Tatort: Mauerblümchen (MDR)
Sonntag, 15. März 2009Denn wovon lebt der Mensch? Indem er stündlich / Den Menschen peinigt, auszieht, anfällt, abwürgt und frißt. / Nur dadurch lebt der Mensch, daß er so gründlich / Vergessen kann, daß er ein Mensch doch ist.
Am Anfang sehen wir die Geliebte von Herrn Lohmann, die sich im Bad die Haare aufsteckt. Später liegt Herr Lohmann in seinem Blute vor dem Panoramafenster. Seine Frau ist noch völlig apathisch von den Betäubungsmitteln, die sie Abend für Abend nimmt, wenn sie in ihrem Verlies im Keller schläft, wegen des Lärms. Lohmann war Bürgermeister für Ordnung und Umwelt (hier sind einige Zuschauer ins Grübeln gekommen: Bürgermeister sind in Leipzig die Stellvertreter, der Bürgermeister heißt Oberbürgermeister).
Mit den Ermittlungen wird ein Knäuel von Machtstrukturen und Ausnutzung von Abhängigkeiten abgewickelt: ein Bauunternehmer und Jäger hätte ein Motiv gehabt, die tote und mißhandelte Prostituierte, die kurz darauf gefunden wird, war zu beschämend wenig Geld als Putzkraft in einem Hotel beschäftigt, eine Beamte und die Inhaberin der Zeitarbeitsfirma haben kräftig mitverdient. Herr Lohmann war der Gute und wollte die Mädchen retten (ob das vielleicht auf den einstigen Bürgermeister für Ordnung und Umwelt und Antipode der Leipziger Hausbesetzer Holger Tschense gemünzt war, der wegen Rechtsbeugung sein Amt aufgeben mußte, wo aber die Gerüchte, daß alles inszeniert war, um ihn loszuwerden, nie verstummten?).
All das ist so sicher und gut inszeniert, wie es seit dem Darstellerwechsel in Leipzig üblich ist, auch die Stadt als Handlungsort und Schicksal kommt wieder gut zur Geltung: Ehrlicher und Kain hätten überall spielen können, Saalfeld und Keppler kann es nur in Leipzig geben. In dieser Folge gibt es, zusätzlich zu den vielen städtischen Schauplätzen, eine anrührende Nachtwanderung der verzweifelten Schwester der Toten.
Ärgerlicherweise bleibt der Film in seiner Aussage aber auf halbem Wege stecken: man muß im Tatort nicht unbedingt gesellschaftliche Probleme beim Namen nennen. „Mauerblümchen“ tut es aber, indem die Schuld an der Ausbeutung den Ausbeutern zugewiesen wird, die von der Machtlosigkeit der illegalen Beschäftigten profitieren. Im Text zum Film heißt es auch: „Zeitarbeit und illegale Beschäftigung scheinen zum Mißbrauch von Menschen aufzufordern.“ Daß die ganze Gesellschaft mitschuldig ist, weil sie Gesetze macht und duldet, die den Menschen ihre Rechte nimmt, die aus Not zu uns kommen, hätte dann auch Thema sein müssen.