Verfall oder Verwertung – wen kümmert der Denkmalschutz?
Bis zum Ende dieses Monats ist die Rummelsburger Bucht noch Entwicklungsgebiet. Das hat vereinfachtes Planungsrecht zur Folge, die Einspruchsrechte der Bürger gegen Planungen der Wasserstadt GmbH sind also eingeschränkt. Im Gegenzug gibt es eine gewählte Betroffenenvertretung, die in bestimmten Fällen Stellungnahmen abgeben darf.
Die Architektur auf Stralau besteht, neben größtenteils sehr gesichtslosen Nachwende-Neubauten, aus sehr charakteristischen und gut erhaltenen Altbauten, die von der bewegten Geschichte der Halbinsel zeugen. Zu den Denkmalen gehören u.a. die Kirche am Fluß aus dem 15. Jahrhundert, die Kasernen der Glasarbeiter, die atemberaubende expressionistischen Turnhalle an der Dorfschule, die Gründerzeitbebauung in der Krachtstraße, das traumhaft verfallene Wohnhaus in der Bahrfeldtstraße, in dem die Einrichtung an vielen Stellen seit dem Bau unverändert ist, der Palmkernölspeicher am See (hier wurde einst Margarine hergestellt), die Gebäude des Glaswerkes, in dem Flaschen für die Brauerei produziert wurden und das Karl-Marx-Denkmal mit hübschen naiven Reliefs von Hans Kies aus dem Jahre 1964.
Die beiden markantesten Gebäude sind der Flaschenturm der Engelhardt-Brauerei von Bruno Buch (1930) und das Goldene Haus, ein DDR-Plattenbau mit brauner Spiegelverglasung. Beide überragen ihre Umgebung, das Goldene Haus paßt sich durch die Spiegelung dennoch gut ein. Beide zeugen von der bewegten Geschichte der Halbinsel.
Flaschenturm und Goldenes Haus sollten jetzt an einen Investor verkauft werden, der Wohnungsbau plant.
Der Flaschenturm, mit seiner sehr großen Grundfläche und entsprechend wenig Licht im Inneren, soll an einer Seite aufgebrochen werden. Außerdem sehen die Pläne vor, die wunderschön strengen gemauerten Vertikalen mit dazwischenliegenden schmalen Fenstern durch breitere Fenster zu zerstören. Schlimmer noch ist, daß das umliegende Gelände Richtung Nordosten und Südosten mit Geschoßwohnungsbau zugestellt wird, so daß vom Flaschenturm kaum noch etwas zu sehen sein wird. Entschärfung der Erinnerung an Industriezeiten.
Das Goldene Haus wiederum, das zur Zeit ein hübscher Tummelplatz für kleine Plattenlabel und andere Gewerbetreibende ist (nach denen sonst in Stralau händeringend gesucht wird), wird auch dem Wohnungsmarkt zugeführt und in seinem Charakter völlig verändert: neue Fassade, dadurch viel massivere Wirkung und noch zwei Stockwerke ohmdruff.
Und wie das in solchen Fällen ist: der Investor droht, ganz oder gar nicht, und zwar schnell. Die Betroffenenvertretung stimmte nach Schnelldurchsicht der Pläne zu. Der Stadtplanungsausschuß des Bezirksamtes ließ sich nicht so leicht beeindrucken und hat zumindest den geplanten Umbau des Flaschenturms abgelehnt. Wie es weitergeht, wird man sehen.
Damit ist es jedoch nicht getan: dem Flaschenturm ist ja weder dadurch geholfen, daß er durch Investorendruck völlig seines Aussehens beraubt wird, noch dadurch, daß er jahrelang leersteht und verfällt. Dieses Schicksal hat ja schon den Palmkernölspeicher ereilt: weil es dort keinen Platz zum Parken gibt, Parkplätze vom deutschen Recht für alle Nutzungen aber zwingend vorgesehen sind, wird er wohl weiterhin Jahr für Jahr ohne Fenster der Witterung ausgesetzt sein.
Was kann man also tun, damit die Zeugnisse der vergangenen Industriegesellschaft nicht verfallen?
Soll der Denkmalschutz hier Kompromisse schließen?
Wenn ja, wie können diese aussehen?
Wenn nicht, wie kann man dem Verwertungsdruck standhalten?