Archiv für Februar 2006

Auf der Potsdamer Straße

Mittwoch, 8. Februar 2006

Hyla, Hyla, weiße Gänse, Hyla, Hyla,
Auf der Donau. Was du begehrt hast,
Das hast du bekommen. Jetzt sitze und staune.

[hier]

Gut bedient. Dicke Käsestullen. Falsche Patina. Reise geplant.

Und auf der Schönhauser ist immer noch Konnopke.

(Tug. Tug.)

Tatort: Das ewig Böse (WDR)

Mittwoch, 8. Februar 2006

Jungejungejunge. Ich weiß immer nicht so genau, ob das jetzt schon peinlich ist oder nicht. Dieses klamottenhafte des Münster-Tatorts. Doch. Ist es. Vor allem der eitle Pathologe Ludwig Börne (Jan Josef Liefers) ist mir deutlich zu überzeichnet.

Auch die Story (Buch und Regie: Rainer Matsutani) fängt hanebüchen an: die Enkelin (Teresa Weißbach) des verstorbenen Keks-Moguls Stettenkamp soll unter Hypnose ein Kinderlied singen. Stattdessen berichtet sie vom Mord am Großvater. Daraus entwickelt sich dann aber doch ein ganz anschaulicher Agatha-Christie-Fall, in dem es viel zu knobeln gibt und die Motive und Beweisstücke dem Zuschauer hübsch scheibchenweise vorgesetzt werden.

Aber die in diesen verwickelten Personen sind viel zu klischeehaft: Börnes autoritäre Lehrerin (Christel Peters), der dekadente Erbe, die gestrenge Mutter, die devote Tochter und auch die Nietzsche-Zitate sind zu arg aufgetragen.

Die Musik (Nikos Platyrachos) führt den Zuschauer wieder einmal viel zu streng an der Handlung entlang. Auch die Unaufmerksamsten bekommen mitgeteilt, wann es spannend werden soll.

Axel Prahl hingegen kann einfach nichts falschmachen.

[Erstsendung: 5. Februar 2006]

Anteilnehmende Beobachtung

Montag, 6. Februar 2006

Außer lauter langweiligen Lifestyle-Texten hat die Taz ganz großartige Reportagetalente. Thomas Feix in einem erschütternden Bericht über drei Verlierer in Mecklenburg Brandenburg (und auch die Illustrationen von Oliver Sperl sind sehr beeindruckend):

[]

Es ist nicht die Hühnerkacke auf dem Fußboden der Küche, es sind nicht die randvollen Aschenbecher, es ist nicht der Geruch, der sich in der Nase festsetzt. Es stört nicht einmal die Tristesse in den Worten und Gesten. Das, was einem seltsam vorkommt, ist, daß den dreien gegenüber keine Gefühle entstehen. Kein Mitleid, kein Abscheu, nichts. Man sieht sie sich an und wie sie leben und denkt: Aha. Gerhard, Heinz und Burkhard haben die Probleme, die alle haben. Alkohol, Einsamkeit, Resignation, Depression, die Macht des Alltags. Träume und Sehnsüchte, die nie in Erfüllung gegangen sind. Die drei haben eine Möglichkeit gefunden, damit umzugehen. Sie bleiben innerhalb der Mauer, eingeschlossen mit dem, was sie bewegt.

[]

Von wegen Meinungsfreiheit

Sonntag, 5. Februar 2006
Spiegel 6/2006
Spiegel 6/2006

Na also. Nach der kalkulierten Provokation ist der Brand jetzt ausgebrochen und die Presse echauffiert sich über ach so rückständige Muslime.

Strafgesetzbuch §166 [Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen]:

(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs.3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs.3) eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

Hat eigentlich schon jemand Anzeige erstattet? Immerhin scheinen ja auch deutsche Zeitungen die Karikaturen nachgedruckt zu haben, auch wenn nirgendwo steht, welche.

Religionsfreiheit bedeutet im übrigen nicht, daß Religion Privatsache ist, sondern daß niemand in der Ausübung seiner Religion behindert werden darf und daß der Staat weltanschaulich neutral (auch Atheismus bzw. Areligiosität sind letztlich Formen von Weltanschauung) ist. Auch das ist ein Ergebnis der Aufklärung.

Im übrigen ist unsere Gesellschaft bei weitem nicht so tolerant, wie momentan glauben gemacht wird. Auch bei uns gibt es Tabus, die mehr oder weniger streng sanktioniert werden:

  • Diskriminierung bestimmter Minderheiten
  • Kopftuchtragen im Schuldienst
  • Darstellung von Kinderpornographie
  • Benutzung der Symbole von Organisationen des Dritten Reiches
  • Verbreitung der Auschwitzlüge

Diese Tabus existieren aus mehr oder weniger guten Gründen. Sie zeigen aber, daß die Meinungsfreiheit auch bei uns Einschränkungen unterliegt. Dabei ist es nicht ganz egal, welche Einschränkungen das sind — das kann schnell willkürlich werden. Und im Zweifel ist es besser zuzulassen, als zu verbieten. Dennoch stimmt es eben nicht, daß, wie momentan pathetisch verkündet wird, die Meinungsfreiheit höher als alle anderen Grundsätze steht.

Claus Malzahn, der Luther gegen Bin Laden in Stellung bringen muß, um die Unterlegenheit des Islam belegen zu können, fordert, mehr Demokratie zu wagen. Vertrauensbildende Maßnahmen sehen anders aus.

Denkwürdig …

Sonntag, 5. Februar 2006

… von einer Dame, die zum ersten Mal Helge Schneider sieht, gesagt zu bekommen: „Der ist ja wie du. So … verschroben“.

Dabei ist Helge Schneider doch eher wie 500beine.

Na ich geh mir dann mal ein Pfeifchen anzünden.

In der Schreinerstraße

Freitag, 3. Februar 2006

Friedrichshain im Sommer: Ein aufgedonnertes Dark-Wave-Paar auf dem Gehweg, hinter ihnen ein unauffällig gekleideter ungefähr fünfjähriger Junge.

Junge (quengelig): “Ich will nicht mit zum Geldautomaten.”
Vater (genervt): “Sollnwa deine Finga vakaufm, odawatt?”

Die Schatzinsel

Donnerstag, 2. Februar 2006
Alt-Stralau
Alt-Stralau, © Land Berlin/Thie

[…]

Das eigentliche Problem hat damit zu tun, daß Stralau, wie es werden soll, keine Geschichte haben darf. Oder nur dort, wo sie sich in das Konzept integrieren läßt.

[…]

Was man so findet, wenn man im Archiv der Berliner Zeitung stöbert: Die Schatzinsel. Von 2001, die Situation ist aber ziemlich gut getroffen.

Die Neubauten stehen immer noch leer, die Currywurstbude wurde von einer Bäckersimulation verdrängt, und der Garten von Michael Stalherm ist inzwischen geräumt. Eine Kaufhalle gibt es immer noch nicht. Inzwischen gab es hochtrabende Pläne von Floating Homes und Hochhausansiedlungen, aus denen bisher zum Glück nichts wurde.

Dänische Karikaturen

Donnerstag, 2. Februar 2006
  1. Natürlich kann man schreiben, was man will. Und der Staat garantiert die Pressefreiheit, soweit er dazu in der Lage ist.
  2. Jetzt aber so zu tun, als sei diese in Gefahr, ist lächerlich. Zensur sieht anders aus.
  3. Die Karikaturen mögen für jemanden, der im christlichen Abendland aufgewachsen ist, harmlos aussehen. Für Anhänger einer Religion mit strengerem Bilderverbot sind sie es nicht.
  4. Das heißt aber nicht, daß man sie verbieten sollte.
  5. Boykottaufrufe mit Morden zu gleichzusetzen, ist dumm und unsensibel.
  6. Ansonsten auch Wirres.

Der Kapitalvernichter

Mittwoch, 1. Februar 2006

[…]

In einem atemberaubenden Tempo, das sich der Fahrgast auch wünschen würde, werden seit einigen Jahren Weichen und Gleise abgebaut. Und das keineswegs nur auf wenig befahrenen Nebenstrecken, wo den verladenden Unternehmen die Anschlüsse in Serie gekündigt werden, sondern auch auf den Hauptbahnen.

So listet die Landesregierung von Baden-Württemberg allein auf den Haupteisenbahnstrecken 10 aktuell laufende oder geplante Maßnahmen zum Gleisrückbau mit erheblichen Einschränkungen der Streckenkapazität und der Betriebsqualität auf. Selbst vor dem Abbau des zweiten Gleises auf ganzen Streckenabschnitten schreckt die DB nicht zurück. Das hat man im Südwesten seit den Demontagen durch die Franzosen nicht mehr erlebt.

Den Rückbau von Überholungsgleisen zwischen Mannheim und Frankfurt musste kürzlich das Eisenbahnbundesamt untersagen. Von selbst wollte die DB Netz AG nicht einsehen, daß damit im Verspätungsfall gravierende Verschlechterungen verbunden wären, obwohl wegen des chronischen Engpasses zwischen Mannheim und Frankfurt eine neu ICE-Strecke in Planung ist.

Die planmäßige Zerstörung der Eisenbahninfrastruktur ist die Folge eines Konstruktionsfehlers der Bahnreform. Damals wurden Netz und Transport in eine gemeinsame Gesellschaft eingebracht. Der Effizienzdruck setzt deshalb genau am falschen Punkt an: Während der Monopolist Netz AG bis heute echten Wettbewerb auf dem Schienennetz verhindern konnte, wird die Infrastruktur betriebswirtschaftlichen Zwängen unterworfen und damit weggespart. Man stelle sich den Aufstand vor, wenn das Straßennetz in Deutschland plötzlich betriebswirtschaftlich gerechnet würde: Dann würde man nur Autobahnen, Bundesstraßen und einige viel befahrene Landesstraßen retten, während die meisten Gemeindeverbindungsstraßen geschlossen würden, weil sie sich nicht rechnen.

Zur Entfaltung des zerstörerischen Potentials der Bahnreform brauchte es aber noch einen Bahnchef mit der Durchsetzungskraft und ideologischen Fixiertheit von Hartmut Mehdorn. Seit er den Bahnkonzern auf den Börsengang trimmt, schafft die DB es sogar, eine eisenbahnfreundliche Politik ins Gegenteil zu verkehren. In den letzten fünf Jahren von Rot-Grün gab die DB zum Jahresende stets einen dreistelligen Millionenbetrag an Bundesmitteln für das Netz zurück, weil sie angeblich nicht in der Lage war, das Geld zu verbauen – insgesamt mindestens 1,4 Milliarden Euro. Das Problem ist: Die Deutsche Bahn will die Bundesgelder gar nicht, weil sie einen kleinen Anteil an Eigenmitteln zur Kofinanzierung aufbieten muß. Dieses Geld investiert sie aber lieber in Lkw-Frachtzentren in Kasachstan, die schnell höhere Renditen abwerfen.

[…]

Die Bilanz der Ära Mehdorn ist verheerend. Der Verkehrsanteil der Bahn ist in den letzten zehn Jahren nicht gewachsen, im Nahverkehr betreiben die Regionalgesellschaften Selbstbedienung an den Landeshaushalten und streichen Monopolgewinne ein. Das Netz wird gestutzt, der Wettbewerb auf der Schiene verhindert, und die DB entwickelt sich dank staatlicher Garantien zum größten Straßenspediteur. Das alles geschieht im Zeichen des Fetischs Börsengang.

Die katastrophalen Ergebnisse erlauben nur eine vernünftige Konsequenz: Mehdorn entlassen und das Netz verstaatlichen. Infrastruktur bleibt eine Kernaufgabe des Staates, im Falle der Regionalnetze der Bahn am besten in der Verantwortung der Länder. Nur die ICE-Strecken sollten beim Bund bleiben. Wenn dann endlich Wettbewerb im Bahnverkehr einsetzt, können die DB-Transportgesellschaften bedenkenlos an die Börse gebracht werden, aber ohne das Netz.

[…]

[Boris Palmer in der Taz]