Polizeiruf 110: Taubers Angst (BR)
Montag, 5. Februar 2007Mit Jürgen Tauber hat der Bayerische Rundfunk eine außergewöhnliche Figur geschaffen. Mit Edgar Selge hat der Münchner Polizeiruf einen außergewöhnlichen Schauspieler engagiert. Niemand im deutschen Krimi-Gewerbe spielt so präzise, mit so viel Präsenz und Einsatz.
Und im Unterschied zur letzten Folge stimmte dieses Mal auch die Geschichte (Buch und Regie: Klaus Krämer): Eine Prostituierte wird tot in der Isar aufgefunden, erwürgt. Schnell verdächtig ist ihr letzter Kunde, der Geschäftsmann Hermann Denninger (Herbert Knaup), der im Hotel residiert. An dieser Stelle wird das Buch ein wenig unglaubwürdig: Denninger ist nach meinem Geschmack etwas zu abweisend, die Polizei beginnt zu früh mit Durchsuchung und Verhaftung und Denninger läßt sich in U-Haft ohne Anwalt vernehmen.
Was dann folgt ist allerdings ganz großes Kino: Denninger, dem schon vorher ein Hang zu Fessel- und Würgespielen nachgesagt wird, geht, nach einem Trick Taubers, auf diesen los und würgt ihn bis kurz vor die Bewußtlosigkeit. Von da an dreht sich der Film noch stärker allein um die Person Taubers als es in den vergangenen Folgen schon der Fall war. Der sonst so selbstsichere Tauber bekommt Angst. Er treibt sich nachts in Kneipen herum (dabei mal wieder sehr schön: der Einarmige im Mantel des Todes), trinkt, um schlafen zu können, macht Schreibfehler und bringt sich beruflich in Herbert-Leichtfuß-Situationen.
Nachdem er seine Kollegin vorher immer von oben herab behandelte, ist er es jetzt, der eigentlich Hilfe benötigte. Und diese Suche wird in kleinen anrührenden Gesten veranschaulicht: wie er sich an der Wand festhält. Wie ihm sein trauriger Blick nur in unkontrollierten Situationen entfleucht, die er Sekunden später wieder in der Gewalt zu haben vorgibt. Doch die Hilfe, die er sucht, bekommt er nicht so schnell, wie er es nötig hätte – es gibt keine Erlösung: sein Therapeut hat keine Zeit, seine Kollegin ist enttäuscht, der Chef genervt von seiner Unprofessionalität..
Dem Zuschauer wird es nicht leicht gemacht, weil Tauber mit seiner sich entwickelnden Paranoia immer unglaubwürdiger wird. Zugleich wird auch die Version, die Denninger auf das Geschehen hat, plausibel dargestellt, indem sie tatsächlich noch einmal nachgespielt wird. Und so muß Tauber durch die Nacht irren, um seine Wahrheit beweisen zu können. Alles dreht sich darum, wie Denninger es geschafft haben kann, die Leiche aus seinem Apartment (Tauber sagt sympathischerweise Apartmang) in die Tiefgarage zu bringen. Hübsch, wie die Hotelangestellte und er das in der Nacht nachspielen. Netter Einfall auch, im Überwachungsraum des Hotels beim Ansehen der alten Aufnahmen auf der Echtzeitkamera zu festzustellen, wie die Täter flüchten.
Dem Zuschauer wird es auch nicht leicht gemacht, weil (aber das hat beim bayerischen Polizeiruf schon gute Tradition) die Handlung überhaupt nicht erwartbar ist. Viel passiert im ganzen Film zwar nicht, aber in jedem einzelnen Moment kann entweder das Grauen über einen herfallen oder aber auch einfach gar nichts passieren.
„Taubers Angst“ legt viel Wert auf die Details und man merkt ihm an, daß die einzelnen Situationen mit viel Freude inszeniert wurden: Wie Tauber, noch lange bevor er ängstlich wurde, im Lokal frühstückt, das Messer mit Weltverachtung ableckend und dabei Schopenhauers „Die Kunst zu beleidigen“ liest. Tauber mit der Whiskeyflasche im Sessel. Tauber und Obermaier im Dialog im Stehcafé wischen nacheinander Löcher in das Kondenswasser auf der Scheibe.
Einzig der Neben-Fall der erwürgten Ehefrau des Trinkers geht ein bißchen unter. Der Trinker mag eingeführt sein, um Taubers Trinken zu kontrastieren. Man fragt sich aber schon, was der Fall in diesem Film zu suchen hat.
[Erstsendung: 4. Februar 2007]
Hallo Stralau,
ich fand diese Folge etwas zu sehr gekünstelt. Es war sicherlich ein spannendes Experiment, so weit abseits vom klassischen TV-Krimi zu inszenieren, aber für mich blieb vieles mit dem Alleingang von Tauber auf der Strecke.
In letzter Zeit ist mir häufig aufgefallen, wie die “dramaturgische Krücke” des Alleinganges von ProtagonistInnen in unzähligen TV-Krimis genutzt wird, um Spannung zu erzeugen bzw. der Geschichte noch eine Wende zu geben. Mir ist diese Variante der Erzählung einer Geschichte einfach zu langweilig. Immer, wenn die bisherige Story kurz vor dem Ende ist, wird der Alleingang eingesetzt. Oder die Geschichte basiert direkt auf einem Alleingang. Das finde ich schade.
Leider passierte genau dies auch in diesem Polizeiruf. Es wurde der immer wiederkehrende Konflikt zwischen den Partnern (also Tauber und Obermaier in diesem Fall) erzählt, der Konflikt zwischen Vorgesetztem und Untergebenen (Chef vs Tauber).
Das ist mir leider zu einfach.
Und trotzdem hat es wieder Spaß gemacht und irgendwie auch polarisiert.
Gruß Jens
Sehe ich ähnlich. So gut Selge ist, die Story fand ich völlig billig. Nach den Ü-Kameras guckt man ja schon als Zuschauer ständig. Auch das Beziehungsgeflecht von Selge, Obermayer und Chef war seltsam unkonkret. Und die Szene mit dem Psychologen war einfach schlecht gespielt.
Danke für die Hinweise.
Daß der Alleingang keine neue Idee ist, stimmt. Ich fand es allerdings hier dennoch ganz passend, weil es vor allem zur Bebilderung von Taubers Angst genutzt wird. Aber ich verstehe schon, wenn es altbekannt vorkommt. Das Drehbuch erzählt wirklich nicht viel neues, man kann sich jetzt darüber streiten, ob das nötig ist.
Die Psychologen-Szene fand ich nun wiederum sehr gut – und sie war, wie ich fand, auch recht nah an der Realität: der Psychologe ist verständlicherweise genervt und zeigt dies auch, beschäftigt sich dennoch mit Taubers Angst. Ansonsten spiegelt er ihn die ganze Zeit, was schon recht witzig ist.
Daß die Überwachungskamera viel zu spät überhaupt ins Spiel kam, stimmt. Das hatte ich schon wieder vergessen.
nicht nur die überwachungskamera kam viel zu spät, auch wurde beispielsweise denningers auto bei der apartmang-durchsuchung nicht mit untersucht, was aber äusserst nahegelegen hätte, und überhaupt haben die scheisse ermittelt. an jeder ecke hinweise und fragen, die gestellt werden müssten, und sie machens nicht, weil das drehbuch es so will. nunja. trotzdem waren die beiden großartig wie immer.
Nach meinem Empfinden einer der besseren Sonntag Abend- Krimis. Die beiden Kommissare stehen bei mir zwar im unteren Drittel der Sympathie-Skala, jedoch tat das dem Film keinen Abbruch. Sehr jut jefallen hat mir der Anwalt des Täters und der Würger selbst. Die beste Szene war doch, wie er (der Einarmige) im Hotelfahrstuhl die beiden getroffen hat.
Übrigens sollte man mal eine Hitparade der besten Szenen aufstellen, in denen Kommissare an einen Tatort gerufen werden. In diesem Fall war die Hochzeitsidee aus dem Film meines Erachtens nicht chartsreif.