Das linke Schisma
Freitag, 2. Oktober 2009Es stimmt ja, daß die SPD in den letzten Jahren die soziale Frage schmerzlich vernachlässigt hat. Bevor man ihr aber Verrat vorwirft, weil sie mit der CDU anstatt mit der Linkspartei koaliert, muß man — und das mag für Westlinke vielleicht sehr weit entfernt sein — muß man fragen, wann die Linkspartei Brücken baut, indem sie offen mit der Geschichte des Terrors gegen die Sozialdemokratie in der DDR, aber auch mit der Sozialfaschismus-Propaganda der KPD umgeht.
Sie haben die ‘soziale Frage’ verschärft, vernachlässigt ist geprahlt.
Verrat ist in diesem Geschäft nicht justitiabel und daher wirklich albern.
Aber warum sollte dieLinke einen Selbstzerfleischungsdiskurs beginnen (oder was würde das geben, ich weiß von dem Terror und der Sozialfaschismus-Propaganda wenig), das fände ich noch ungeschickter, als da jetzt zu heulen.
Ich denke auch, dass dieLinke so gut da steht, liegt u.a. daran, dass sie keine Brücken gebaut haben.
Ich habe nicht von Selbstzerfleischung gesprochen. Die Linke muß auch keine Brücken bauen, wenn sie nicht koalieren will. Mein Eindruck ist aber ein anderer. Du sprichst hier ausschließlich von Machtoptionen. Diese Argumentation ist mir wohlbekannt und man kann sie auch legitim finden. Ebenso legitim ist es aber auch moralische Positionen mit einzubeziehen.
Gregor Gysi hat sich vor zwanzig Jahren vehement dafür eingesetzt, die SED nicht aufzulösen, sondern umzubenennen. Das ist in Ordnung, heißt aber auch, daß die Öffentlichkeit von der Partei eine Haltung zu den kommunistischen Verbrechen erwartet. Die hat diese auch — zum Beispiel beim Mauerbau.
Die Aufarbeitung ihrer Haltung zur Sozialdemokratie (daß Du nichts davon weißt, kannst Du selbst ändern) steht aber noch aus. Einer der beiden Linke-Parteivorsitzenden unterstützt dabei aktiv die verharmlosende Geschichtsklitterung, der heute noch viele Genossen anhängen.
Zur vergessenen sozialen Frage muß man vielleicht noch hinzufügen, daß diese viele SPD-Wähler in die Arme der Linken getrieben hat. Allerdings sieht man in Berlin, daß die Linke, sobald sie an der Regierung ist, auch nicht davor gefeit ist, Machterhalt vor soziale Gerechtigkeit zu stellen.
Kurz zu den Geschichtslücken:
Sozialfaschismus: für die KPD war die Sozialdemokratie der linke Flügel des Faschismus und sollte vorrangig bekämpft werden. Das führte zum Beispiel dazu, daß die KPD die NSDAP bei der Auflösung des preußischen Landtages unterstützte oder dazu, daß Ulbricht und Goebbels gemeinsam den BVG-Streik 1932 organisierten.
Terror gegen die Sozialdemokratie: man sollte Wolfgang Leonhards „Die Revolution entläßt ihre Kinder“ gelesen haben. Ein einst hoher kommunistischer Kader beschreibt die Gesellschaft von Sowjetunion und SBZ bis 1948. Die gleichberechtigten Vereinigungen von SPD und KPD an der Basis, die es nach 1945 gab, wurden von der Gruppe Ulbricht zunächst aufgelöst und später Sozialdemokraten, die sich der von der KPD gesteuerten Zwangsvereinigung widersetzten, ins Lager verschleppt.