Berlin am Mittag
Freitag, 8. August 2008Ich arbeite in einer der touristischsten Gegenden der Stadt. Mittags ist man als Büromensch in den hiesigen Lokalen recht gern gesehen, denn die Touristen gehen meist erst abends essen. Zwischen Sushi, Edelitaliener, Falafel, Thai, Ayurvedischem Krimskrams und der Theaterkantine, die leider im Moment wegen Ferien geschlossen ist, gibt es noch das letzte Lokal am Platze, das die Wende überlebt hat.
Die Bedienung ist angenehm von hier, man wird deutsch und gut, allerdings sehr reichlich beköstigt und sehr umsorgt. Ich sitze im Freien unter der Markise, es gibt frische Pfifferlinge und es beginnt zu regnen. In der Zeitung steht ein sehr trauriger Briefwechsel. Ein Herr von etwa fünfzig Jahren in weißem Hemd, mit Cordweste, Schiebermütze und Schnurrbart, fragt in starkem französischem Akzent und fehlerfreiem, feinem Deutsch, ob er sich zu mir setzen dürfe.
Er setzt sich in den Regen, sagt, das Wasser sei doch eigentlich recht warm, es würde nur noch die Seife fehlen und zündet sich eine Zigarre an. Die Chefin tritt heraus, küßt und herzt ihn und stellt ein kleines Bier an seinen Platz. Kurz darauf kommt die andere Kellnerin — schnoddrige Berlinerin — und beschwert sich bei mir lauthals über den Gast „an der Drei“, der vorgibt, Photograph zu sein, noch nie eine so schöne Frau mit so schönen Tätowierungen gesehen zu haben und fragt, ob er sie nackt ablichten dürfe.
Ich bin kurz irritiert und weiß nicht, was sie jetzt von mir hören will. Mein Tischnachbar aber schüttelt lächelnd den Kopf, beklagt sich, Tucholsky zitierend, über die Dummheit des Photographen, der doch lieber erst einmal drei oder sechs Monate lang hätte herkommen sollen anstatt gleich direkt zu fragen. Sie scheint tatsächlich ehrlich entrüstet zu sein. Berliner Wutausbrüche — wiewohl ich selbst manchmal dazu neige — finde ich anrührend. Er fragt sie, ob sie Tänzerin sei oder Schwimmerin. Ja, reckt sie sich und lächelt, sie habe mehrere Jahre Leistungssport gemacht. Und er macht ihr Komplimente: daß man es an ihren Schultern sehen könne, daß sie aber auch wie eine Tänzerin eher schweben als laufen würde.
Später reiße ich beim Gehen zwei Stühle um. Mein Tischnachbar muß herzlich lachen über mich und mein Ungeschick und darüber, daß das ja bei ihm alles noch schlimmer sei.
Eine schöne Alltagsbetrachtung! Da freut man sich doch, bald wieder da zu sein.