Im Irrenhaus: Kochstraße bleibt!
Donnerstag, 18. Januar 2007Es ist verrückt: am Sonntag kann ich über die Umbenennung einer Straße abstimmen, die in Kreuzberg, fast schon in Mitte liegt. Die direkten Anwohner in Mitte hingegen werden nicht gefragt.
Es ist verrückt: die Argumente der Initiatoren sind einigermaßen widerlich und populistisch. Noch dazu ist es die völlig unbedeutende Kreuzberger CDU. Dennoch werde ich wohl hingehen und für den Erhalt der Kochstraße stimmen.
Und die Taz als Initiatorin der Umbenennung? Ist natürlich erheblich sympathischer. Und ich kann ihre Argumente wirklich nachvollziehen: man sollte tatsächlich eine wichtige Straße in Berlin nach Dutschke benennen1.
Allerdings scheint es der Taz vor allem um eine schicke Adresse zu gehen. Warum sonst setzt man sich über das Gebot hinweg, Straßen bis zum Gleichstand nur noch nach Frauen zu benennen?
Beide Seiten unterschlagen den wichtigsten historischen Bezug, den die Kochstraße hat: nach der Absetzung des Polizeipräsidenten und USPD-Mitglieds Emil Eichhorn besetzen Arbeiter am 5. Januar 1919 Zeitungsredaktionen in der Kochstraße. Damit beginnt der Spartakusaufstand: der Anfang vom Ende der Novemberrevolution. Am 8. Januar beginnt die blutige Niederschlagung durch Gustav („einer muß den Bluthund spielen“) Noske. Am 15 Januar werden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordet. Infolgedessen kommt es im ganzen Reich zu Aufständen und Kämpfen mit Tausenden von Toten. Als Zentrum der Besetzung des historischen Zeitungsviertels steht die Kochstraße heute in allen Geschichtsbüchern. Es wäre schön, wenn sie auch in der Stadt auffindbar bliebe.
Schade, daß die Taz zwar historisch argumentiert, aber die Geschichte für sie erst 1968 beginnt. Und die CDU? Bringt den Straßenstifter Johann Jakob Koch, verzichtet aber auf 1919.
Beiden Seiten geht es vor allem darum, alte Kulturkämpfe auszufechten. Wir Berliner sollten uns davon nicht beeinflussen lassen: in 5 Jahren nimmt niemand mehr die Positionen in diesem Streit wahr. Den Straßennamen schon.
Gleichzeitig zeigt sich an dieser Abstimmung, wie absurd der Zustand der direkten Beteiligung des Volkes ist: zu so einem vergleichsweise symbolischen und populistischen Teilproblem gibt es eine Volksabstimmung. Und nächstens dann wahrscheinlich Tempelhof. Was dagegen fehlt, ist echte Beteiligung, zum Beispiel an Planungsverfahren zur Stadtentwicklung. Hier hätten Bürger tatsächlich Kompetenz und Interesse.
Dazu paßt, daß die Abstimmung in einem Lokal namens “Irrenhaus” stattfindet.
1Dann aber ästhetischer: Dutschkestraße statt Rudi-Dutschke-Straße. Dieser Trend zu Bindestrich-Benamsung ist doch nicht schön.
Endlich.
Ein Statement zu dieser Sache, daß Hand und Fuß hat und zum folgerichtigen Ergebnis kommt. Ich hoffe – glaube es aber nicht – daß die Kochstraße Kochstraße bleibt, daß Interesse der meisten wird wohl zu gering sein. Ich darf als Exfriedrichshainer leider nicht mitspielen.
Ich denke, dass die meisten Berliner – wie ich – mit “Kochstraße” Springer und Checkpoint Charlie und nicht Spartakus-Aufstand assoziieren. Als Anknüpfungspunkt bliebe aber die Kochstraße durch ihren westlichen Teil und den U-Bahnhof erhalten.
Vielleicht wäre es auch im Sinne der Straßenkämpfer von 1919, wenn den Straßenkämpfern von 1968 direkt vor der Springer-Zentrale gedacht würde.
Manfred
Vielleicht. Vielleicht auch nicht.
Wie gesagt, ich habe nichts dagegen, daß Dutschkes gedacht wird. Aber „direkt vor der Springer-Zentrale“ als Argument für die Umbenennung finde ich ein bißchen zu sehr mit aktueller Tagespolitik argumentiert. Auch wenn die Taz sich immer wieder mit dieser Art von Häme hervortut. Man könnte Springer ja auch eine große Gedenktafel vors Haus stellen.
Zumal die Kochstraße als Begrenzung des alten Berliner Stadtkerns sowie als Zentrum des Zeitungsviertels eine Geschichte hat, die noch über Spartakus hinausgeht. Und Checkpoint Charlie kommt noch dazu.
Ein ähnliches Unding war natürlich auch die Umbenennung Lindenstraße in
Unter den AchselnAxel-Springer-Straße. Damals gab es immerhin auch öffentlichen Protest.Mir scheint, hier wird mit Straßenumbennungen symbolische Politik gemacht, um in der Gegenwart bestimmte Kämpfe auszufechten. Um die Vergangenheit geht es den Akteuren nicht. Es ist so eine Fortsetzung der Straßenumbenennungspolitik der DDR-Zeit und der Berliner Großen Koalition der Neunziger Jahre.
[…] Kompromisse sind manchmal schwer möglich. Wie bei der Tempelhofabstimmung oder der über die Umbenennung der Kochstraße stehen sich durch die Ja/Nein-Entscheidung zwei Seiten gegenüber, die nicht mehr miteinander […]