Polizeiruf 110: Schneewittchen (MDR)

Dienstag, 14. Februar 2006

Es hätte so einfach sein können: ein abstruses Boulevard-Thema (Vergewaltigungsdrogen) und ein Polizeiruf aus Halle, Garant für Langeweile. War es aber zum Glück nicht.

Zu den KO-Tropfen: gelesen hatte ich schon davon auf Vermischtes-Seiten, das Ganze jedoch für eine Legende gehalten. Gestern gab es dann aber eine Dokumentation im Südwest-Fernsehen: das Ganze scheint ein wirkliches, ziemlich ekliges Phänomen zu sein: Frauen wachen auf, mißbraucht, ohne eine Erinnerung an das, was passiert ist. Die Drogen sind geschmacks- und geruchlos und nach wenigen Tagen nicht mehr nachweisbar (die bekannteste: GHB oder Liquid Extasy wird auch vom Körper produziert).

Die Fälle häufen sich in letzter Zeit in Deutschland, die Täter kommen oft aus dem Bekanntenkreis. Man geht von einer sehr hohen Dunkelziffer aus, da die Opfer meist auf eine Anzeige verzichten, gerade weil sie sich an nichts erinnern können. Hinzu kommt, daß viele Polizisten ahnungslos sind und den Opfern nicht glauben. Insofern ist eine solche Dokumentation keine schlechte Sache, wenn dadurch für Aufklärung gesorgt wird.

Der Polizeiruf (Buch: Rodica Döhnert, Regie Christiane Balthasar) hatte für Hallenser Verhältnisse erstaunlich viele tatsächliche Krimi-Elemente. Die Auflösung war weder völlig abstrus, noch vorher zu erraten. Ein klassischer Whodunit mit überraschenden Wendungen:

Ein Mädchen wird verwahrlost im Park aufgegriffen. Augenscheinlich ist sie vergewaltigt worden, kann sich aber an nichts erinnern. Kurze Zeit darauf wird ihre Freundin gefunden, tot. Es entwickelt sich ein bunter Reigen von Verdächtigen: der Freund der Vergewaltigten, der Vater, eine Drogen-WG (das ist der Osten: große Jugendstilvilla mit Fenstern zum Verlieben), ein Möbelhersteller, seine Angestellten. Die Ermittlungen werden erschwert, weil viele ganz unterschiedliche Dinge zu verschweigen haben und deswegen widersprüchliche Aussagen machen.

Nun gut, die Witze sind weiterhin etwas flau, die Sprache schlampig („schnellstmöglichst”), die kleinen Reibereien der Kommissare affig, das Tempo zu langsam, das Schauspiel ungenau. Aber es scheint wieder Hoffnung zu geben auf gute Filme aus Halle.

Trotzdem bleibt ein ungutes Gefühl: Polizeiruf und Tatort eignen sich auf Grund der hohen Einschaltquoten zur Publikumsbelehrung. Gegen gesellschaftlich relevante Drehbücher ist auch nichts einzuwenden. Man will aber nicht bemerken, daß man belehrt wird. An erster Stelle muß die Unterhaltung stehen. Das kann ernsthaft geschehen, wie in diversen Schimanski-Folgen oder auch abstrus wie im HR-Tatort Herzversagen. In “Schneewittchen” jedoch wird alles Schritt für Schritt wie im Lehrbuch vorgeführt.

[Erstsendung 12. Februar 2006]

4 Responses to “Polizeiruf 110: Schneewittchen (MDR)”

  1. olimdevona says:

    Mir fällt auf, dass in der letzten Zeit immer wieder sonntags ein gewisses Nörgeln an den Deutsch Leistungen der tatort und Polizeiruf Schauspieler in stralaus Wohnzimmer auftritt. Ich glaube Sie verkennen hier, dass es gesprochene Alltagssprache und die schriftlich fixierte Litertatursprache gibt, die verschiedenen Standarts unterliegt. Den Kampf um die Vorherrschaft hat zum Glück noch keiner gewonnen, denn beide Sprachen reagieren dynamisch auf die jeweiligen gegenseitigen Einfluesse, das macht es für mich spannend Interviews zu lesen (ich meine richtige und nicht der domestizierte Schachsinn, den uns die Zeitungen anbieten) und damals so ermüdend mir “Kabale und Liebe” reinzuziehen. Aber ich schweife ab.

    Schauspieler bedienen sich neben den Texten aus dem Drehbuch auch der spontanen Äußerung, die aus dem Alltagssprachlichen kommt. Ich bezweifle das “schnellstmöglich” Teil des Drehbuches ist, aber ich finde es schön, dass wir hier kein Theaterstück aus der sterilen Literatur angeboten bekommen, sondern ein buntes lebendiges (nichtintellektualistisches) Bild der Zeit. Schauspieler und Spontanität sind ein Teil davon.

    Der Traum von Reinheit ist ein uralter menschlicher Traum. Er existiert aber immer nur im Ideal, nicht in der Praxis. Auch wenn unsere eigene Vergangenheit den Wahnsinn des Reinheitstraumes versuchte immer wieder umzusetzen, andere Leute aus der eigenen Gesellschaft aufgrund von Herkunft, Religion, sexueller Vorliebe, etc. versucht auch heute noch auszuschließen, im Namen der Reinheit wird so manche Untat begangen. Das Standartisieren einer Sprache mag da weniger auffallend sein, sie unterliegt diesem Traum jedoch auch. And by the way jest i prichiny pour le pureté de la longue. Aber wie sagen die Ethnologen: “Rebellion ist im gewissen Maße gedultetes Element in einer menschlichen Streitkultur.” (Bagratsky: Urproduktion, S ???) Und “schnellstmöglich”, “zeitnah”, “verfickt” sind da durchaus duldbar. Oder nicht Monsieur?

    • stralau says:

      Verfickte Scheiße. Das ist doch nur Deine bekackte Meinung, Mann.

      Mir geht es nicht um Hochsprache. Aber ich erwarte von Autoren, also Menschen, die sich beruflich mit Sprache befassen, schon Genauigkeit. Das kann auch genau beobachtete Alltagssprache sein und ein “verfickt” würde ich schon aus Prinzip begrüßen.

      Aber genauso stört mich auch schlecht beobachtete Umgangssprache, z.B. anbiedernde Jugendsprache, der man nur zu deutlich anmerkt, daß sie von Lehrern stammt.

      Ich würde mich auch sehr wundern, wenn im Film alle Hochsprache sprächen, aber ich erwarte, daß Leute, die Sprache als Werkzeug einsetzen, dies auch ordentlich tun — genauso wie ich von einem Klempner ordentlich verlegte Rohre erwarte.

      Ich glaube also, was die Sprache angeht, reden wir aneinander vorbei — ich kenne sehr wohl den Unterschied zwischen Hoch- und Umgangssprache und ich kritisiere niemanden für seine Umgangssprache. Mir geht es auch nicht um Reinheit.

      Jedoch: Sprache ist Stilmittel genau wie Musik, Kamera und Schnitt. Und genauso wie man jede gute Story mit schlechter Musik kaputtmachen kann, fällt schlechte Sprache eben auch auf.

      Sorgfältigen Umgang (!) mit Umgangssprache findet man z.B. bei Salinger — der hat aber schon sehr genau hingeschaut.

      Das Zitat verstehe ich in diesem Zusammenhang nicht. Es ging doch gar nicht um Streitkultur.

      Nun zur Selbstkritik:

      1. Ich lehne mich natürlich ganz schön weit aus dem Fenster, wenn diese Kritik in einem Blog steht, das selbst nicht ganz frei von Nachlässigkeiten ist. Ich erblasse auch immer wieder, wenn ich lese, wie präzise sich andere ausdrücken können.

      Ich stehe dennoch dazu — diese Tatortkritiken (und hier ist Bloggen eben völlig undemokratisch) sind subjektiv und genauso wie drinsteht, was ich mag, steht auch drin, was mich stört .

      Olim, ich glaube, das Mißverständnis liegt darin, daß Du das als Seminartext liest. Das ist es aber nicht.

      2. Peinlich ist mir aber, daß “schnellstmöglichst” (schnellstmöglich wäre ja völlig ok gewesen) vielleicht gar keine Nachlässigkeit war, sondern ein Witz. Das treibt mir nun allerdings doch die Schamesröte ins Gesicht.

      Mir waren vorgestern einige schiefe Metaphern aufgefallen, hängengeblieben ist leider nur “schnellstmöglichst” und aufgenommen habe ich den Film nicht.

      3. Ein bißchen zwanghaft bin ich tatsächlich. Sieh es mir bitte nach.

  2. Für mich ist ein Whodunit-Krimi immer dann schwach, wenn recht schnell ein Verdächtigter präsentiert wird, der Zuschauer jedoch aufgrund der Filmlaufzeit genau weiss, das er es nicht ist, und zwar aus exakt diesem Grund. Hier wechselten die Verdächtigten derartig schnell, dass am Ende (etwa 15 Minuten vor Schluss) nur noch die übrigblieben, die es dann nachher auch getan hatten.

    Und das der “gute Freund”, der die Rede am Grab der Schülerin halten soll, nicht koscher war, konnte man dem Schauspieler leider schon ansehen (oder wirkte da nur mein persönliches Klischee?)

    Und das GHB in der Möbelindustrie eingesetzt wird, habe ich noch nie gehört.

    Das die Sprache schlampig ist, stört mich allerdings nicht; Hochsprache sozusagen zu zelebrieren geht in solchen Filmen m. E. nicht – sofort käme das Argument des fehlenden Realitätsbezugs (nicht, dass ich Dir das unterstelle – eher allgemein gesagt).

    Als Typen überzeugen mich die Kommissare auch nicht vollständig. Aber ab und an sehe ich recht gerne mal betulich agierende; es ist so beruhigend.

    • stralau says:

      Für mich ist ein Whodunit-Krimi immer dann schwach, wenn recht schnell ein Verdächtigter präsentiert wird, der Zuschauer jedoch aufgrund der Filmlaufzeit genau weiss, das er es nicht ist, und zwar aus exakt diesem Grund.

      Stimmt. Das ist tatsächlich ein Problem. Ich bin da allerdings nachsichtig, weil ich mir beim Miträtseln solche Abkürzungen nicht erlaube — es macht mehr Spaß, sich nicht aus dem Film hinauszubegeben.

      Ansonsten klar, da ist noch Spielraum nach oben (aua!), aber es ist eben Halle, da darf man nicht zu viel erwarten, wenn man nicht enttäuscht werden will.

Leave a Reply to Gregor Keuschnig