Tatort: Der glückliche Tod (SWR)

Mittwoch, 8. Oktober 2008

Ich war an diesem Wochenende weg, aber Heiko Werning vom Reptilienfonds hat den letzten Tatort gesehen, was ihm nicht leichtgefallen ist. Umso mehr bin ich ihm dankbar.

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Große Güte, da ahnt man nichts Böses und sagt freundlich zu, einen Sonntagskrimi als Gastbeitrag hier zu besprechen, und dann das. „Der glückliche Tod“, ein Odenthal-Tatort, was soll da schon groß passieren? Frau Odenthal ermittelt seit 19 Jahren lustig vor sich hin, mal besser, mal schlechter, sie hatte mal eine große Zeit, in den letzten Jahren sind die Filme eher ein bißchen von der Stange, wenn auch immer mal was ganz Nettes dabei ist. So sitzt man also entspannt vorm Fernseher und starrt dann mit zunehmender Fassungslosigkeit auf das Geschehen. Jetzt, wo die Tränen getrocknet sind, also die versprochenen Anmerkungen.

„Der glückliche Tod“ geht ans Eingemachte, und zwar richtig. Für junge Eltern ist das nichts. Da braucht man schon ganz schön Nerven, um bis zum – absehbaren – Ende durchzuhalten. Eindringlichere Szenen hatte zumindest ein Odenthal-Tatort wohl noch nie zu bieten, trister war Ludwigshafen noch nie, und ein perfektes Schauspieler-Ensemble einschließlich des Ermittlerteams, dem man eigentlich neue Facetten längst nicht mehr zugetraut hätte, spielt den Zuschauer geradezu schwindlig.

Die Mitarbeiterin eines Sterbehilfevereins wird tot aufgefunden, die Ermittlungen laufen anfangs noch ganz normal, ein paar Verdächtige tauchen auf: Jemand hatte eine Affäre mit der Dame, viele Feinde haben die Sterbehelfer ohnehin, einer macht sie für den Tod seiner minderjährigen Tochter verantwortlich. Eine Telefonnummer führt schließlich zu einer Familie, deren neunjährige Tochter an Mukoviszidose erkrankt ist, eine echte Dreckskrankheit, wie wir schnell lernen, und spätestens hier wird klar, warum man bislang vergeblich versucht hat, an der Fernbedienung etwas mehr Farbe ins Bild zu drehen. Das Mädchen wird das Ende des Films nicht erleben, so oder so. Es sitzt im Rollstuhl, hat eine chronische Lungenentzündung, täglich leidet es unter Erstickungsanfällen, und wenn es nicht ersticken wird, dann wird es verhungern. Der kleine Bruder feilscht um die Stofftiere, die es, so die plausible Feststellung, ja bald eh nicht mehr brauche. Das ist filmisch derart perfide umgesetzt, daß man keine Chance hat, sich dem zu entziehen. Die Verzweiflung der Eltern ist greifbar, greift fast über, die daraus resultierende ungeheure Diskussion ebenfalls: zum Sterben helfen oder nicht? Das Mädchen fleht darum, es kann nicht mehr. Die Eltern können auch nicht mehr. Die Zuschauer bald ebenfalls. Das ist, neben den schauspielerischen Leistungen, auch deshalb so wirksam, weil der Film betont auf Distanz bleibt, es sind nur wenige kurze Szenen, nicht mehr, als im Tatort sonst gern mal für das familiäre Geplänkel der Kommissare oder irgendwelche Scherz-Nebenhandlungen investiert wird. Aber sie überlagern das Geschehen vollständig, machen den gesamten weiteren Krimi-Verlauf zu einer vielschichtigen Annäherung an das Thema Sterbehilfe. Jeder Protagonist steht plötzlich für einen Teilaspekt des Themas, eine Meinung, eine Facette, und dennoch wirkt nichts überzogen oder überambitioniert. Und sorgfältig wird eine Parteinahme vermieden, unterm Strich kann man sie irgendwie alle verstehen, bis auf die bösen Roger-Kusch-Verschnitte natürlich.

Man könnte an Details herumkritteln, etwa den etwas eigenartigen, leicht rumpeligen Showdown, man könnte darüber diskutieren, ob das „Halleluja“ am Ende nicht doch ein Tacken zu viel ist und die Motivlage beim Täter nicht ein bißchen dünn, aber wozu? Ein herausragender Tatort, auch wenn man ihn nur schwer aushalten kann.

[Erstsendung: 5. Oktober 2008, Autor: Heiko Werning]

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