Von wegen Meinungsfreiheit (ii)
Freitag, 10. Februar 2006Einen Film sehen, bevor er verboten wird:
In einem sehr lesenswerten Text schreibt der Regisseur Jan Henrik Stahlberg (Muxmäuschenstill) über die Schwierigkeiten, einen Spielfilm über eine hypothetische Entführung von Silvio Berlusconi zu drehen (FAZ v. heute, Seite 46):
Zunächst raten ihm seine Anwälte dringend ab. Die dann geplante Persiflage im Mickymaus-Stil wird wegen erwarteter Schwierigkeiten mit Disney umgeschrieben, der Anwalt springt ab, weil er einen Auftrag für Berlusconi übernommen hat und am Ende wird er in Italien nicht aufgeführt, weil alle italienischen Festivals, Verleiher und Sender wegen erwarteter Schwierigkeiten ablehnen.
Nun ist der Film rechtzeitig vor den italienischen Wahlen im Mai fertig und wird heute auf der Berlinale im Zoopalast uraufgeführt. Für die Wiederholung morgen gibt es noch Karten.
Vier Stunden später sitze ich betrunken und sehr müde in der Küche und höre meinem Anwalt zu, der mir freundlich erklärt, daß es einen Grund gibt, warum bisher weder Bush noch Putin, noch sonstwer im Film entführt wurde. Es geht ganz einfach nicht — juristisch gesehen.
Lucia ist am Boden zerstört. Ich berichte ihr wieder und wieder, daß der Film klar als Satire erkennbar sein müsse, wenn man überhaupt einen lebenden Menschen entführen wolle und der Tatbestand der Entführung — selbst einer Person der Zeitgeschichte, was ich gerade gelernt habe — gegen die Menschenwürde verstößt. Lucia fragt mich, ob es hilft, die Entführer mit Masken oder mit Schleifen im Haar auftreten zu lassen, und versteht nicht, was denn genau eine Satire sei? Ich rufe meinen Anwalt wieder an, weil auch ich es nicht verstanden habe, und der meint, das sei genau das Schwierige, weil jeder Richter anders reagiere und er uns kein Rezept anbieten könne. Sonst wäre er nicht Anwalt, sondern Drehbuchautor. Ich lege auf und trinke ein Bier. Mittlerweile haben wir bei sieben Anwälten, in Italien und Deutschland, Meinungen eingeholt, und es ist tatsächlich so: Auch jetzt, vor unserer Premiere auf der Berlinale, können wir weder wissen, wie ein deutscher Richter, noch wie sein italienischer Kollege entscheiden wird, wenn Berlusconi wirklich klagt.
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Als ich meinen Anwalt kurz darauf anrufe, findet der das tatsächlich auch eine gute Idee, warnt mich aber vor Disney. Die seien noch sensibler als Berlusconi selber, und dann hätten wir, wenn wir deren Figuren in den Schmutz zögen, gleich zwei Schlachten zu schlagen. Ich sage, daß sie ganz im Gegenteil unsere Helden seien, aber mein Anwalt meint nur, das käme aufs gleiche hinaus.
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Die Bänder werden sofort kopiert, nach Deutschland gebracht, die Paranoia der Figuren ist nur noch schwer von unseren echten Gefühlen zu unterscheiden. Der Film wird in Berlin geschnitten, und unser neuer Anwalt sitzt im Schneideraum mal daneben, mal bekomme ich ein Fax aus der Kanzlei, was man am besten doch rausschneiden sollte, wenn man nicht schon in erster Instanz gegen Berlusconis Anwälte untergehen will. Und dann ist der Film im Winter 2005 fertig. Rechtzeitig zu den Wahlen in Italien, die am 9. April 2006 entschieden sein werden.
[…] „Bye, bye Berlusconi“ ist dann doch nur eher so mittel. Die Idee, das Making-Of zum eigentlichen Film zu machen, ist zwar sehr überzeugend umgesetzt, der Hauptdarsteller sieht B. nicht nur äußerst ähnlich, er spielt auch grandios. Aber die Story ist etwas dünn, zu pathetisch und die Stammheim-Reminiszenz, also bitte. […]