Polizeiruf 110: Rosis Baby (BR)

Montag, 4. August 2008

[Spoiler-Warnung: Ein Teil der Lösung wird am Ende verraten.]

Vorher steht in der Zeitung, es ginge um Behinderte und Sexualität. Gedacht: Ganz toll. Das wird doch wieder so ein Mitleidsding ohne viel Handlung.

Der Film beginnt mit einem Streit zwischen zwei Frauen in einer Autobahnraststätte. Eine verläßt den Raum und wird später niedergeschlagen. Die andere wartet, bis die Polizei am nächsten Morgen kommt. Worum es im Film geht: Die wartende Rosi Drechsler (Juliana Götze) hat das Down-Syndrom und ist schwanger. Ihre Mutter war mit ihr auf dem Weg zur Abtreibung gegen ihren Willen.

Es stimmt: Der Krimi selbst tritt an einigen Stellen etwas in den Hintergrund. Ansonsten ist „Rosis Baby“ ein ganz phantastisches Fernsehspiel geworden (Buch: Matthias Pacht, Alex Buresch, Regie: Andreas Kleinert). Sexualität und Schwangerschaft bei geistig Behinderten sind Sujets, die bei vielen Menschen von Ängsten besetzt ist. Nun können sich Filmemacher (und das passiert in der ARD leider hin und wieder) mit dem erhobenen Zeigefinger hinstellen und auf die Probleme der Gesellschaft hinweisen und das war’s dann.

Zum Glück geschieht dies hier nicht. Mit dem zynischen Jürgen Tauber (Edgar Selge) und der bemutternden Jo Obermaier (Michaela May) gibt es in München zwei eingeführte gegensätzliche Figuren, die sich dann auch ganz wunderbar am ganzen Klischeeprogramm abarbeiten. Das geht von Verachtung („Na sauber, ein Mongo.“) über Mitleid, das Leugnen der Behinderung Taubers (ihm fehlt ein Arm), Idealisierung, Unterschätzung bis zur Verharmlosung der Behinderung.

Am wunderbarsten ist die schauspielerische Leistung. Am meisten beeindruckt die Darstellerin von Rosi, Juliana Götze, die überzeugend die Schwangere spielt, die ihre Mutter sucht und einen Vater für das Kind. Am ergreifendsten spielt sie im Paar, einmal mit ihrem Liebhaber Claus Born (Sven Hönig), ein anderes Mal mit Kommissar Tauber, der sich mit ihrer Hilfe aus seinem Eispanzer befreit. Und so sind die beiden Liebesszenen — im Kinderzimmer der Halbschwester mit Claus und mit Tauber in seinem Eigenheim — unglaublich anrührend. Sie werden dies auch durch Selge und Hönig als ihre phantastisch spielenden Partner.

Dem Film ist anzumerken, daß sehr viel Aufmerksamkeit auf die Interaktion zwischen den Akteuren in Zweierszenen gelegt wurde. Man hat den Eindruck, daß der Dreh mit der selbst behinderten Juliana Götze etwas Besonderes war. Einige Szenen wirken improvisiert, theaterhaft. Das schadet dem Film jedoch nicht, es macht ihn im Gegenteil sehr lebendig. Hübsch irritierend, wie das körperliche Näherkommen zwischen Kommissar und Verdächtiger nicht in einem Take gedreht wurde, sondern immer wieder durch Schnitte unterbrochen ist.

Völlig erschreckend dann das Ende: Rosis Vater fährt mit ihr in eine tschechische Abtreibungsklinik, die Polizei folgt ihr. Sie kommt auf den OP-Tisch und der geübte Polizeiruf-Zuschauer erwartet eine Rettung in letzter Sekunde mit Strafpredigt und Abschlußwitz. Aber die Abtreibung und anschließende Lüge gegenüber Rosi bleiben uns nicht erspart — und hinterlassen einen sehr bitteren Nachgeschmack. Richtig gemacht.

Wer mehr von Juliana Götze sehen möchte, kann sie und andere sehr gute Schauspieler und Musiker regelmäßig im großartigen Theater Rambazamba in der Berliner Kulturbrauerei erleben. Theater von geistig behinderten Künstlern, das klingt nach Kuchenbasar bei der Volkssolidarität. Es hat aber nichts davon. Es ist so gut wie dieser Film.

[Erstsendung: 3. August 2008]

9 Responses to “Polizeiruf 110: Rosis Baby (BR)”

  1. einbecker says:

    Ich fand ihn auch herausragend. Stimmt es, dass es der letzte Tauber/Obermaier-Polizeiruf war?

  2. Wirklich, ganz großer Film. Und Selge/May wie immer großartig. Man ertappt sich ja dabei, sich zu wünschen, sie mögen es sich doch noch anders überlegen und einfach für immer weiter machen. Aber wie im Film gibt’s da wohl kein Happy End.

    • Reptilienfonds says:

      Huch – bin ganz erschrocken von dieser Tatze. Sorry, habe noch nirgends kommentiert seit dem tazblog-Relaunch, ich wusste nicht mal, dass es solche plötzlich von irgendwoher kommenden Bildchen gibt. War also keine Absicht, ich wollte hier niemand mit Werbung behelligen. Gerne weglöschen, aber ich kann’s jetzt nicht mehr, glaube ich.

      • stralau says:

        Nee, keine Sorge. Das liegt nicht an der Taz, sondern an diesem Weblog, das die Favicons (das, was meistens in der Adreßzeile des Webbrowsers oder den Bookmarks erscheint) einbindet. Find ich ganz hübsch, weil man in einer längeren Diskussion die Leute leicht wiedererkennt. Die Tatze stört mich jetzt auch nicht.

        Ja, Selge und May sind die allerbesten.

  3. olim devona says:

    Aber die Abtreibung und anschließende Lüge gegenüber Rosi bleiben uns nicht erspart — und hinterlassen einen sehr bitteren Nachgeschmack. Richtig gemacht.

    Genau an diesem Ende dachte ich ja, wow, da traut sich die ARD ja mal was! Selten wird ein für uns Zuschauer schon überführter Mörder unbehelligt gelassen. Manchmal sind es nachvollziehbare Gründe, in diesem Tatort jedoch konnte ich sie nicht nachvollziehen. Da erschlägt einer seine Ex die sich dagegen wehrt, dass deren und seine Tochter ihr Kind abtreiben solle. Er bekommt auch noch Schweigegeld vom Vater des Kindes. Dann bringt er sie über die Grenze und läßt ihr das Kind ohne ihr Einverständnis wegmachen. Das sind aber ne Menge Kerben auf seine Holz. Und er bleibt, da er seiner Tochter einredet, wenn er weg sei, sei keiner mehr für sie da. Schöne Fürsorge! Erst alles im Umfeld beseitigen und sich damit unabkömmlich machen! Bei Terry Pratchett hatte das noch nichtmal Conan der Barbar draufgehabt!

    Und was heißt dann hier alles richtig gemacht? Kind weggenommen! Richtig? Mutter umgebracht! Richtig? ok.ok.ich hör ja schon auf…

    • stralau says:

      Ich lese das anders. Der Film macht sich nicht mit dem Täter gemein. Er wird auch nicht laufengelassen — wir sehen nur die Festnahme nicht.

      „Richtig gemacht“ bezieht sich auf die Dramaturgie des Filmes: daß dem Zuschauer die Auflösung in den schönen Sonntagabend verwehrt bleibt, daß das Drama passiert, daß man nicht denken kann: Nochmal gutgegangen. Das Verstörende ist die Lüge und die Fröhlichkeit auf Rosis Gesicht. Es war richtig, danach schlußzumachen. Eine Festnahme hätte diese Verstörung wieder aufgehoben.

  4. Silvia Mielewczyk says:

    Kann mir jemand verraten, ob es diesen Film auf DvD gibt ?

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