Was ist (Random Rants)

Sonnabend, 14. November 2009

Das Springer-Wurstblatt „Welt kompakt“ stellt auf großen Plakaten in Berlin seine Grammatikschwächen aus („mit Berlin Seiten“).

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Der scheinheiligste Text zum Tode von Robert Enke findet sich bei Spreeblick (ich hätte gern dort kommentiert, das geht aber nicht mehr). Da wird die alte Leier vom Tabubruch Suizid angestimmt und über andere Medien hergezogen, aber die eigentliche Ursache – nämlich Depressionen – paßt nicht ins Bild vom selbstbestimmten Suizid, das Frédéric Valin aufbaut. Und so wird sie ignoriert. Die Kommentare, die anmerken, daß dieses Bild in den allermeisten Fällen nicht stimmt, sondern die meisten Suizide auf Depressionen zurückgehen, werden ignoriert oder abgebügelt.

Das ist eine sehr problematische Fehlsicht, die nicht nur Spreeblick betrifft, sondern auch viele Befürworter von sogenannter Sterbehilfe. Andererseits paßt diese Fehlsicht leider auch in diese Gesellschaft, in der Krankheiten wie Depressionen, die zu völliger Antriebslosigkeit führen können, dem Bild vom leistungsbereiten und allzeit selbstbestimmten Menschen widersprechen.

Fred schreibt, nachdem die Kommentare geschlossen wurden:

Ich habe keinen einzigen Beweis für die Depressionen Enkes gelesen. Er hat sich umgebracht, also muss er krank gewesen sein, das ist der Zirkelschluss. Und die oben beschriebene Pathologisierung des Selbstmordes.

Dabei übersieht er, daß Enkes Arzt sagt, daß er seit Jahren deswegen in psychiatrischer Behandlung war (wenn das kein Beleg ist, was dann?) Freds Irrtum ist die Annahme einer Pathologisierung des Suizids. Es gibt nämlich in der Realität so gut wie keine klassischen Bilanzsuizide.

Was Fred hier fortführt, ist die bedauerliche Tabuisierung einer Krankheit.

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Neusprech: In der Ausstellung „Fremde? Bilder von den Anderen in Deutschland und Frankreich seit 1871“ im DHM wurde – nach kritischer Nachfrage durch den Kulturstaatsminister Bernd Neumann – eine Tafel mit dem ursprünglichen Text

„Während innerhalb Europas die Grenzen verschwinden, schottet sich die EU zunehmend nach außen ab. Die Festung Europa soll Flüchtlingen verschlossen bleiben“

ersetzt durch

„Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fördert staatlicherseits die Integration von Zuwanderern in Deutschland“.

Das ist ein bißchen wie früher: bis zu Honeckers Lapsus durfte offiziell auch nicht von einer Mauer gesprochen werden.

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Die ’Ndrangheta (über die es letztes Jahr das bestürzende Buch und die sehr gelungene Verfilmung „Gomorrha“ (Roberto Saviano) gab) hat über 30 Schiffe mit Sondermüll in Meer versenkt. Die Schiffe wurden mit Dynamit wie Torpedos auf den Meeresboden geschossen. Die Suche nach den Wracks und die rechtliche Aufarbeitung ist eine Farce und die Menschen haben kein Vertrauen in die öffentliche Ordnung mehr.

13 Responses to “Was ist (Random Rants)”

  1. ozean says:

    Gute Sammlung von unangenehmen Dingen.

    Wahrscheinlich bin ich trotz allem immer noch naiv: Ich finde es überraschend, dass sich das DHM da reinreden lässt. Als ob sich das mit der Festung nicht hinreichend wissenschaftlich unterfüttert ließe…

  2. Fred says:

    Zum Zeitpunkt, als ich den Artikel schrieb, kursierten die ersten Gerüchte, Enke sei in Behandlung gewesen. Als Betroffener und Hinterbliebener weiß ich, wie notwendig viele nach Erklärungen suchen, Ich fand und finde es zu einfach, aufgrund einer Behandlung und einer diagnostizierten Depression den Suizid direkt darauf zu beziehen. Ein Selbstmord ist nicht notwendigerweise ein Symptom.

    Wenn ich übrigens bei meiner Lektüre die letzten Tage nicht alles völlig missverstanden habe, ist unter anderem eines der großen Probleme bei Depressiven, dass die Erkrankung nicht als solche erkannt wird, weil die Diagnosewerkzeuge fehlen.

    • stralau says:

      Zu dem Zeitpunkt, als Du den letzten Kommentar im Spreeblick-Artikel geschrieben hast (Beweise), war die Sache aber klar.

      „Ein Selbstmord ist nicht notwendigerweise ein Symptom“ stimmt natürlich immer. Er ist aber eben auch nicht notwendigerweise eine freie Entscheidung (das ist es aber, was Du die Gesellschaft aufforderst, zu akzeptieren).

      Er ist sogar – wenn schon eine depressive Vorerkrankung besteht, nach allem, was man weiß, sehr sehr wahrscheinlich ein Symptom. Deine persönliche Betroffenheit erklärt vielleicht die Vorwürfe an die, die diesen Zusammenhang herstellen. Man kann, wenn man das nicht weiß, diese aber auch als hochmütig empfinden.

      Ich will nicht verschweigen, daß ich selbst persönlich betroffen bin und lange wegen Depressionen in Behandlung war. Gerade weil ich aus eigener Erfahrung weiß, wie unfrei man ist, wenn man in diesem Zustand das Leben beenden will (und das wollte ich), ist es mir wichtig, die Mär vom allzeit selbstbestimmten Freitod nicht stehenzulassen.

      Auch kenne ich aus eigener Anschauung das Stigma psychischer Erkrankungen. Dieses Stigma jedoch führt dazu, daß die Betroffenen nicht darüber reden und damit den Krankheitsverlauf verschärfen. Und diese Stigmatisierung („er wird zum schwachen Menschen“) schwingt in Deinem Text mit.

      Die Diagnosewerkzeuge fehlen? Das ist sicher richtig in dem Sinne, daß diese vielen Allgemeinmedizinern fehlen und damit die Diagnose nicht gestellt wird, wo sie gestellt werden müßte. Sie fehlen auch den vielen, die sich gar nicht erst diagnostizieren lassen. Sie fehlen aber nicht generell. Psychiater oder andere Ärzte, die entsprechend ausgebildet sind, bekommen das ganz gut hin.

      Ich verstehe nicht ganz, was der letzte Punkt mit Enkes Tod zu tun hat.

  3. Fred says:

    Suizid ist nicht notwendigerweise eine freie Entscheidung, da bin ich einverstanden. Allerdings war mein Eindruck, diese Option würde überhaupt nicht in Erwägung gezogen, als nach Enkes Motiven gesucht wurde. Eine Depression, also eine Pathologisierung Enkes (ob berechtigt oder nicht, sei mal dahingestellt) führt doch automatisch dazu, dass ein Suizident als Opfer der eigenen psychischen Umstände gedeutet wird: und das macht ihn doch zum schwachen Menschen. Eben weil Depression stigmatisiert ist.

    • stralau says:

      Schon, aber wenn er depressiv ist (was ja nun der Fall ist), stigmatisiert ihn Deine Haltung ja noch mehr. Und wie nun schon sehr oft wiederholt: Suizid ist, nach allem, was Psychiater heute wissen, fast nie eine freie Entscheidung.

      Warum macht eine psychische Krankheit jemanden zum Schwachen Menschen? Ist man mit Krebs oder Grippe auch ein schwacher Mensch?

      • fred says:

        Ich finde es schwierig, der Psychiatrie die Deutungshoheit über Begriffe wie Selbstbestimmung und Freiheit zu überlassen. Aber das führt wohl zu weit ich fühle mich auch ein bisschen schäbig, Philosophie zu betreiben anlässlich des Todes Robert Enkes. Deswegen lasse ich das lieber.

        Ich glaube tatsächlich, dass sich seit 1978 nicht viel getan hat und Krankheit noch immer als Metapher gilt. Aktuelle Lektüren wie Maximilian Dorner (Mein Dämon ist ein Stubenhocker, ein Tagebuch eines MS-Kranken) und die vielen, vielen Gespräche, die ich während meiner Zeit als Pfleger in einer Münchner Rehaklinik geführt habe, lassen mich das glauben. Das gilt nur für schicksalhafte Erkrankungen, die entweder in dauerhafte Beschädigung oder in den Tod münden. Also nicht die Grippe oder ein Schnupfen, wohl aber Krebs.

        (Am Rande: Eine interessante Lektüre dazu ist der historische Abriss, den Klaus Müller im “Krüppel” liefert.)

        • stralau says:

          Ich finde es schwierig, der Psychiatrie die Deutungshoheit über Begriffe wie Selbstbestimmung und Freiheit zu überlassen.

          Man kann es auch so ausdrücken, daß die allermeisten Suizide aus großer Angst geschehen. Und die Erfahrung ist, daß Entscheidungen aus Angst unfreie Entscheidungen sind.

          Zu dem Sontag-Text, den ich nicht kenne: Mir ist nicht klar, was der mit dem Thema zu tun hat. Die einen behaupten, Enke sei an seiner Depression gestorben und Du sagst, diese Deutung macht ihn zu einem schwachen Menschen. Ich sage: jemand mit einer Depression hat vielleicht ein schlimmes Schicksal, ist aber nicht unbedingt ein schwacher Mensch (genausowenig, wie es jemand mit Schizophrenie oder Krebs ist – wo Du recht hast, ist, daß Grippe eine andere Kategorie ist).

  4. fred says:

    Die Pointe des Sontag-Textes ist folgende: eine Krankheit ist nicht nur eine Krankheit, sondern quasi ein Abbild der Seele. Krankheit ist ein oder verweist auf einen charakterlichen Makel.

    Depression gilt als Gemütskrankheit, weil es nach wie vor nicht möglich war, Ursachen (sei es nun körperlicher oder psychologischer Art) zu isolieren. Es gibt, wenn man so will, keine Stringenz in der Krankheitsbeschreibung.

    Wenn die Depression also eine Gemütskrankheit ist, die in den Tod führt, und die Ursache der Krankheit in der Seele und der Persönlichkeit des Opfers liegt, dann ist er, wenn man so will, in seinem Innersten verdorben. Er kann sich seiner selbst, seiner schwarzen Galle nicht erwehren und stirbt ja quasi an sich selbst.

    Tatsächlich macht man, wenn man Enke zum Opfer einer Erkrankung macht, genau das: ihn zum Opfer. In dem Fall: Opfer seines eigenen Gemüts. Opder seiner selbst. Und ein Opfer ist ein schwacher Mensch. Ich sehe wenig Möglichkeiten, innerhalb dieses Deutungskonstruktes seinen Suizid als seine Entscheidung dastehen zu lassen.

    Wenn man das überhaupt versuchen will. Ich würde sogar zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausschließen, denn jahrelang in Behandlung zu sein, führt nicht direkt in den Suizid. Das meint ich, als ich verhältnismäßig rotzig schrieb, ich hätte keine Beweise gesehen.

    Die fokussierung auf den Themenkomplex Depression allerdings macht es möglich, zwar nicht über den Fakt des Todes Robert Enkes zu sprechen, aber die Hoffnung zu nähren, man könne dagegen etwas unternehmen. Wenn beispielsweise mehr über Depressionen gesprochen wird, die Diagnose verbessert wird etc, dann werden weniger Menschen an ihrer Depression sterben. Man kann noch etwas tun. Das ist ein sprechen gegen die Hilflosigkeit.

    Abgesehen davon, ob die Zukunft das zeigen wird oder eben nicht, ist dieser Kniff ein Ausfallschritt, mit dem man den Diskurs ins wissenschaftlich-medizinische zieht.

    Diesen Schritt war und bin ich nicht bereit mitzugehen.

    • stralau says:

      Wenn die Depression also eine Gemütskrankheit ist, die in den Tod führt, und die Ursache der Krankheit in der Seele und der Persönlichkeit des Opfers liegt, dann ist er, wenn man so will, in seinem Innersten verdorben

      Aber wenn die Gesellschaft ein solches Konstrukt von psychischer Erkrankung hat, dann ist es doch kein Ausweg, die psychische Erkrankung zu leugnen oder als Ursache für Suizid nicht ernstzunehmen.

      Wieso Kniff?

      Du hast in Deinem Text angefangen, den Diskurs der anderen zu kritisieren. Insofern hat da niemand gezogen, sondern Du hättest gern die Depression aus dem Diskurs raus.

      Wieso Ausfallschritt ins wissenschaftlich-technische?

      Du würdest seinen Suizid gern als freie Entscheidung sehen. Das ist ja auch eine mögliche These. Das Problem ist aber, daß Du in Deinem Text („Gerade deswegen muss man immer beweisen, dass der Selbstmörder krank oder unglücklich oder sonstwie anders geartet war“) jede andere Deutung als Deine eigene als interessengeleitet darstellst.

      Und das ist im Zusammenhang mit der Stigmatisierung psychischer Krankheiten als nicht leistungsgesellschaftskompatibel einerseits und den Problemen, die eine extremen Betonung der Selbstbestimmtheit andererseits mit sich bringt (siehe auch den oben verlinkten Text von Oliver Tolmein) schon nicht ganz ohne Auswirkungen.

      • fred says:

        Ich leugne nicht die Existenz der Krankheit – ich bin nur nicht überzeugt, dass die Indizien ausreichen, monokausal von einem Suizid als Symptom ausgehen. Die Grundlagen, die dieser Meinung zugrunde liegen, überzeugen mich nicht. Mich überkommen vielmehr Zweifel, wenn ich mir alles vergegenwärtige, was ich von Enke weiß oder zu wissen glaube.

        Kniff im Sinne eines erzählerischen Kniffes. Allen anderen unterzujubeln, sie seien interessengeleitet, war auch eine Art erzählerischer Kniff. Das würde ich inzwischen anders, versöhnlicher schreiben.

        Natürlich habe ich ein Interesse, über Robert Enkes Tod zu schreiben, weil mich der Tod Robert Enkes getroffen hat und ich das Gefühl hatte und habe, man nimmt ihm die Würde, wenn man ihn in die Rolle des Kranken steckt. Eine Rolle, in die man jeden Selbstmörder gerne und mit großer Bereitschaft steckt.

        An dieser Stelle setzt normalerweise die Objektivierung, der Schwenk ins medizinische ein. Man hört auf, über den Betroffenen zu sprechen, und beginnt, über ein Phänomen, eine Krankheit zu sprechen. Man objektiviert.

        Den letzten Absatz habe ich nicht verstanden: vielleicht kannst Du das nochmal erläutern.

        • stralau says:

          Ich leugne nicht die Existenz der Krankheit – ich bin nur nicht überzeugt, dass die Indizien ausreichen, monokausal von einem Suizid als Symptom ausgehen.

          Das kann ich nachvollziehen.

          Beim Rest fürchte ich, drehen wir uns im Kreise. Du sprichst davon, daß „man“ Enke in eine Rolle stecken würde und ihm damit seine Würde nehmen würde. Ich hoffe, Du meinst das nicht so, aber der Satz klingt erstmal so (und das ist das Problem, das ich von Anfang an und immer noch mit Deinem Text hatte), als daß Du Kranke und Gesunde unterschiedlich wertest.

          Der unverständliche Absatz bezieht sich darauf, daß die anderen Ansichten, die als interessengeleitet dargestellt werden, meiner Meinung nach durchaus ernsthaft und wichtig sind und eine solche Herabsetzung (und sei es nur aus rhetorischen Gründen) keine gute Sache ist (dies nur als Erläuterung, Du hast ja schon gesagt, daß Du es anders schreiben würdest).

    • stralau says:

      Depression gilt als Gemütskrankheit, weil es nach wie vor nicht möglich war, Ursachen (sei es nun körperlicher oder psychologischer Art) zu isolieren. Es gibt, wenn man so will, keine Stringenz in der Krankheitsbeschreibung.

      Ich hätte gedacht, Gemütskrankheit sei ein Synonym für psychische Krankheit. Das mit den Ursachen stimmt so nicht ganz, es gibt da schon einige Thesen (ja klar, es gibt nicht die eine Ursache).

      Aber selbst wenn das nicht der Fall wäre, Krankheiten, die zum Tode führen und deren Ursachen unbekannt sind, sind nichts besonderes: plötzlicher Kindstod fällt mir da zum Beispiel ein. Das wäre also keine Besonderheit der Depression.

  5. fred says:

    SChon wieder vergessen, innerhalb der Diskussion zu bleiben. Mist.

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