Dok-Leipzig (vii): Holunderblüte
Mittwoch, 7. November 2007Holunderblüte (Volker Koepp, D 2007, 88 min.)
Ich weiß nicht, ob das ein Zeitphänomen ist, oder ob Leipzig schon immer so speziell war: angenehm, daß die gezeigten Dokumentarfilme ohne das große Pathos auskommen, das Fernsehproduktionen, aber auch den amerikanischen Überzeugungsfilm á la Michael Moore auszeichnet. Statt dessen strahlen viele Filme eine faszinierende Sicherheit aus, ein Vertrauen in die erzählten Geschichten, die ohne starke Überwältigungsmittel auskommen können.
Volker Koepp fährt seit vielen Jahren in das nördliche Ostpreußen. Zunächst nach Litauen und seit 1992, als Ausländer wieder hinfahren durften, ins Kaliningrader Gebiet. Von dort hat er schon mehrere hochgelobte Filme mitgebracht, die ich jetzt eigentlich alle sehen will.
Die Natur holt sich das Land wieder zurück: Sümpfe entstehen, wo einst Ackerbau betrieben wurde. Nach Auflösung der Kolchosen wird nichts mehr angebaut. Holunderblüte besucht Kinder auf dem Lande. Kinder, die eine traurige Geschichte und keine Zukunft haben: die Eltern trinken und haben ihre Kinder verlassen. Diese sind auf sich gestellt.
Holunderblüte hat jedoch wenig von den Elendsreportagen über Straßenkinder in Bukarest oder Moskau. Wir erleben eine Gruppe von Kindern, die mit einer unglaublichen Zärtlichkeit umeinander besorgt sind. Die ihr Leben allein auf die Reihe kriegen und dabei auch Träume haben. Es entsteht der Eindruck einer neuen Gemeinschaft, die leben will, auch wenn es hart ist — die Kinder sind die einzigen, die das übriggeblieben Vieh noch melken.
Erwachsene kommen kaum vor in Holunderblüte. Einmal sieht man zwei Trinkerinnen streiten. Die Schule und ihre trostlosen Rituale werden gezeigt. Dafür gibt es (neben den Kindern) eine weitere Hauptdarstellerin des Filmes: die ostpreußische Landschaft. Und das macht den Film erst so reizvoll: die Verbindung der Geschichten der Kinder mit der Verlorenheit der Dörfer zwischen den Sümpfen, den Wäldern, dem Haff und den ziehenden Störchen. Und auch die Musik paßt. Es ist ein stiller Film.
Wenn der Film jedoch bei aller Trauer den Trost vermittelt, daß diese Kinder wenigstens einander haben, erfährt man hinterher im Gespräch mit dem Regisseur, daß es dann doch meist hoffnungslos endet: der kleine Junge mit den finsteren Visionen ist später mit seiner Mutter von den anderen Erwachsenen aus dem Dorf gejagt worden; das Mädchen, das als Kind einen furchtbaren Unfall hatte und die nur auf ihre Volljährigkeit wartete, um ihre geliebten Brüder aus dem Heim holen zu können, ist verschwunden. Und von den zehn Geschwistern, die völlig allein sind, fehlen inzwischen auch einige.
das sind die filme, über die ich froh bin.
[…] Über den ästhetisch wie inhaltlich äußerst eigene, beunruhigende und außergewöhnliche Film über die völlig sich selbst überlassenen Kinder im Kaliningrader Oblast, die Landschaft, die Vergangenheit und die Gegenwart habe ich damals zur Leipziger Dokfilmwoche ausführlicher geschrieben. […]
[…] Film ist schwarz-weiß gedreht, was ihm guttut. Und was die Landschaft in Koepps Holunderblüte, ist die Industrie- und Wohnarchitektur im ehemaligen Chemiedreieck bei Heise: sie wirkt wie ein […]
[…] andere große ostdeutsche Dokumentarfilmer, Volker Koepp, wird 65. Anläßlich dessen gibt es im Moment einige Filme im Fernsehen und ich kann nur sehr […]