Berliner Kurier: Schäuble an allem Schuld

Freitag, 21. April 2006

Daß Wolfgang Schäuble sich im Potsdamer Mordversuchsfalle ausgesprochen widerwärtig ausdrückt, ist bekannt. Welche Aussagen man von ihm aufgreift, sagt aber auch einiges über die Zitierenden: Scäuble (sic!) beleidigt die Ostdeutschen titelt die B.Z.A der Berliner Kurier im Namen der gekränkten Seelen.

Dabei hat er in diesem Punkt ja recht: anstatt beleidigt zu sein, sollte die Frage nach den Ursachen uns Ostdeutsche wirklich beschäftigen. Und es ist ja nicht so, daß der Haß auf das Andere plötzlich mit der Wende über uns hereingebrochen wäre: üble Übergriffe gab es auch schon in den achtziger Jahren.

Und: Wir werden erst dann ernstgenommen, wenn man uns auch kritisieren kann, ohne beleidigt angekuckt zu werden.

[Jetzt aber Schluß mit dem Wir.]

3 Responses to “Berliner Kurier: Schäuble an allem Schuld”

  1. gruber says:

    Der Kerl ist tatsächlich nicht unschuldig, finde ich. Du hast recht: es gab auch in den 80ern rassistische Übergriffe. Die gibt es aber auch in den Vororten von Osnabrück. Eine rassistische, zum Rechtsextremismus neigende Provinz gab es jedoch in den 80ern noch nicht – dazu mußten erst Verarmung, Abwanderung der arbeitsfähigen Bevölkerungsanteile in den Westen und die Erkenntnis kommen, daß man nicht Teil der Bundesrepublik ist: nicht durch die politischen Parteien repräsentiert, nicht kulturell integriert und nicht ökonomisch partizipierend.
    Laßt uns nicht vergessen, daß die Art, wie die Wiedervereinigung zustande kam, die Festlegung der Besitzverhältnisse: die Überschreibung des Eigentums an Grund un Boden und der Industriebetriebe an Westdeutsche, ganz buchstäblich auf Schäuble zurückgeht, der dem erpreßten Stasi-Spitzel de Maizere den Vereinigungsvertrag diktierte.

    • stralau says:

      Die von Dir genannten Phänomene spielen sicher eine Rolle. Ich habe aber auch anderes erlebt. Angefangen von offen rassistischer Propaganda im ND anläßlich der Solidarnosc-Streiks in Polen. Über die Abschottung der Vertragsarbeiter, die, sobald sie nicht mehr arbeitsfähig waren, uninteressant wurden — schwangere Frauen wurden vor die Wahl gestellt: Abtreibung oder Ausweisung. Bis hin zum ignoranten Umgang mit den Überfällen in der Zionskirche. Die Reaktion meiner Lehrer zu DDR-Zeiten war auch interessant: die Skinheads waren verirrte Schäfchen, während die wahren Staatsfeinde anders aussahen. Ähnlich bekam ich bei der Anzeige von Überfällen in den frühen Neunzigern zu spüren, daß die Polizei zwanghaft darauf achtete, den Anschein des Rechtsradikalismus im Anzeigeprotokoll zu vermeiden.

      Und in die gleiche Reihe paßt meiner Meinung nach die Kurier-Schlagzeile: die Wende war der große Bruch, an das davor mag man sich nur noch nostalgisch erinnern. Und wer an dieser Illusion rührt, ist der Spielverderber. (Damit will ich Schäubles sonstige üble Propaganda aber nicht rechtfertigen).

      Die Übergriffe sind das eine und es gibt sie auch (in wesentlich geringerem Ausmaß) in der westdeutschen Provinz. Die klammheimliche Solidarität mit den Verbrechern ist aber schon ziemlich spezifisch.

      Schlimmer wirkt sich meiner Meinung nach die Abschaffung der ostdeutschen Presse nach der Wende aus, die eine wirkliche Debatte eben nur im Sommerloch des gesamtdeutschen (westlich geprägten) Feuilletons zuläßt, was dann mit dem entsprechenden Ethnologenblick einhergeht.

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