Wir wollen, daß ihr uns alles glaubt
Dienstag, 18. November 2008Die Mitte blutet immer noch — der alte Palast ist inzwischen fast weg. Fast könnte man meinen, nächste Woche Freitag, wenn die Jury über den Entwurf für das neue Schloß entscheidet, soll der ehemalige Marx-Engels-Platz wieder jungfräulich und bereit für das Neue sein. Allein — nichts wird neu sein. Den Architekten wird jetzt schon ganz schlecht, weil sie die Vorgaben des Bundestages — barocke Außenfassade und bekannte Nutzer im Inneren — umsetzen müssen.
Nachdem der Jury-Vorsitzende Vittorio Lampugnani die Entscheidung für die barocke Fassade im aktuellen Spiegel hinterfragt, wittert die überregionale Presse Morgenluft und bringt ihre jeweiligen bekannten Positionen zu Gehör: in der FAZ macht sich Andreas Kilb dafür stark, die West-Berliner Museen vom Potsdamer Platz nach Mitte ziehen zu lassen. Nina Apin wirft in der Taz dem Bundesbauministerium vor, die wahren Baukosten zu verschleiern, Boddiens Schloßverein Dilletantismus und dem Architekten des Vereins ein Interview in der rechten Zeitung „Jungen Freiheit“. In der Süddeutschen Zeitung verteidigt Gerhard Matzig die Jury gegen Angriffe von außen.
Auch wenn eine erneute Diskussion jetzt wohl zu spät kommt, ist der Neubau mit Barockfassade in der Öffentlichkeit bisher überhaupt nicht auf Liebe gestoßen, während gleichzeitig das Interesse an der symbolischen Mitte des verletzten Deutsch-Landes nicht abreißt. Das Festhalten am schnellen Palastabriß und schnellem Neubau hingegen ist überhaupt nicht einem besonders guten Entwurf geschuldet, sondern einzig dem Wunsch, die symbolische Macht über die Mitte zu erhalten.
Diese Macht ist keine gute und schon jetzt so offensichtlich auf Sand gebaut. Was nach kurzer Zeit aus dem letzten machtvollen Interpretationsversuch des deutschen Zentrums wurde, sieht man gerade am Palast. Warum eigentlich mußte sich der Bundestag überhaupt mit Städtebau in Berlin auseinersetzen? Wäre es nicht um Klassen größer gewesen, sich über die Nutzung zu einigen und dann einen offeneren Wettbewerb auszuschreiben?
Die Schloßliebhaber haben in ihrer Einfallslosigkeit wohl zuviel gewollt. Ich vermute, daß nach der Jury-Entscheidung nächste Woche die Diskussion weitergehen wird, zumal bei den zu erwartenden sehr hohen Kosten. Leidtragende wird u.a. die Humboldt-Universität sein, deren Sammlungen schon jetzt teilweise in einem erbärmlichen konservatorischen Zustand sind. Und der nächste Symbolstreit guckt schon um die Ecke: das Denkmal für Einheit und Freiheit auf dem Sockel für Kaiser Wilhelm wird sicher noch für Streit sorgen. Ich bin ja dafür, Helmut Kohls wehenden Mantel der Geschichte auf einen Kleiderständer auf dem Sockel zu hängen.
Ich lebe mittlererweile in einer Welt, wo es nur noch Beton und Fassade gibt, alles modern, auf Kilometer, auf eine Stunde Fahrtzeit. Die Schlossdebatte ist dagegen eine Luxusdebatte. Und ich beneide Berlins Mitte darum,ja ich weiss, die Kosten.
großartige Bebilderung
Im Kontext: Rammstein — Ich will. Das Video ist übrigens am 10. September 2001, dem letzten Tag der Neunziger Jahre, erschienen. Damals taugte die Berliner Polizei auch noch als klares Feindbild. Aufgenommen im Staatsratsgebäude und am Schauspielhaus?