Archiv für November 2007

Dok-Leipzig (vi): Cold Waves

Mittwoch, 7. November 2007

Cold Waves (Alexandru Solomon, RO 2007, 115 min.)

Während des kalten Krieges sendete Radio Free Europe (RFE) von München aus in verschiedenen Sprachen für die Ostblockländer außer der DDR (für die gab es den RIAS) und der Sowjetunion (hier sendete Radio Liberty). Bis 1972 von der CIA finanziert, übernahm das danach der amerikanische Kongreß. Cold Waves beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen RFE, seinen Hörern und dem rumänischen Regime.

Und das ist dann einerseits tatsächlich die Kalte-Kriegs-Story, andererseits, wenn man es richtig macht, doch unerwartet nahegehend: wie wichtig freier Informationszugang für die Hörer in Rumänien war, unter welch abenteuerlichen Bedingungen Nachrichten von den Hörern zum Radio gelangten, wie das Verhältnis der rumänischen Radio-Mitarbeiter zu den amerikanischen Aufsehern war, die ab den siebziger Jahren keine Verstimmung in der Entspannung wollten. Wie der rumänische Geheimdienst (u.a. mit Hilfe der Terroristen Carlos und Weinrich) Anschläge gegen den Sender und seine Mitarbeiter im Ausland verübte. Wie die RFE-Mitarbeiter und Anschlagsopfer damit leben. Wie Securitate-Mitarbeiter zynisch die Vergangenheit beschönigen und weiterhin im Parlament sitzen. Wie sowohl Securitate- als auch RFE-Mitarbeiter nach der Wende Karriere im Fernsehen gemacht haben.

Und wie letztenendes niemand mehr Radio hören wollte, als die Revolution von 1989 live im (inzwischen befreiten) rumänischen Staatsfernsehen gezeigt wurde.

Gut erzählte Geschichte mit Witz und ohne falsches Pathos und sehr guten Bildern. Es ist ja kein einfaches Unterfangen, einen Film übers Radio zu machen. Ein gewitzter junger Regisseur, dessen nächster Film sich mit dem lebensgefährlichen Bukarester Straßenverkehr befaßt.

Dok-Leipzig (v): Staub

Mittwoch, 7. November 2007

Staub (Hartmut Bitomsky, D/CH 2007, 92 min.)

Dieser Film handelt von, nun, Staub. In einer Pigmentfabrik, einer Luftmeßstation, einem Reinraum, bei einer Hausfrau mit Putzfimmel, einer Staubsammlerin, Künstlerinnen, bei Wissenschaftlern, die nicht gut erklären können und solchen, die es können, über Uranmunition, Saharastaub in Regenwolken und Feinstaub in Lunge und Herzen. Ein kurzweiliger Film im Armin-Maiwald-Stil mit tollen Bildern, guter Kamera und schöner Musik, in dem man Dinge lernt, die man nie wissen wollte. Nächstes Jahr im Kino.

Dok Leipzig (iv): Animadok 2

Dienstag, 6. November 2007

Animadok zeigt Dokumentarfilme, die als Animation gedreht sind.

Under Construction (Zhenchen Liu, F 2007, 9.55 min): In Schanghai werden viele alte Viertel weggerissen. Die Bewohner kommen oft nur gegen Bestechung raus. Simulierte Kamerafahrt, Interviews mit Bewohnern, eindrücklich.

Fraught (Brotchie, Terell, Pahlow, Australien 2006, 8 min): Menschen sollen peinliche Momente in ihrem Leben nacherzählen. Die Interviews sind als Trickfilm nachgezeichnet. Das ist dann sehr lustig, wenn auch etwas überambitioniert.

And Life Went On (Mariam Mohajer, UK 2006, 6.22 min): Menschen in einem iranischen Luftschutzbunker, kurz vor dem Bombeneinschlag. Sie sprechen über alltägliches. Großes Thema, etwas eindimensional.

Bully Beef (Wendy Morris, B 2007, 6 min.): Belgische Kolonialgeschichte im Kongo. Beeindruckend surreale Zeichnungen, aber zu wenig Hintergrundwissen beim Zuschauer, ähnlich wie bei Jegyzökönv – Mansfeld Péter emlekere.

Uitverkocht (v. d. Linden, v. Dijk, NL 2007, 7.30 min.): Das Sterben eines Kramladens durch den neuen Supermarkt in einer anrührenden Geschichte der Besitzerfamilie gezeichnet.

The Old, Old, Very Old Man (Hobbs, UK 2007, 6.38): Irre trockene komische Geschichte über einen Mann, der 1635 an den Hof von König Charles gebracht wird, und dort mit 152 Jahren stirbt. Blaue Wasserfarbenzeichnung, sehr abstrakt. Großes Kino.

Je suis une voix (Rousset, Paturle, F 2007, 14 min) Zwei Franzosen sprechen über ihre Einstellung zu politischem Engagement. Nuja.

Blot — Ilham (Mischa Kamp, NL 2006, 6 min) Ilham, eine holländische Muslima, spricht über ihre erste Menstruation. Sehr frisch mit guten Zeichnungen. Allerdings waren mir diese teilweise zu unangenehm explizit, aber das ist eher mein Problem.

Dok Leipzig (iii): Internationaler Wettbewerb Animationsfilm 2

Dienstag, 6. November 2007

Gegenüber den abendfüllenden Dokumentarfilmen fallen die Animationen etwas ab. Während die ersteren häufig mit sehr viel Herzblut in eine dem Zuschauer bis dato unbekannte Welt einführen, wirken die Animationen dagegen häufig blasser. Das liegt aber wahrscheinlich nur zum Teil an den Animationen selbst, zum größeren am Kontrast gegenüber den Dokfilmen.

Migration Assistée (Pauline Pinson, F 2006, 4.34 min.): Zugvögel auf Reisen, die Saison der Liebe und der Feiern beginnt. Allerdings können nicht alle mitfliegen. Wer zum Beispiel eine Stickstoffallergie hat, wird im Flugzeug in eine Art Ferienlager geflogen, das fast genauso schön ist, wie der echte Zielort. Aber eben nur fast. Schnell, sehr witzig, gute Musik.

Silizium – Schaltkreis 5 (Nordholt, Steingrobe, D 2007, 6.30 min.): Sehr aufwendig gemachter Film, der die Entstehung einer digitalen Komposition beschreibt. Der Grundgedanke ist leider, daß Silizium im Sand am Wegesrand und in Mikrochips vorkommt. „Was sich aus ihnen rechnet, abbildet und zu Klang wird, sind symbolische Strukturen als Verzifferung des Realen“. Wäre das nicht alles so wirr, hätte es ein schöner Film sein können.

Zudusi Snega (Vladimir Leschiov, LV, S 2007, 7.50 min.): Menschen gehen eisfischen und trinken dabei viel Alkohol. Sehr schräg, sehr schön.

Liebeskrank (Spela Cadez, D, SLO 2007, 8.30 min.): Wunderschöner Puppentrickfilm in bester tschechischer Tradition. Patienten beim Arzt, die nicht mehr aufhören zu Weinen, deren Herz gebrochen ist oder denen der Kopf verdreht wurde. Auch schöne Musik.

Tong (Real, Cellier, Limouson, F 2006, 9 min.): Computeranimation, allerdings weder ästhetisch besonders, noch mit guter Geschichte.

Doshd swerchu wnis (Ivan Maximov, RUS 2007, 7.45): Lauter kleine Phantasiewesen, die in den Bergen leben und von einem Regenguß überrascht werden. Sehr Skurril, viel Bewegung, schön gezeichnet und gute Musik.

The Designer (John Lewis, AUS 2007, 9.30): Düstere Stop-Motion-Geschichte über einen Schöpfer und seine Kreaturen in der Savanne. Leider hält die Geschichte nicht, was die Animation verspricht.

Jegyzökönv – Mansfeld Péter emlekere (Zoltán Szilágyi Varga, H 2007, 7 min.): Die Geschichte des 18jährigen Péter Mansfeld, der 1959 im Zusammenhang mit dem Ungarnaufstand hingerichtet wird. Schön gezeichnet, der Film setzte aber Geschichtskenntnisse voraus, die beim Zuschauer nicht vorhanden waren.

Asef (Sorry) (Martin Putto, NL 2007, 3.15) Der hat mir am besten gefallen. Eine ganz einfache Idee, die aber die ganze Geschichte tragen kann. Ein des holländischen nicht mächtiger Mensch ruft bei einer Frau an und fragt auf arabisch, ob er einen Holländisch-Sprachkurs bekommen kann. Sie versteht ihn nicht, er insistiert und am Ende hat sie Angst vor Terroristen. Gezeigt wird ein Oszilloskop, das die Sprache der beiden darzustellen scheint, aber Wellen des Mannes kommen von links, die der Frau von rechts und vor allem bestehen seine Wellen aus arabischen, ihre aus lateinischen Buchstaben. Mehr nicht. Klingt jetzt vielleicht banal, ist aber sehr überzeugend.

Milk Teeth (Tibor Banoczki, GB 2007, 11.20 min.) Düster gezeichneter Angstfilm, in dem ein kleiner Junge nachts seiner Schwester folgt, die in einem Maisfeld ihren Liebhaber trifft. Verworrend.

Dok Leipzig (ii): Erinnerung an eine Landschaft – Die Lausitz-Trilogie

Dienstag, 6. November 2007

1987 bis 1990 entstanden, thematisiert die Lausitz-Trilogie die Zerstörung der sorbischen Dorfkultur durch den Braunkohleabbau. Die Sorben (oder Wenden) in der Ober- und der Niederlausitz sind eine slawische Minderheit mit einer eigenen Sprache. Obwohl die DDR mächtig stolz auf sie war, spielte ihre Kultur eher auf Vorzeigefesttagen eine Rolle.

Peter Rocha, der selbst aus der Gegend stammt, hat dieser Kultur, die zur Wendezeit schon sehr in der Auflösung begriffen war, ein Denkmal gesetzt und vor der Zerstörung von Kultur und Natur durch den sinnlosen Braunkohleabbau gewarnt. Interessant ist, daß die Braunkohle für die DDR so wichtig war, daß er noch im März 1990 Schwierigkeiten mit dem dritten Teil hatte. In der Nachwendezeit ging die Lausitz-Trilogie unter, so wird sie zum Beispiel erst jetzt das erstemal in der Lausitz selbst gezeigt.

Obwohl die Filme in ihrer ganz eigenen Ästhetik selbsttragend sind und eines Aktualitätsbezuges nicht bedürfen, sind sie leider immer noch von aktueller Bedeutung – Vattenfall baggert weiterhin die Lausitz ab.

Zur Dokfilmwoche ist die umfangreiche Doppel-DVD „Spurensuche“ mit Filmen aus der DDR für 25 € erschienen. Die Lausitz-Trilogie ist mit drauf.

Hochwaldmärchen (Peter Rocha, DDR 1987, 8 min.): In diesem Film wird von einer Kinderstimme das Hochwaldmärchen des sorbischen Schriftstellers Jurij Brězan erzählt. Dazu sehen wir eine Fahrt durch den Spreewald, dort wo er Hochwald ist. Am Ende gibt es eigentümliche Farbeffekte. Das Märchen handelt von der Zerstörung der Welt durch den Menschen, ist aber eben ein Märchen und hat es so durch die DDR-Zensur geschafft.

Leben am Fließ (Peter Rocha, DDR 1987/88, 30 min.): Wir begleiten eine sorbische Familie, die noch sehr ursprünglich am Wasser und mit der Natur lebt. Einige Leute arbeiten aber schon in der Stadt. Die Alte erzählt vom Ende ihrer Kultur.

Die Schmerzen der Lausitz (Peter Rocha, DDR 1989/90, 60 min.): Genau das zeigt der Film: Die Schmerzen der Lausitz. Jurij Koch beim Sinnieren über die Zerstörung, einen gewitzt-verrückten Findlingssammler, Tagebau-Arbeiter, Gundermann, dem man gern beim Erzählen zuhört (dafür singt er nur so mittel) und verlorene umgesiedelte Sorben beim Volksfest im zugigen Cottbusser Neubaugebiet. Dörfer, deren Einwohner in der Wendezeit Hoffnung verbreiten, daß der Raubbau zu stoppen ist.

Hauptdarsteller ist aber die geschundene Landschaft, deren Schmerzen in endlosen Hubschrauberfahrten über den Tagebauen offengelegt werden. Dazu sehr passend eine Toncollage aus Bergmaschinengeräuschen, wie man sie in den Braunkohlegebieten nachts oft aus der Ferne hört, wenn man nicht schlafen kann. Und Gundis Geklampfe, aber das hatten wir oben schon.

Dok Leipzig (i)

Dienstag, 6. November 2007

Das hätte immer so weitergehen mögen: jeden Tag durch diese schwere schöne Stadt träumen und ab Mittag ins Kino gehen und Filme sehen. Filme, von denen jeder einen in eine andere unbekannte Welt entführt. Nachts im Restaurant dann Gedanken spinnen, wie es wäre, wenn.

Stattdessen sitze ich in dieser Woche allein in Klausur in einem Hotel am Münchner Bahnhof und kann nichts tun als aufzuschreiben, was passiert ist. Das wird ein paar Tage dauern, aber ich bin auch eine Weile hier.

Links von Montag, 5. November 2007

Dienstag, 6. November 2007

Gesammelte Links von Montag, 5. November 2007:

Man sieht nur mit den Augen gut

Montag, 5. November 2007

Nachdem der wissenschaftliche Marxismus in der DDR Staatsreligion geworden war, hatten es andere Götter schwer neben ihm. Einiges wurde unternommen, um die Leugnung alles Metaphysischen auch in der Alltagskultur zu etablieren. Der schon einmal am Ende des Dritten Reiches unternommene Versuch der Etablierung von Weihnachtsliedern ohne Gott wurde wiederholt (die Jahrersendflügelfigur wurde aber nicht ernsthaft verwendet). Ältere Werke wurden in den neuen Kanon aufgenommen, nachdem sie von religiösen Bezügen gereinigt worden waren. In der Schule wurde selbst Bach ohne Gott gelehrt (Kaffeekantate, Wohltemperiertes Klavier, Brandenburgische Konzerte).

Ein hübsches Beispiel für diese Borniertheit (so etwas findet sich wohl in allen zensierten Gesellschaften) war die Kürzung von Matthias Claudius’ „Der Mond ist aufgegangen“ in nichtkirchlichen Liederbüchern um alle Strophen, in denen explizit von Gott die Rede ist. Als neue letzte Strophe blieb dann allerdings ausgerechnet die folgende übrig:

Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.

[Dank an die kleine Schwester fürs Auffrischen der Erinnerung.]

Fahrgastwunsch

Freitag, 2. November 2007

.

Schöner sterben in L.E.

Donnerstag, 1. November 2007

Ich treibe mich gerade in Leipzig auf dem 50. Festival für Dokumentar- und Animationsfilm herum. Ich liebe diese Stadt, ihre Menschen, Häuser und Landschaften, besonders im Herbst. Und die Filme sind großartig. Der Kuchen auch.

Muß aber leider hin und wieder auch was tun: Kennt jemand ein schönes Café mit WLAN?