Revolutionslieder

Sonntag, 11. September 2005

Während sich am vergangenen Sonntag die KanzlerInnen duellierten, spielten auf der Museumsinsel die Pet Shop Boys. Ja, genau die Pet Shop Boys, die wir damals fast so scheiße wie Modern Talking fanden. Und wattsollicksaren: Ick war da. Bevor jetzt neben meinem Musikerbruder andere nicht mehr mit mir sprechen, söllte ich noch erwähnen, daß sie erstens nicht allein waren, zweitens kaum zu sehen und vor allem, daß sie kaum gesungen haben.

Filmplakat

Auf der Museumsinsel gab es den Eisenstein-Film „Panzerkreuzer Potёmkin“, musikalisch begleitet von den Pet Shop Boys und den Dresdner Sinfonikern (bekannt unter anderem durch ihren Rammstein-Liederzyklus). Einflußreich wie kaum ein anderer Film, umjubelt und umstritten, reicht die Wirkung von Panzerkreuzer Potemkin bis in die heutige Zeit.

Rumms! Die Explosion der Revolution, die freudige Wut ihrer Protagonisten, die brutale Niederschlagung des Aufstandes auf der Hafentreppe von Odessa sind auch heute noch eindrucksvolle Zeugnisse des sowjetischen Propagandafilms. Sein Autor Sergej Eisenstein wünschte sich aller zehn Jahre eine neue Filmmusik.

Still

„Rhythmus, Rhythmus, Rhythmus“ hatte Eisenstein von Edmund Meisel verlangt, der 1926 die Musik für die deutsche Erstaufführung schuf. Und tatsächlich ist der Rhythmus der Musik von Neil Tennant (Pet Shop Boys) und Torsten Rasch (Dresdner Sinfoniker) bis ins Detail auf den Schnitt des Films komponiert. Es macht einerseits Spaß, sich diesem Rhythmus hinzugeben, andererseits schaffen sie es sehr überzeugend, auf kleine Details aufmerksam zu machen. Man merkt dabei den Einfluß der Sinfoniker: sie können der Pathosfalle geschickt ausweichen. Die Musik lenkt das Auge vielmehr auf Details wie die Gesichter der Matrosen, das Kreuz des Priesters, das Klavier in der Offizierskajüte oder die Maden auf dem Fleisch.

Insgesamt: ja. Es hat gefallen. Mal davon abgesehen, daß rote Fahnen und gutaussehende Matrosen schon die Pet-Shop-Boys-Videos der achtziger Jahre prägten, ist die Bearbeitung dieses Films durch so gänzlich unironische aber gründliche Menschen wie die Pet Shop Boys durchaus förderlich. Der dünne Gesang von Neil Tennant hat zwar nichts von seiner Gruseligkeit verloren, er darf aber zum Glück nur an wenigen Stellen singen.

Auch schön: die Atmosphäre auf der Museumsinsel und die Tatsache, daß der Film im Mittelpunkt stand.

Doof: Leute im Publikum, die glaubten, sie könnten nach Beginn des Filmes ihre Vordermänner brüllend dazu überreden, sich wieder hinzusetzen. Sie hatten zwar recht, haben aber in der ersten Viertelstunde garantiert nichts mitbekommen.

6 Responses to “Revolutionslieder”

  1. Jens-Olaf says:

    Ein russischsprachiger Lette in den USA, Aleks, hat eine sehr persönliche Internetseite, als Journalist. Darunter ein Beitrag zu Eisenstein. Ich hoffe, es stört nicht, wenn ich einfach die url hier eingebe:
    http://www.allaboutlatvia.com/article/70/sergei-eisenteins-potemkin

  2. Jens-Olaf says:

    Argh, das wichtigste vergesse ich immer. Es geht am Ende auch um Berlin.

  3. stralau says:

    Vielen Dank für den aufschlußreichen Link!

    Vor allem zu Michail Eisenstein habe ich im Netz kaum etwas gefunden. Vielleicht söllte man mal einen Wikipedia-Eintrag schreiben.

  4. […] Gestern auf Arte Tracks mit verschiedenen Bloggern. Irnkwie hatte ich Tracks als besser in Erinnerung, frischer, informativer. Mal abgesehen vom Blog-Beitrag ging es u.a. um die Pet Shop Boys sowie — uh wie aufregend — einen total hippen Club in Berlin, in dem Jazz gespielt wird! Total abseitig! Kein Mainstream! Aber auch kein Bebop oder Free Jazz, das wäre ja zu anstrengend, sondern schon clubtauglich. In dem Club standen dann so Betten, auf denen einige Komparsen aufregendes Berlin spielen mußten und die Clubchefin träumte davon, die Marke auf ganz Deutschland auszudehnen. Naja, kiekn wa mal. […]

  5. […] Seine Schreie unter anderem inspiriert von PKP. Großartige Porträts, schmerzhaft, einsam oft, sehr direkt. […]

  6. Stralau-Blog says:

    Hausdrachen

    Bitte erstmal das Bild ankucken, kurz überlegen, woher es stammen könnte, dann weiterlesen, die Auflösung folgt unten.
    Zum letzten Eintrag gibt es noch ein paar Bemerkungen:
    Moderne Musik zu Stummfilmen: Der sehr sehenswerte ukrainische …

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