Ich weiß nicht
Montag, 6. März 2006Tschuldigung, wenn ich mit Politik nerve. Nachdem die Wahlaufregung vorüber ist, scheint das Interesse nicht mehr groß zu sein. Ist auch ok, aber ein paar Fragen habe ich noch. Zum Beispiel, ob das emotionale Die-Oder-Wir der SPD im Wahlkampf wirklich klug war. Man könnte den Eindruck bekommen, daß die wahren Probleme dadurch unter den Teppich gekehrt wurden.
Ich weiß bis heute nicht, warum Schröder zurückgetreten ist. Ich sehe bis heute kein Konzept für die Zukunft der Kranken- und Rentenkassen. Und mir kann bis heute niemand erklären, was an Ein-Euro-Jobs gut ist.
Einige Dinge aber sind schon lange vor der Wahl schiefgelaufen:
Schon nach der 1998er Wahl war mir etwas mulmig, als sich die Grünen auf das Außen- und das Umweltministerium zurückzogen. Ja, Gesundheit hatten sie auch noch und Andrea Fischer war nicht die schlechteste.
Dennoch wäre das Verkehrs- oder das Innenministerium weit spannender gewesen. OK, Innen hätten sie vermutlich nicht bekommen, aber grüne Verkehrspolitik hätte die Zerschlagung der Bahn und Mehdorns Gang durch die Wand vielleicht etwas bremsen können. In diesem Bereich ist auch in Zukunft Raum für intelligente Ideen, die nur leider vermutlich nicht umgesetzt werden.
Weiterhin ist der Atomausstieg zu begrüßen, aber vermutlich haben die Grünen auch hier mehr Opfer gebracht, als ihnen guttat. Anders als mit Rücksicht auf Stammwähler und einem Sinn für öffentlich wirksame Themen kann man es nicht erklären, warum aus der Atomverstromung ausgestiegen wird, während in der Steinkohle mit Milliardenbeträgen neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Und nach der Wahl? Wenn der SPD-Vorsitzende heute auf dem Energiegipfel sagt “Energie ist die Zivilisationsfrage unserer Zeit”, warum wurde dann der Unkundige Sigmar Gabriel Umweltminister, wo die SPD doch den deutschen Experten für erneuerbare Energien im Bundestag hat?
Ich wünsche mir weniger Geschrei und mehr kluge Gedanken. Phoenix sendet Bundestagsdebatten aus den sechziger Jahren, in denen schwarz-weiße Abgeordnete mit Hornbrillen versuchen, sich mit Argumenten zu überzeugen. Sowas.
Ich überlege auch seit Mai vergangenen Jahres, warum Schröder diesen Schritt gemacht hat. Ich glaube nicht, dass es damit zu tun hat, dass er bald im Aufsichtsrat von Gazprom sitzt. Dies wäre viel zu primitiv.
Nach der verlorenen NRW-Wahl hatte er allerdings eine breite Front im Bundesrat gegen sich und – das habe ich neulich irgendwo gelesen – auch die ehrheit im Vermittlungsausschuss war dahin. De facto war Rot-Grün mindestens innenpolitisch (also auch ökonomisch) nicht mehr handlungsfähig. Gesetzesvorlagen wären zerrieben worden, so lange bis CDU/CSU entweder als “Retter” dargestanden hätten oder als “Verhinderer des schlimmsten”. Genau das war bei der gesundheitsreform zu beobachten, als die SPD massiv für die Praxisgebühr gebeutelt wurde, die die CDU eingebracht hatte.
Schröder hat die Grünen von Anfang an nicht besonders ernst genommen und als politische Rivalen betrachtet (Fischer ausgenommen). Daher mussten so wenig Ministerien wie möglich “grün” werden, in denen man etwas bewegen konnte. Trittin kannte Schröder aus Hannover (er war da bereits handzahm geworden). Wenn man tatsächlich grüne Politik hätte umsetzen wollen, dann hätte Bärbel Höhn ins Kabinett gehört; aber das war nicht durchzubringen und die farblose Frau Künast wurde Verbraucherschmutzministerin.
Sehr merkwürdig: Auch ich bleibe manchmal bei diesen Uralt-Debatten hängen und wundere mich nur noch. Aber idealisieren darf man auch diese Zeit nicht; es gab genug Abgründe.
Hinsichtlich Sigmar Gabriel vermag ich Trost zu spenden: Kommt dieses “Untier” Föderalismusreform so durch beide Häuser wie es derzeit aussieht, dann braucht man keinen Bundesumweltminister mehr. Wetten, er bleibt dennoch?
Die Frage war auch eher polemisch gemeint. Man könnte auch sagen: er hat sich gedrückt, als es schwierig wurde.
Hm, ich bin eigentlich weit entfernt, Schröder in Schutz zu nehmen, aber die Situation wäre auch nicht einfach gewesen. Politisch wäre er auf Gedeih und Verderb auf das Wohlwollen von Merkel/Stoiber angewiesen gewesen. Wenn er es sich wirklich hätte einfach machen wollen, dann hätte er die Hartz-Politik nicht durchgezogen.
Beck hat ihn als “Sozialstaats-Luther” bezeichnet. Finde ich schön.