Der Kapitalvernichter

Mittwoch, 1. Februar 2006

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In einem atemberaubenden Tempo, das sich der Fahrgast auch wünschen würde, werden seit einigen Jahren Weichen und Gleise abgebaut. Und das keineswegs nur auf wenig befahrenen Nebenstrecken, wo den verladenden Unternehmen die Anschlüsse in Serie gekündigt werden, sondern auch auf den Hauptbahnen.

So listet die Landesregierung von Baden-Württemberg allein auf den Haupteisenbahnstrecken 10 aktuell laufende oder geplante Maßnahmen zum Gleisrückbau mit erheblichen Einschränkungen der Streckenkapazität und der Betriebsqualität auf. Selbst vor dem Abbau des zweiten Gleises auf ganzen Streckenabschnitten schreckt die DB nicht zurück. Das hat man im Südwesten seit den Demontagen durch die Franzosen nicht mehr erlebt.

Den Rückbau von Überholungsgleisen zwischen Mannheim und Frankfurt musste kürzlich das Eisenbahnbundesamt untersagen. Von selbst wollte die DB Netz AG nicht einsehen, daß damit im Verspätungsfall gravierende Verschlechterungen verbunden wären, obwohl wegen des chronischen Engpasses zwischen Mannheim und Frankfurt eine neu ICE-Strecke in Planung ist.

Die planmäßige Zerstörung der Eisenbahninfrastruktur ist die Folge eines Konstruktionsfehlers der Bahnreform. Damals wurden Netz und Transport in eine gemeinsame Gesellschaft eingebracht. Der Effizienzdruck setzt deshalb genau am falschen Punkt an: Während der Monopolist Netz AG bis heute echten Wettbewerb auf dem Schienennetz verhindern konnte, wird die Infrastruktur betriebswirtschaftlichen Zwängen unterworfen und damit weggespart. Man stelle sich den Aufstand vor, wenn das Straßennetz in Deutschland plötzlich betriebswirtschaftlich gerechnet würde: Dann würde man nur Autobahnen, Bundesstraßen und einige viel befahrene Landesstraßen retten, während die meisten Gemeindeverbindungsstraßen geschlossen würden, weil sie sich nicht rechnen.

Zur Entfaltung des zerstörerischen Potentials der Bahnreform brauchte es aber noch einen Bahnchef mit der Durchsetzungskraft und ideologischen Fixiertheit von Hartmut Mehdorn. Seit er den Bahnkonzern auf den Börsengang trimmt, schafft die DB es sogar, eine eisenbahnfreundliche Politik ins Gegenteil zu verkehren. In den letzten fünf Jahren von Rot-Grün gab die DB zum Jahresende stets einen dreistelligen Millionenbetrag an Bundesmitteln für das Netz zurück, weil sie angeblich nicht in der Lage war, das Geld zu verbauen – insgesamt mindestens 1,4 Milliarden Euro. Das Problem ist: Die Deutsche Bahn will die Bundesgelder gar nicht, weil sie einen kleinen Anteil an Eigenmitteln zur Kofinanzierung aufbieten muß. Dieses Geld investiert sie aber lieber in Lkw-Frachtzentren in Kasachstan, die schnell höhere Renditen abwerfen.

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Die Bilanz der Ära Mehdorn ist verheerend. Der Verkehrsanteil der Bahn ist in den letzten zehn Jahren nicht gewachsen, im Nahverkehr betreiben die Regionalgesellschaften Selbstbedienung an den Landeshaushalten und streichen Monopolgewinne ein. Das Netz wird gestutzt, der Wettbewerb auf der Schiene verhindert, und die DB entwickelt sich dank staatlicher Garantien zum größten Straßenspediteur. Das alles geschieht im Zeichen des Fetischs Börsengang.

Die katastrophalen Ergebnisse erlauben nur eine vernünftige Konsequenz: Mehdorn entlassen und das Netz verstaatlichen. Infrastruktur bleibt eine Kernaufgabe des Staates, im Falle der Regionalnetze der Bahn am besten in der Verantwortung der Länder. Nur die ICE-Strecken sollten beim Bund bleiben. Wenn dann endlich Wettbewerb im Bahnverkehr einsetzt, können die DB-Transportgesellschaften bedenkenlos an die Börse gebracht werden, aber ohne das Netz.

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[Boris Palmer in der Taz]

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