Am Bahndamm, Teil 1

Freitag, 8. September 2006

[siehe Einleitung]

Die größenwahnsinnigen Bahnbauten der Neunziger lassen vergessen, daß die Bahnsituation in Berlin vor nicht allzu langer Zeit ziemlich absurd war.

Am bekanntesten sind noch die Geisterbahnhöfe, auf denen S- und U-Bahnlinien ohne Halt von West durch Ost nach West fuhren sowie Friedrichstraße, exterritorialer Umsteigepunkt für Westberliner, die hier auf ost-berliner Gebiet zwischen zwei (West-) S-, einer U-Bahnlinie und der Fernbahn ohne Grenzkontrolle wechseln konnten. Ein weiterer Bahnsteig wurde, durch eine Stahlwand abgetrennt, für Ost-Berliner zum Ende der Stadtbahn.

Nachkriegslogo der Deutschen Reichsbahn

Im Potsdamer Abkommen von 1945 war festgelegt, daß die Eisenbahn in ganz Berlin von der Deutschen Reichsbahn betrieben wird. Deren Verwaltung lag in Ost-Berlin. Diese Tatsache hatte unter anderem den vom DGB initiierten S-Bahn-Boykott zur Folge: “Der S-Bahn-Fahrer zahlt den Stacheldraht”. Im Zuge des Boykotts wurden Autobahnbusse eingerichtet, die parallel fuhren. Auf westberliner Gebiet wurden alle Hinweise auf die S-Bahn außerhalb der Bahnhöfe entfernt. Auch die BVG druckte die S-Bahn in ihren Plänen nicht ab. So gab es denn neben den Geisterbahnhöfen im Osten ein Geisterverkehrsmittel im Westen, das mit leeren Wagen, die in den zwanziger Jahren gebaut wurden, auf maroden Strecken fuhr. Bürgerinitiativen, die mit aufkommendem Ökologie-Bewußtsein eine Renaissance der S-Bahn einforderten, wurden unter Kommunismus-Verdacht gestellt. 1980 kam es nach Einschnitten ins Netz zum Reichsbahner-Streik in West-Berlin und in Folge zur Übertragung der Betriebsrechte von der Reichsbahn an die BVG.

Weiterhin konnten stillgelegte Bahnflächen in West-Berlin nur mit Zustimmung der Reichsbahn bzw. der Alliierten abgerissen oder bebaut werden. Und so gab es dann nach dem Mauerfall auf vielen der im Zuge des Boykotts stillgelegten Bahnlinien eine einzigartige Situation, in der großflächig alte Gleise und Bahnhofsanlagen überwuchert waren von Pflanzen, die andernorts am Aussterben waren. Seltene Pflanzen, deren Samen es vorher aus vielen Gegenden Europas mit der Bahn bis hierher geschafft hatten.

Ein großer Teil dieser Strecken ist mittlerweile wieder in Betrieb genommen worden, andere wurden verkauft und bebaut. An einigen Stellen jedoch wuchert es weiter.

[Ok, wir sind noch nicht losgewandert, aber ein bißchen Einführung hilft später.]

[Teil 2]
[Teil 3]
[Teil 4]
[Teil 5]
[Teil 6]

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