Seid wachsam, deutet die Zeichen!
Dienstag, 10. Juli 2007Kennst Du die Wüste der toten Ideen?
Kennst Du die Kadaver, einstmals Deine Götzen?
Zwei Dinge:
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Sandow sind nach acht Jahren wieder da — beim Konzert im Brandenburger Haus der Offiziere. Sympathische Nervosität und kleiner Club. Zurück zur Songstruktur — merkwürdige Liebeslieder, die zunächst etwas irritieren. Vom Mehrdeutigen, der Sklavensprache, die Sandow in den Neunzigern perfektionierten, sind seltsam ungenaue Metaphern übriggeblieben. Aber das muß noch nichts heißen — alte Fans haben ja oft den Hang, Künstler festlegen zu wollen. Die alten Sachen rocken jedoch immer noch.
Damals: Nach dem DDR-Album „Stationen einer Sucht“ mit vor allem Geradeaus-Rocksongs kam Unerhörtes. Dem ersten Einschlag, dem „13. Ton“ folgten: „Fatalia“, „Anschlag“, „Stachelhaut“, jedes ein völlig neues Geräusch, jedes verstörender, eigener, abgeschlossener als das vorherige.
Die Angst, Zerrissenheit und Unversöhnlichkeit, die Seele, die sie in den Neunzigern unbeirrt von aller Ironie der anderen und ohne Scheu vor Pathos auslebten, ist ihnen auf der Bühne immer noch zu anzusehen. Aber was bedeuten diese neuen Lieder?
Die Geschichte der ersten Sandow bestand aus Mißverständnissen: „Born in the G.D.R.“, das noch heute in jeder zweiten ARD-Doku über die Wende gespielt wird, wurde zum Song der Nostalgiker. Die Musikkritik konnte Sandow mangels Kategorien nur mit den Einstürzenden Neubauten vergleichen. Sandow selbst wollten sich einerseits den Vermarktungszwängen verweigern, waren andererseits in ihrem Pathos auf Publikum angewiesen und mit ihrer relativen Bedeutungslosigkeit wohl auch nie recht einverstanden.
Gleichzeitig werden sie heute wohl immer noch mit Born in the G.D.R. assoziiert, denn so viel Publikum gab es später nicht mehr. Beim Bizarrefestival 1991, als sie mit zwanzigminütigem Intro das Publikum zum Kochen und die Veranstalter gegen sich auf-brachten. Bei vierstündigen Live-Gesamtkunstwerken mit präzisem Programm, Filmen und gewaltiger Choreographie.
Das HdO in Brandenburg hat die sympatischsten Barmänner, die ich je erlebt habe und im Keller eine süße Darkwave-Disko, die verdammt an den Duncker und die Insel Anfang der Neunziger erinnert: Sie spielen sogar noch Phillip Boa.
Trotz der Irritationen bin ich gespannt, wie es weitergeht — ob es einen Zugang zu den neuen Sachen geben wird, wenn „Kiong — Gefährten der Liebe“ endlich verkauft werden wird. Sehr interessant klingt die Ankündigung für das Konzert am 26. August im Nikolaisaal in Potsdam, gemeinsam mit dem Filmorchester Babelsberg, mit dem sie früher mehrere Platten aufgenommen haben. Vorher wird Flüstern und Schreien Teil 2 von 1994 gezeigt — ein rarer Film mit hauptsächlich Feeling B und Sandow, der angeblich nur noch auf einem Originaltape von Dieter Schumann existiert.
- Eine andere äußerst liebgewonnene Institution der Wendezeit macht dicht: Die Scheinschlag-Redaktion geht in den Untergrund. Verdammt. Muß das so sein, wenn man alt wird?
Schön das Du gerade jetzt was darüber schreibst, habe ich doch erst letzte Woche ein Stück Polyvinylchlorid “Stationen einer Sucht” in meinem Plattenschrank wiederentdeckt. Und – NICHT auf den Plattenteller gelegt aus Angst das es mir nicht mehr gefällt. Genau wie der letzte Besuch im Duncker besser der zur Währungsunion hätte sein sollen …
[…] der noch etwas erreichen will, Santa Clan, das Wydoks, die Anfänge von Rammstein und natürlich Sandow (in Berlin, in Petersburg und in den Bunkern der Normandie) — Chris Hinze und Kai-Uwe […]