die Arbeit und das Leben einer Jugendbrigade auf der Stralsunder Werft. Ein guter Film, der sich den handelnden Personen nähert, Probleme aufzeigt und in dem die Kamera viel zeigt, was auf der Tonspur ungenannt bleibt.
Allerdings hat dieser Film bei mir so viele DDR-Gefühle hervorgeholt, daß mich der zweite Film mit voller Wucht traf: „Dialog“ von Róża Berger-Fiedler handelt von einem NVA-Offizier und seiner Zusammenarbeit mit der Sowjetarmee. Der Film hat eine Aussage: zu zeigen, wie gut die Zusammenarbeit ist. Er enthält sehr viele offensichtlich für die Kamera gestellte Szenen und sein Protagonist erzählt vor allem Propagandageschichten. Mir wurde bei diesem Film körperlich massiv unwohl, weil die Erinnerung an all die Gewalt, den Militarismus und die Angst, die die DDR-Gesellschaft so stark prägten, wieder hochkam. Es war das erste Mal, daß mir eine Triggerwarnung geholfen hätte – ich hätte den Film trotzdem gesehen, wäre aber gern vorbereitet gewesen.
Ich wollte das Kino während der Vorstellung verlassen, hoffte aber auf das Filmgespräch danach und wurde bitter enttäuscht:
Wie kann man denn einen solchen Propagandafilm zeigen und im Gespräch mit der Regisseurin überhaupt nicht darauf eingehen? Wenn sie sagt „ich stehe zu diesem Film“ (sie hatte ihn seit damals auch nicht wieder gesehen), warum gibt es keine Nachfragen, wie das gemeint ist – heißt das, sie würde ihn auf jeden Fall noch einmal so drehen, wenn es die DDR noch gäbe oder heißt das, sie steht dazu, daß sie ihn damals gedreht hat, denkt aber heute anders darüber? Man hätte auch fragen können, wie die Zusammenarbeit war, denn ganz gewiß haben NVA und Sowjetarmee bei diesem Film viel mitgeredet. Oder warum bei den Propagandablasen nicht nachgehakt wurde. Oder warum so viele Szenen nachgedreht wurden.
Ich selbst war danach nicht in der Lage, vor vollbesetztem Kino diese Fragen selbst zu stellen, weil ich mich emotional nicht mehr unter Kontrolle hatte. Ich bin sehr enttäuscht von der naiven unkritischen Haltung der Kuratoren – sie hätten all diese Fragen stellen können, waren aber offenbar sehr schlecht vorbereitet oder haben falsche Rücksicht auf die Anwesenheit der Regisseurin genommen.
Ich finde, man darf Propagandafilme beim Filmfest zeigen, diese müssen aber besser eingeordnet werden.