Ich weiß nicht, wie Regisseure arbeiten. Wie sie recherchieren. Ob sie dorthingehen, wo ihr Film spielt und sich die Leute ansehen, mit ihnen sprechen. Aber als Zuschauer merkt man doch, ob ein Stück dicht ist, ob der Regisseur weiß, wovon er spricht, oder ob er Klischees aneinanderreiht.
Ein Krimi muß ja gar nicht unbedingt realistisch sein. Die Gesellschaft muß ja nicht immer eine so große Rolle spielen, wie es in den ARD-Produktionen manchmal der Fall ist. Wenn sie es aber tut, merkt man den Unterschied zwischen Produktionen, die mit Liebe zum Detail entstehen und Fließbandware.
Bis auf wenige Ausnahmen gehören die Frankfurter Tatorte zu denen, über die man sich freuen kann. Es ist vor allem die Ernsthaftigkeit, das Erzählenwollen, das hier auf Sorgfalt und handwerkliches Geschick stößt. Markenzeichen sind die vielen Außenaufnahmen, der ungeschönte Blick auf die Stadt, die in den Tatorten eher als hart gezeichnet wird, die allem zugrundeliegende Unruhe und Hektik, die dafür sorgt, daß es nie nur die Sonntagabendunterhaltung bleibt und der vergleichsweise sparsame Einsatz von Eigenheiten und Witzeleien der Ermittler. Die Dunkelheit, das Harte, das Unversöhnliche erinnern an frühe Schimanski-Folgen und die Geschichten sind immer unglaublich dicht erzählt. Zwischendurch aufs Klo gehen ist nicht drin.
In „Bevor es dunkel wird“ (Regie: Martin Enlen) stirbt eine Frau, die ehrenamtlich bei der Essensausgabe für Bedürftige arbeitet. Während es zunächst nach einem Anschlag auf die Armen aussieht und die Kommissare das ausgegebene Essen wieder einsammeln müssen, stellt die Gerichtsmedizinerin (sehr schön: Iris Böhm) fest, daß die Frau gezielt getötet wurde. Und das ist dann doch mal eine hübsche neue Idee: Vergiftung mit Zyankali durch einen Tampon. Dadurch ergibt sich dann ein bunter Strauß von Verdächtigen: der einst brutale Ex-Mann (Oliver Breite), die Sponsorin der Mittagstafel, deren Geschäfte nicht gutgehen, ihre Schwester, die gerade gekündigt wurde, der Liebhaber.
Thema des Filmes ist auch die Bewältigung des schwierigen Lebens durch Menschen, die in Vereinzelung gefangen sind, und für die es aus unterschiedlichen Gründen immer ein Kampf bleibt: die Betreiberin des Sanitätshauses und ihre Schwester. Diese wird entlassen, weil sie als Bandagistin nicht mehr benötigt wird. Die drei Kinder des alleinerziehenden Opfers, die danach tapfer versuchen allein klarzukommen und sich zu trösten (herausragend: Karoline Schuch). Und schließlich die alleinlebende Frau (Ina Weisse), die an Retinitis pigmentosa, einer langsamen Netzhautablösung leidet, deren Welt also langsam immer dunkler wird und die durch ihre herzlosen Arbeitgeber ihr Kind verloren hat.
Thema sind auch die verschiedenen Formen von Armut. Und das ist dann vielleicht ein bißchen zu viel des Guten: daß die Ermittlungshelfer Gröner (Sascha Göpel) und Springstub (Chrissy Schulz) zeigen müssen, daß es auch jeden von uns treffen kann.
Der Titel ist auch der Titel eines Buches des schwedischen Journalisten Täppas Fogelberg über seine eigene Erkrankung an Retinitis pigmentosa. Er erinnert auch an den Film „Warte, bis es dunkel ist“, in dem, ähnlich wie in der Schlußszene dieses Tatorts, die Blinde in einem dunklen Raum im Vorteil ist.
Am Ende eines Tatorts wird die Spannung häufig noch durch einen kurzen Witz gelöst, damit wir ruhig schlafen können. Herzlos war diesesmal der viel zu kurze Schnitt zwischen der hochdramatischen und sehr emotionalen Schlußszene und dem Abschlußgag.
[Erstsendung: 25. November 2007]