
- Spiegel 6/2006
Na also. Nach der kalkulierten Provokation ist der Brand jetzt ausgebrochen und die Presse echauffiert sich über ach so rückständige Muslime.
Strafgesetzbuch §166 [Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen]:
(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs.3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs.3) eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
Hat eigentlich schon jemand Anzeige erstattet? Immerhin scheinen ja auch deutsche Zeitungen die Karikaturen nachgedruckt zu haben, auch wenn nirgendwo steht, welche.
Religionsfreiheit bedeutet im übrigen nicht, daß Religion Privatsache ist, sondern daß niemand in der Ausübung seiner Religion behindert werden darf und daß der Staat weltanschaulich neutral (auch Atheismus bzw. Areligiosität sind letztlich Formen von Weltanschauung) ist. Auch das ist ein Ergebnis der Aufklärung.
Im übrigen ist unsere Gesellschaft bei weitem nicht so tolerant, wie momentan glauben gemacht wird. Auch bei uns gibt es Tabus, die mehr oder weniger streng sanktioniert werden:
- Diskriminierung bestimmter Minderheiten
- Kopftuchtragen im Schuldienst
- Darstellung von Kinderpornographie
- Benutzung der Symbole von Organisationen des Dritten Reiches
- Verbreitung der Auschwitzlüge
Diese Tabus existieren aus mehr oder weniger guten Gründen. Sie zeigen aber, daß die Meinungsfreiheit auch bei uns Einschränkungen unterliegt. Dabei ist es nicht ganz egal, welche Einschränkungen das sind — das kann schnell willkürlich werden. Und im Zweifel ist es besser zuzulassen, als zu verbieten. Dennoch stimmt es eben nicht, daß, wie momentan pathetisch verkündet wird, die Meinungsfreiheit höher als alle anderen Grundsätze steht.
Claus Malzahn, der Luther gegen Bin Laden in Stellung bringen muß, um die Unterlegenheit des Islam belegen zu können, fordert, mehr Demokratie zu wagen. Vertrauensbildende Maßnahmen sehen anders aus.