Archiv für die Kategorie „Immer wieder sonntags“

Erwachsenendinge tun

Sonntag, 25. September 2011

Die kurzen Momente des Atemholens: bevor der Kleine Hunger hat oder die Große vom Mittagsschlaf erwacht, am Fenster sitzen, das schräg auf die Straße geht, Zeitung lesen, Deutschlandfunk hören und der Herbstsonne auf der Fassade zuschauen. Erwachsenendinge tun.

~

In der ganzen Straße sind zwar die historischen Fassaden wiederhergestellt worden, allerdings hat man alles mit einem plumpen Rauhputz überzogen — diesen hätten sich die Putti zur Bauzeit wohl nicht träumen lassen.

~

Der außer der Reihe am Freitagabend ausgestrahlte „Polizeiruf 110: Denn sie wissen nicht, was sie tun“ ist ein sehr gutes Stück deutsches Fernsehen: packend, rhythmisch, mit anrührender Kamera und einem großartigen Matthias Brandt. Sehr ärgerlich ist die Begründung für die Verschiebung auf den späten Abend aus Jugendschutzgründen: brutalere Bilder gab es schon in einigen anderen Sonntagabendfilmen. Der andere angegebene Grund, daß der Staat komplett versagt und es keine klare Unterscheidung zwischen Gut und Böse gibt, spielt deutlich in die Hände derer, die bei Jugendschutz immer gleich Zensur schreien: Im Film gibt es Kompetenzstreitigkeiten zwischen Münchner Polizei, LKA und Verfassungsschutz. Ein paar Dinge werden unter den Teppich gekehrt und der Anschlag, der hätte verhindert werden können, am Ende Al-Kaida in die Schuhe geschoben. Es gibt einen Innenminister und seinen Staatssekretär, denen die öffentliche Meinung wichtiger als die Kriminalitätsverhinderung ist.

~

Es sieht so aus, als hätten sich SPD und Grüne auf eine stille Beerdigung der A100 geeinigt. Schön! Liquid Democracy hin oder her, aber etwas Haltung in dieser Frage hätte der Piratenpartei gutgetan. So kann man nur froh sein, daß es am Ende doch noch für Rot-Grün gereicht hat.

Tatort: Der illegale Tod (RB)

Sonntag, 15. Mai 2011

Bis in die Details der Animationen hinein vom Kunstprojekt European Border Watch inspiriert. Schade, daß es weder im Abspann noch auf den Webseiten einen Hinweis dazu gibt.

Polizeiruf 110: Die armen Kinder von Schwerin (NDR)

Donnerstag, 2. Juli 2009

Ich schreibe ja nicht mehr über die Sonntagskrimis. So werde ich auch nicht erwähnen, daß der letzte Schweriner Polizeiruf richtig gut war, und auch nicht warum. Aber zwei Drehorte in und um Berlin seien erwähnt:

Die wunderbare Max-Taut-Schule Schlichtallee/Ecke Fischerstraße in Lichtenberg sowie das alte Rüdersdorfer Chemiewerk, auf dessen Gelände ich damals im PA-Unterricht auf verseuchtem Boden umhergekrochen bin mit dem Befehl zum Unkrautjäten.

Tatort: Kinderwunsch (ORF)

Dienstag, 2. Juni 2009

Ich kann’s nicht lassen — eine kleine Bemerkung zum gestrigen Tatort.

Die Geschichte an sich war schon hanebüchen. Aber sie war auch schlecht recherchiert: das deutsche Embryonenschutzgesetz ist zwar, wie im Film gesagt, strenger als das anderer Länder, aber im Moment dürfte der Grund für deutsche Paare, ins Ausland zu gehen, ein anderer sein: im Unterschied zu fast allen anderen Ländern übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland seit 2002 nicht mehr die vollen Kosten. Da werden sich wohl einige umschauen, wo es billiger ist. Andererseits: wenn die Behandlung, wie im Film behauptet, in Österreich 29000 € kostet, gibt es für deutsche Paare keinen Grund, dorthinzugehen, denn hier kostet ein Versuch je nach Behandlungsart zwischen 900 und 4000 €. Davon wird bei verheirateten Paaren über 25, bei denen der Mann unter 50 und die Frau unter 40 ist, die Hälfte von bis zu drei Versuchen von den gesetzlichen Kassen übernommen.

Nimmer wieder sonntags

Dienstag, 19. Mai 2009

Es wird etwas geschehen.

Seit fast vier Jahren gibt es hier wöchentlich eine Besprechung von Tatort, Polizeiruf oder Schimanski, insgesamt 163 mal. Eine Folge fehlt: der MDR-Tatort „Sonnenfinsternis“.

In diesem Jahr wird zur Tatort-Sommerpause etwas geschehen. Und ich denke schon länger, daß danach vielleicht keine Zeit mehr sein würde. Nun aber werfen die Ereignisse ihre Schatten voraus, so daß schon jetzt Schluß sein wird. Es bleibt zu sagen: es hat Spaß gemacht, vor allem aber herzlichen Dank den Gastautoren, die eingesprungen sind, wenn ich selbst keine Zeit hatte: Schabia, Thomas, Ekzem, Heiko Werning und Frerk!

Vielleicht wird die Reihe irgendwann wieder aufgenommen. Die Runde trifft sich weiterhin immer wieder sonntags.

Tatort: Bittere Trauben (SR)

Dienstag, 28. April 2009

Ich will einmal nach Saarbrücken (Ja, Saarbrücken wäre nett).//
Ich will Haare auf dem Rücken (und ein rosa Himmelbett).//
Ich will nie etwas glauben, was es gar nicht gibt.//
Ich möchte mal ein Model treffen, das sich in mich verliebt.

Eine Variation auf die Geschichte von Nabots Weinberg (1. Kön 21): König Ahab nimmt den Weinberg, den ihm sein Nachbar Nabot nicht verkaufen will, mit List und übler Nachrede. Gott — unergründlich wie immer — sühnt nicht an Ahab, der rechtzeitig Buße tut, sondern an dessen Sohn.

„Bittere Trauben“ ist mit Unterstützung der Saarländischen Medienförderung gedreht worden, und danach sieht er auch aus: Tourismusbilder in Wein-Umgebungen, die uns zeigen sollen, wie schön das Saarland ist, nicht einmal auf die Postkarten-Saar-Schleife wird verzichtet.

Die Handlung ist vorhersehbar und könnte gut in zwanzig Minuten erzählt werden, wird aber leider auf volle eineinhalb Stunden ausgewalzt. Die positive Überraschung ist Konstantin Wecker, der mir bisher als pathetischer Sänger immer auf den Nerv ging, als Schauspieler aber, der den alten Zausel spielt, wirklich richtig gut ist.

[Erstsendung: 26. April 2009]

Tatort: Oben und unten (RBB)

Sonntag, 26. April 2009

Du sitzt mir gegenüber//
und schaust an mir vorbei.

„Die wissen gar nicht, was sie angerichtet haben mit ihrem Dosenpfand.“ Die Kalauer sitzen inzwischen sicher beim Berliner Tatort. Das Sujet liegt mit Bauskandalen sowohl in dem Bereich, der in Berlin üblich ist, als auch in der Kompetenz des Berliner Tatorts: Wirtschaftskrimi. Der spielt aber selbst kaum eine Rolle, „Oben und unten“ ist mehr ein Film über den Ort und seine Topographie: Der Berliner Untergrund mit nichtgenutzten Reservebauten für die U-Bahn, Bunkern, der Senatsreserve und der Kanalisation.

Das hat man zwar schon öfter gesehen — Half Life, Delicatessen — macht aber Spaß: eine große Schnitzeljagd über und unter der Stadt mit der U-Bahn als Verbindung zwischen oben und unten und den Kommissaren als Olsenbanden-Zitat auf dem Hochhausrohbau in der Friedrichstraße. Phantastisch auch die Aufnahmen in einem komplett orangen West-Berliner Nachkriegs-U-Bahnhof, von dem ich gern wüßte, wo er ist.

Schauspieler: Toll gespielt von Harald Schrott — wie in „Die neun Leben des Thomas Katz“ aus der Unterwelt hervorgeholt — der verrückte Künstler, der anfangs am Großen Stern mit Geld um sich wirft, es am Ende natürlich nicht war. Auch Hansjürgen Hürrig als Bauunternehmer wie immer sehr gut.

Es ist schön, zu sehen, wie sich der Berliner Tatort von seiner fünfzehn Jahre dauernden Misere langsam erholt. Einzig die Auflösung krankt dann doch an einem Logik-Fehler: Warum geht das Opfer einfach aufgrund einer Kurznachricht in den U-Bahn-Tunnel?

Drehorte nahe Stralau: der Fußballplatz an der Hauptstraße, der ehemalige Rummelsburger Knast, der auch im echten Leben mit Luxuswohnungen bebaut wird.

[Erstsendung: 19. April 2009]

Tatort: Häuserkampf (NDR)

Sonntag, 19. April 2009

Ich will Eure Stimmen hörn//
Ich will die Ruhe störn//
Ich will, daß Ihr mich gut seht//
Ich will, daß Ihr mich versteht.

In der zweiten Folge wird der verdeckte Ermittler Cenk Batu (Mehmet Kurtulus) in das SEK eingeschleust: Mitarbeiter werden verdächtigt, serbische Kämpfer ausgebildet zu haben. Während er sich an die Familie des Verdächtigen Lars Jansen heranmacht, passiert in einem Hamburger Hochhaus eine Geiselnahme, deren Täter Zoltan Didic (Stipe Erceg) sich dann vor den Zielkameras des SEKs erschießt, nicht ohne vorher Jansen zu beschuldigen.

Die eigentlichen Geiseln sind dann Jansens Frau und Tochter, die an einem geheimen Ort gefangengehalten werden und von Jansen gefunden werden müssen, bevor sie sterben. Jansen jedoch wird durch einen Autounfall vorläufig aus dem Verkehr gezogen, so daß Batu der Schnitzeljagd, die Didic gelegt hat, folgen muß. Das ganze ist sehr genau und spannend inszeniert, daß es eine Freude ist. Hamburg rockt noch immer.

Richard Kämmerlings stellt in der FAZ Vergleiche mit „24“ an und bemängelt im Vergleich das mangelnde Tempo. Ich kenne „24“ nicht, finde aber die Erzählung in „Häuserkampf“ sehr gelungen. Außerdem schlägt Kämmerlings vor, einen Tatort in Echtzeit handeln zu lassen. Das gab es allerdings tatsächlich schon einmal: „Außer Gefecht“ spielt sogar während der Tatort-Zeit von 20.15 Uhr bis 21.45 Uhr.

Seltsam das Markenspiel: die Ipods bei der Kinderschnitzeljagd, die den ungewöhnlichen Reichtum von Jansen verdeutlichen sollen. Phantasie-Handys: Mokwa, Tell-Mo. Und Palm Treo ständig im Bild.

[Erstsendung: 13. April 2009]

Polizeiruf 110: Fehlschuß (MDR)

Sonntag, 19. April 2009

Es regnet nie in Halle-Neustadt.

Der 300. Polizeiruf (wenn man von einer Folge absieht, die zu DDR-Zeiten wegzensiert wurde) besinnt sich auf seine Tradition: gesellschaftliche Probleme im Kleinen zu zeigen.

Der Film spielt in der Hallenser Südstadt, einem Viertel, trostloser noch als gewisse Gegenden der Neustadt. Jugendliche hängen auf dem Spielplatz ab und begehen Einbrüche. Sie werden offenbar von einem Erwachsenen geleitet.

Die Geschichte ist unspektakulär und dicht erzählt, sie bleibt bei den handelnden Personen. Auch das steht in der guten Tradition des DDR-Polizeirufs. Fast kammerspielartig gibt es keine Ausflüge der Kommissare zum Küchenkauf oder in den Teeladen mehr. Stattdessen kann der Zuschauer die verschiedenen familiären Hintergründe der Jugendlichen verstehen und nachvollziehen.

Die Langsamkeit der Erzählung mag einem heutigen Tatort-Zuschauer ungewohnt vorkommen, tut aber der Sache gut. Einzig die Dialoge wirken oft sehr wie auswendig gelernt.

[Erstsendung: 5. April 2009]

Tatort: Gesang der toten Dinge (BR)

Sonntag, 5. April 2009


the monkey rode the blade on an overhead fan//
they paint the donkey blue if you pay//
I got a telephone call from Istanbul//
my baby’s coming home today//
will you sell me one of those if I shave my head//
get me out of town is what fireball said//
never trust a man in a blue trench coat//
never drive a car when you’re dead.

Die Fernsehastrologin Doro wird erschossen aufgefunden. Der Suizid scheint vorgetäuscht. Ihr Gatte Remy (passend blondiert: André Eisermann) hatte eine Affäre. Auch Doros Schwiegervater, der nach ihrem Tod schnell eine Beziehung zur Haushälterin entwickelt, forscht astrologisch. Die Ermittlungen führen die Batic und Leitmayer zu Fefi, einer leicht durchgeknallten Gärtnerin im Nymphenburger Schloßpark, wunderbar gespielt von Irm Hermann, und von dort zu Dr. Goll, der aus den von ihr aufgenommenen Geräuschen den „Gesang der toten Dinge“ macht, einen Tom-Waits-artigen Zusammenschnitt. Mit Fefis Führung taumeln die Ermittler durch eine immer schneller werdende Komödie, die sich vor allem durch punktgenaue Dialoge auszeichnet.

„Gesang der toten Dinge“ fügt sich ein in die Münchner Tradition, schräge Filme mit verrückten Alten zu drehen. Er kommt zwar nicht an die absolut herausragende Folge „Nicht jugendfrei“ mit den Schauspielern von „Raumpatrouille Orion“ und krassen Drogenerfahrungen heran, aber auch „Gesang der toten Dinge“ besticht durch viel Witz und grandioses Schauspiel: neben Hermann auch Theres Affolter und Bernd Stegemann sowie Sabine Timoteo, die für diese Folge den Ersatz für den Menzinger als schweizer Polizistin spielt, und dabei nur ein klein wenig zu niedlich ist.

Kritisiert worden ist die schwer nachvollziehbare Handlung, diese Kritik kann ich nachvollziehen, teile sie aber nicht: das Unwahrscheinliche, Übertriebene ist ja durchaus gewollt. Nicht nachvollziehen kann ich dagegen Heiko Wernings (der hier auch schon über Tatorte geschrieben hat) Warnung vor der Esoterik, der dieser Film das Wort reden würde. Die Tatort-Reihe richtet sich an Erwachsene, denen man Urteilskraft zutrauen kann. Wenn immer nur erklärt wird, was richtig und falsch ist, wird’s schnell langweilig.

Gestört hat mich die seichte Musik (Lothar Scherpe), die diesen Film in die Nähe deutscher Komödien der Neunziger Jahre rückt.

[Erstsendung: 29. März 2009]

Tatort: Höllenfahrt (WDR)

Sonntag, 29. März 2009

Setz mir Metall an die Schläfe.

Eine Leiche auf dem Golfplatz, deretwegen Professor Börne unwillig das Turnier unterbrechen muß, ist erst der Anfang. Irgendwann sind Thiel und Börne nur noch hektisch durch das schöne Münsterland unterwegs, während das Ausmaß der Gewalt von Totem zu Totem zunimmt.

Wie immer im Münsteraner Tatort sitzt jede Einstellung, stimmt fast jeder Dialog, „Höllenfahrt“ überrascht aber angenehm, weil zum einen der Wille zum Klamauk lässiger und nicht so übertrieben daherkommt, und weil zum anderen neben der Irrfahrt der beiden Chaoten auch die furchtbare Geschichte eines Mannes erzählt wird, der zur Folter gezwungen wurde und der nun nicht mehr davon wegkommt. Allein bei der Scheinhinrichtung Thiels am Ende kippt der Film aus der Kurve und man hat das unangenehme Gefühl, mit dem Schlußwitz billig um die Tragödie betrogen worden zu sein.

[Erstsendung: 22. März 2009]

Tatort: Das Gespenst (NDR)

Sonntag, 29. März 2009

Connecting People.

Der Kongokrieg hat bisher 5,8 Millionen Todesopfer gefordert, mehr als jeder andere Konflikt seit dem Zweiten Weltkrieg. Im Kongo liegen große Teile des weltweiten Vorkommens von Coltan, einem Erz, dessen Metalle unter anderem für elektronische Geräte verwendet werden. Während der Zeit der New Economy hat sich der Coltanpreis verzehnfacht und heizt bis heute den Krieg an — die kriegführenden Parteien finanzieren ihre Waffenkäufe mit Erz.

„Das Gespenst“ spielt vor dem Hintergrund dieses Krieges. Daß der Krieg selbst kaum eine Rolle spielt, ist für einen Tatort schon ok. Wenn allerdings schon erwähnt wird, daß Coltanprodukte für jedes Mobiltelefon gebraucht werden, hätte man auch den besonderen Beitrag deutscher Firmen erwähnen können, die große Teile des weltweiten Coltanhandels beherrschen.

Wie alle hannöverschen Tatorte ist auch dieser dicht um die Hauptdarstellerin gestrickt. Ihre Gegenspielerin Manu (auf RAF gestylt: Karoline Eichhorn), am selben Tag im selben niedersächsischen Ort geboren und mit ihr aufgewachsen, ist als Ärztin mit einer Menschenrechtsorganisation in den Kongo gegangen und arbeitet nun verdeckt für den Verfassungsschutz. Ihre Gruppe will einen Anschlag auf den Diktator verüben, der sich — geheim, um nicht verhaftet zu werden — zu einer Operation in Deutschland aufhält. Sie will aus dem erpresserischen Verhältnis zum Geheimdienst aussteigen.

Vor dem ersten Anschlagsversuch erschießt Manu aus Nervosität einen Polizisten. Das ist der eigentliche Fall für Charlotte Lindholm, allerdings tritt sogleich der Verfassungsschutz auf den Plan, verwischt Spuren und es beginnt ein gut geschnittener flotter Plot. Manu und Charlotte kommen sich dabei immer näher, aber nie wirklich nahe. Die Brücken sind abgerissen. Spät entscheidet sich Charlotte, ihrer alten Freundin zu helfen und sie vor den Machenschaften des finsteren Agenten zu schützen. Es reicht dann nicht, sie wird in einer spektakulären Aktion von fünf vermeintlichen Chirurgen erschossen.

„Das Gespenst“ hat mir besser gefallen als viele Folgen aus Hannover, obwohl es sich vor allem um die Person der Charlotte Lindholm dreht und der Gegensatz zwischen den beiden Hauptfiguren wie immer etwas sehr klischeehaft daherkommen. Hinterher hat sich mal wieder eine bedrohte Minderheit über die Darstellung im Tatort beschwert: Der Verfassungsschutz fühlt sich verunglimpft.

[Erstsendung: 15. März 2009]

Tatort: Mauerblümchen (MDR)

Sonntag, 15. März 2009

Denn wovon lebt der Mensch? Indem er stündlich / Den Menschen peinigt, auszieht, anfällt, abwürgt und frißt. / Nur dadurch lebt der Mensch, daß er so gründlich / Vergessen kann, daß er ein Mensch doch ist.

Am Anfang sehen wir die Geliebte von Herrn Lohmann, die sich im Bad die Haare aufsteckt. Später liegt Herr Lohmann in seinem Blute vor dem Panoramafenster. Seine Frau ist noch völlig apathisch von den Betäubungsmitteln, die sie Abend für Abend nimmt, wenn sie in ihrem Verlies im Keller schläft, wegen des Lärms. Lohmann war Bürgermeister für Ordnung und Umwelt (hier sind einige Zuschauer ins Grübeln gekommen: Bürgermeister sind in Leipzig die Stellvertreter, der Bürgermeister heißt Oberbürgermeister).

Mit den Ermittlungen wird ein Knäuel von Machtstrukturen und Ausnutzung von Abhängigkeiten abgewickelt: ein Bauunternehmer und Jäger hätte ein Motiv gehabt, die tote und mißhandelte Prostituierte, die kurz darauf gefunden wird, war zu beschämend wenig Geld als Putzkraft in einem Hotel beschäftigt, eine Beamte und die Inhaberin der Zeitarbeitsfirma haben kräftig mitverdient. Herr Lohmann war der Gute und wollte die Mädchen retten (ob das vielleicht auf den einstigen Bürgermeister für Ordnung und Umwelt und Antipode der Leipziger Hausbesetzer Holger Tschense gemünzt war, der wegen Rechtsbeugung sein Amt aufgeben mußte, wo aber die Gerüchte, daß alles inszeniert war, um ihn loszuwerden, nie verstummten?).

All das ist so sicher und gut inszeniert, wie es seit dem Darstellerwechsel in Leipzig üblich ist, auch die Stadt als Handlungsort und Schicksal kommt wieder gut zur Geltung: Ehrlicher und Kain hätten überall spielen können, Saalfeld und Keppler kann es nur in Leipzig geben. In dieser Folge gibt es, zusätzlich zu den vielen städtischen Schauplätzen, eine anrührende Nachtwanderung der verzweifelten Schwester der Toten.

Ärgerlicherweise bleibt der Film in seiner Aussage aber auf halbem Wege stecken: man muß im Tatort nicht unbedingt gesellschaftliche Probleme beim Namen nennen. „Mauerblümchen“ tut es aber, indem die Schuld an der Ausbeutung den Ausbeutern zugewiesen wird, die von der Machtlosigkeit der illegalen Beschäftigten profitieren. Im Text zum Film heißt es auch: „Zeitarbeit und illegale Beschäftigung scheinen zum Mißbrauch von Menschen aufzufordern.“ Daß die ganze Gesellschaft mitschuldig ist, weil sie Gesetze macht und duldet, die den Menschen ihre Rechte nimmt, die aus Not zu uns kommen, hätte dann auch Thema sein müssen.

Tatort: Tödliche Tarnung (SWR)

Sonntag, 15. März 2009

My friends all drive Porsche.

„Tödliche Tarnung“ beginnt wie ein üblicher Tatort mit dem Leichenfund — hübsch inszeniert am Rande des Stuttgarter Flughafens. Der ermordete Zöllner, der, wie die Ermittlungen ergeben, kniend hingerichtet wurde, hatte einen ausschweifenden Lebensstil, der seine Verhältnisse überstiegen haben muß. Auch besteht eine Verbindung zu einer Hilfsorganisation mit dem hübschen Namen „Schwaben für Menschen“, die schnell im Verdacht steht, mit den Hilfsgütern auch Waffen nach Usbekistan zu schmuggeln.

Bis hierher ist die Handlung atemberaubend langsam, Schwung hat nur der Porsche des Kommissars, der noch ausführlicher ins Bild gesetzt wird als der Mercedes in der letzten SWR-Folge. Schwaben bauen Autos, aber dies Überpräsenz nervt.

Eine Wendung erfährt der Film, als die Verbindung von der Hilfsorganisation zum Waffenschmuggler Victor de Mann (Filip Peeters) aufgedeckt wird und damit alte Wunden von Kommissar Lannert (Richy Müller) aufbrechen: seine Frau und seine Tochter starben bei seinem Einsatz als verdeckter Ermittler gegen de Mann. Es kommt nach einem gemeinsamen Essen zur dramatischen Verfolgungsjagd in Lannerts Wohnung.

Der dritte Tatort nach Bienzle ist also noch mit der Einführung seiner Figuren beschäftigt, was im Prinzip auch in Ordnung ist, allerdings wirken Lannerts Schmerzen zu dick aufgetragen, die Figuren ein wenig holzschnittartig, vor allem aber schafft es „Tödliche Tarnung“ nur selten, wirklich Spannung aufzubauen. Die Nebenhandlung, in der für Lannert ein Geburtstagsgeschenk vorbereitet wird, geht völlig daneben. Und die schwäbischen Autos, wie gesagt.

[Erstsendung: 1. März 2009]

Tatort: Herz aus Eis (SWR)

Dienstag, 24. Februar 2009

Ich heiße superfantastisch.

„Herz aus Eis“ dreht sich um mehrere äußerst kaltblütige und brutale Mordversuche auf einem Internat, deren einer glückt: ein Schüler wird mit Flunies betäubt und gefesselt in seinem Bettbezug im Schwimmbad ersäuft. Eine Schülerin wird in ein Eisloch gezogen und immer wieder in es zurückgestoßen. Nachdem sie gerettet wurde, versuchen es die Mörder, indem sie Insulin in ihre Infusionslösung spritzen.

Das Böse in diesem Film fasziniert natürlich und in der zweiten Hälfte entwickelt der Film auch Spannung. Dafür schleppt er sich umso mehr in der ersten und das Tatmotiv (irgendwelche krummen Banktransaktionen, um an Geld zu kommen — warum? –, müssen verschleiert werden) ist unplausibel. Kein Klischee vom Elitegymnasium wird ausgelassen und die Bösen sind ganz komisch bleich geschminkt.

[Erstsendung: 22. Februar 2009]

Tatort: Neuland (HR)

Dienstag, 24. Februar 2009

Maybe I’d sell you a chicken / with poison interlaced with the meat.

„Neuland“ ist der erste Frankfurter Tatort, in dem Kommissar Dellwo (Jörg Schüttauf) allein unterwegs ist, nachdem „Waffenschwestern“ nur von seiner Kollegin Charlotte Sänger bestritten wurde. Und er macht es wirklich allein: tritt mit der Mundharmonika in das Lokal, in dem alle etwas zu viel wissen, aber keiner etwas sagt. Das Dorf, wohin es ihn seiner Sentimentalität für eine alte Liebe wegen verschlagen hat, ist abhängig vom lokalen Unternehmer, der insbesondere den Dorfpolizisten völlig unter Kontrolle hat.

Es entwickelt sich ein Drama um Gier und Gefolgschaft, in dem der Frankfurter Tatort wieder einmal belegt, daß auch im Fernsehen gute Filme möglich sind: „Neuland“ zeigt Spannung, Leidenschaft und gute Bilder.

[Erstsendung: 15. Februar 2009]

Tatort: Familienaufstellung (RB)

Dienstag, 24. Februar 2009

Komm in den Garten.

Es hätte schlimmer kommen können: wenn Radio Bremen ein Thema wie Zwangsverheiratung und Mord angeht, liegt der Pathosverdacht ja schon in der Luft. Das Setting jedoch jedoch läßt sich sehen, die Story recht flüssig erzählt und Roman Knižka kann ich sowieso nichts abschlagen.

Allerdings hat die ganze türkische Hochzeit etwas von Szenen aus einem Historienfilm, die vor aufwendiger Ausstattung etwas blutleer werden. Und das Drehbuch, das von Thea Dorn und der türkischen Frauenrechtlerin Seyran Ateş stammt, schafft es nicht so gut wie das von „Kassensturz“, Abstand zur Betroffenheit zu wahren.

[Erstsendung: 8. Februar 2009]

Tatort: Kassensturz (SWR)

Sonntag, 8. Februar 2009

Manchmal bescheißt sie mit dem Wechselgeld. Sie ist das Mädchen von Kasse vier.

Man könnte meinen, „Kassensturz“, ein Film über die erschütternden Arbeitsbedingungen im deutschen Einzelhandel, beziehe sich auf den aktuellen Fall „Emmely“, eine Kaisers-Kassiererin, der wegen Unterschlagung von Pfandbons für 1,30 € gekündigt wurde, aber behauptet, der eigentliche Grund sei ihre Teilnahme an Streiks. Gedreht wurde „Kassensturz“ aber schon im Sommer 2008, als die üblen Praktiken von Lidl & Schwarz ans Licht kamen.

Trotz des zu Betroffenheit verleitenden Themas machen Lars Montag (Regie) und Stephan Falk (Buch) alles richtig. Der Film hat Spannung und gleichzeitig die Ruhe, die nötig ist, damit sich die Figuren, gespielt von tlw. hervorragenden Schauspielern (Andreas Windhuis, Jan-Henrik Stahlberg und ganz toll Barbara Phillip) entfalten können. Zwar tritt die Aufklärung des Mordes an dem Billy-Gebietsleiter zeitweise etwas in den Hintergrund, zwar spielt Lena Odenthal so langweilig, wie in letzter Zeit oft, zwar wird der Film an wenigen Stellen etwas erklärend, aber alles in allem gibt er ein sehr stimmiges, glaubhaftes Bild von unserem Umgang miteinander.

[Erstsendung: 1. Februar 2009]

Tatort: Rabenherz (WDR)

Montag, 26. Januar 2009

Das mystische Mysterium. Ich seh das Universium. Und ich bin nicht allein.

Oha. Da hatte jemand gar kein Gefühl für Timing. Aus Gründen, die man leider erst am Ende erfährt, wird „Rabenherz“ immer mystischer. Dabei verlangsamt sich der Film, der schon nicht besonders rasant begonnen hat, zum Ende hin immer mehr, so daß man irgendwann sehr nervös auf seinem Stuhl herumrutscht. Und einerseits werden Geschichten nicht zu ende erzählt, andererseits wird an allen Ecken und Enden Zeit geschunden.

Ein Bereitschaftsarzt im Krankenhaus wurde mit einem Medikament vergiftet. Leider gibt es kein Motiv und im Prinzip könnte es jeder gewesen sein. Der Psychologe benimmt sich irgendwie seltsam und außerdem gibt es noch die mystische Krankenschwester Maria, die zwar überhaupt keinen Verbindung zum Toten hatte, aber schon deswegen eine Rolle spielen muß, weil sie von Anna Maria Mühe gespielt wird.

Es wird ein bißchen herumermittelt, die Krankenschwester kann durch Handauflegen heilen und den Konflikt zwischen dem Wunsch nach persönlicher Betreuung und dem Zeitdruck nicht lösen und Ballauf hat so seine Wehwehchen.

Am Ende taucht das Gift noch einmal auf und die Zeit bleibt stehen. Leider ohne Spannung. Kamera auf Krankenschwester am Dachfenster. Kamera auf Psychologen. Kamera zurück. Keiner spricht. Krankenschwester geht weg vom Fenster. Psychologe guckt raus. Sieht Ampulle. Kamera auf Psychologen. Kamera wieder auf Ampulle. Kamera wieder ins Dachzimmer. Krankenschwester geht duschen. Kamera auf Orangensaft. Könnte Gift drin sein. Kamera aber noch dreimal zwischen Psychologen und Orangensaft hin und her.

Das Ende dann verblüffend enttäuschend. Entweder haben wir alle etwas verpaßt oder aber es geht nicht mit rechten Dingen zu: Krankenschwester trinkt Orangensaft — wir denken, gleich ist sie tot — sie vögeln, dann aber ist der Psychologe vergiftet. Wie das?

Hübsch: der Erschreckspaß im Keller, bei dem der Film einmal hinter die dräuende Mystik zurücktritt.

Nachtrag: Entscheidendes ist mir entgangen. Mehr dazu in den Kommentaren.

[Erstsendung: 25. Januar 2009]

Tatort: Schwarzer Peter (MDR)

Sonntag, 25. Januar 2009

Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann.

Peter Schneider, Leipziger Unternehmer, wird erstochen und ohne Beine in der Elster gefunden. Aufgrund der Strömungsgeschwindigkeit kann leicht errechnet werden, an welcher Stelle er in den Fluß geworfen worden worden war, das aber hilft kein Stück weiter.

Was den Ermittlungen hilft ist Einfühlungsvermögen. Schneider wollte alles unter Kontrolle haben: seine Frau, seine Kinder und den ehrgeizigen Prinzipal. Erreicht wird diese Kontrolle durch Einschüchterung und Geld. Dies führte bei fast allen Personen, mit denen er zu tun hatte, zu vordergründiger Gefolgschaft, die aber immer von Haß oder Gleichgültigkeit begleitet wurde.

Das Thema dieses Filmes ist die Gewalt und wie sie sich fortpflanzt. Gezeigt wird dies an den Ränkespielen im Betrieb, am kaputten Umgang der Witwe Schneider und ihrer Kinder miteinander, vor allem aber an der Familie der Tochter Lina (Layla Laberny), in der sich die Gewalt und das Schweigen fortsetzt.

Hier unterscheidet sich „Schwarzer Peter“ wohltuend von anderen Filmen zum Thema häuslicher Gewalt, indem das tägliche Grauen und die Ausweglosigkeit in der Reihenhaushölle erschreckend deutlich gemacht werden, ohne daß jemals quoten- oder eitelkeitsbedingt der Voyeurismus der Zuschauer bedient wird.

„Schwarzer Peter“ ist sehr genau inszeniert, das gilt sowohl für die Dialoge, als auch für Kamera und den Rhythmus des Schnittes. Susanne Thomalla und Martin Wuttke spielen sich von Folge zu Folge besser aufeinander ein und weiterhin freut man sich als Herzens-Leipziger über die Stadtbilder.

Als solcher fällt einem dann aber auch auf, daß die Leiche in echt nicht aus der Elster, sondern aus dem Karl-Heine-Kanal gezogen wurde, der gar keine Fließgeschwindigkeit hat, sondern ein stehendes Gewässer ist. Aber so wird man eben zum Mitdenken angehalten.

[Erstsendung: 18. Januar 2009]

Polizeiruf 110: Schweineleben (NDR)

Sonnabend, 17. Januar 2009

Der Geophysiker Taschowski wird erfroren in Badehose im Wald gefunden. Auf dem Gebiet einer LPG soll eine Schweinemastanlage gebaut werden und es regt sich Protest, der von Taschowski durch Gutachten unterstützt wurde.

In der FAZ-Vorabkritik echauffiert sich Jochen Hieber über die Ostalgie im gesamten Polizeiruf (den es doch aber schon lange auch aus dem Westen gibt) und bringt unpassenderweise auch noch Peter Sodann, den ehemaligen Tatort-Kommissar und jetzigen Präsidentenkandidaten der PDS unter. Man merkt, daß Hieber ein Problem mit dem Osten hat, war doch der Schweriner Polizeiruf zwar immer ostspezifisch, bisher jedoch kaum nostalgisch. Auf der Medienseite ist die FAZ leider immer noch Spalterblatt. Bei solchen Texten fängt man ja wirklich an, Uwe Steimles Verschwörungstheorie zu glauben, daß der Schweriner Polizeiruf wegen seiner politischen Einstellung beendet wird.

Aber obwohl Schwerin für herausragende Filme bekannt war, trifft der Langeweile- und Klischeevorwurf auf „Schweineleben“ tatsächlich zu. Die Handlung schleppt, die Dialoge sind nur noch ein Kleinstadtkabarett-Abklatsch der früheren Folgen, der Film wird mit Botschaften an den Zuschauer überfrachtet und man ist froh, als es am Ende vorbei ist.

Erwähnung finden soll die Musik von Kai-Uwe Kohlschmidt.

[Erstsendung 11. Januar 2009]

Tatort: Baum der Erlösung (ORF)

Sonntag, 11. Januar 2009

Im Tiroler Dorf Telfs gibt es eine Stammesfehde zwischen Deutschösterreichern und Türken. Dazu schlimme Sachen wie Zwangsverheiratungen und Rassismus, ausgelöst von einem Moscheebau mit Minarett, gegen den die FPÖ hetzt. Der Bürgermeister stellt sich hinter die Einwanderer und das Minarett, das in einem albernen architektonischen Witz endet.

Zwar mag ich Harald Krassnitzer sehr. Zwar ist Franz Pfurtschneller (Alexander Mitterer) ein großartiger Spießer-Polizist mit einer ordentlichen Portion Wiener Rassismus’ und hat im Dorfpolizisten Vedat Özdemir (Tim Seyfi) einen witzigen Gegenspieler. Zwar sind die Landschaftsansichten, wie oft beim Österreicher Tatort, atemberaubend. Die jungen Bergarbeiter mit den Friedrichshain-Frisuren sind es jedoch nicht. Und Felix Mitterer, der schon die Bücher zu sehr herausragenden Österreicher Tatörtern geschrieben hat, geraten die sozialen Themen manchmal ein wenig zu Wohlfühl-Brei, auch wenn das lange nicht an den deutschen Kitsch heranreicht.

„Der Baum der Erlösung“ ist laut Mitterer „ein Geschenk an die Gemeinde Telfs“, deren Streit um die Moschee tatsächlich in den vergangenen Jahren Wellen in Österreich schlug. Vielleicht hätte man die Sache mit den Zwangsverheiratungen (die vielleicht nur aus Ausgewogenheitsgründen drin ist — damit nicht nur die Deutschösterreicher die Bösen sind) weglassen sollen und es wäre ein guter Film geworden.

[Erstsendung 4. Januar 2009]

Tatort: Der tote Chinese (HR)

Sonnabend, 10. Januar 2009

Der reiche chinesische Geschäftsmann Tony Wang (Chike Chan) streitet sich in einer Bar des Frankfurter Flughafens mit anderen chinesischen Teilnehmern an einem Handelskongreß. Nachdem diese ihn verlassen, trifft ihn der Tadschike Shavkat Nazarov, grandios leger und sehr witzig gespielt von Kida Khodr Ramadan. Nach einem Besäufnis von Wang und Nazarov betrunken, wird Wang im Fitneßraum unter einem Gewicht ermordet. Nazarov stolpert weiter durch den Film und taucht immer mal wieder als Running Gag auf. Am nächsten Tag wird Wang von dem chinesischen Putzmann Wen Hai Wan gefunden, der seine Chance sieht und mit Wangs Paß und seinem Flugticket versucht, aus seinem Zwangsarbeitsverhältnis heraus- und zu Frau und Tochter nach Amerika hinzukommen.

Allerdings ist Wang schon ein völlig verpeiltes Gauner-Duett, wunderbar gespielt von Andreas Schmidt und Thorsten Merten, auf den Fersen und nimmt statt seiner nun eben den ihm ähnlichen (und auch von Chan gespielten) Wan mit. Und so entwickelt dieser Film, an dessen Anfang eine Verwechslung zwischen einem stinkreichen und einem bitter armen Chinesen steht, ein farbenprächtiges Bild einer globalisierten Welt, in dem Menschen wie Ware gehandelt werden und jeder sein Glück versucht, aber nur wenige die Chance haben, es zu finden.

Zusätzlich zur oben schon genannten Starbesetzung und dem ständigen Frankfurter Personal spielt Matthias Brandt den Kongreßleiter mit der weißen Weste und auch Wangs ahnungslose Witwe Stefanie ist mit Johanna Wokalek ausgezeichnet besetzt.

Beim „Toten Chinesen“ stimmt auch die Musik und die Inszenierung (Handloegten) ist wie üblich in Frankfurt sehr genau und hält den Zuschauer in Bann. Besonders erwähnt werden muß auch die sichere und einfallsreiche Kamera von Peter Przybylski.

Schön auch die Idee, den Film fast ausschließlich auf dem Flughafen spielen zu lassen, dort aber ganz unterschiedliche Menschen, Milieus und Tageszeiten einzubeziehen. Es wird sehr dicht dadurch.

[Erstsendung: 28. Dezember 2008]

Tatort: Granit (ORF)

Freitag, 26. Dezember 2008

Es geht um den Hof. Es geht um drei Brüder und ihre Familien. Der älteste hat auf den Hof verzichtet, der mittlere wird von den Intrigen des jüngsten Bruders um sein Erbe gebracht. Dabei ist keine Schlechtigkeit undenkbar. In dieser archaischen Szene taucht zum einen Inspektor („gibts kan“) Eisner auf, der nun nicht mehr Sonderermittler des Innenministeriums ist, sowie „Akut-Agnes“ (Muriel Baumeister), die Macherin einer Betroffenheits-Fernsehshow.

Große Tragödien von Bergbauernfamilien gab es schon einige im österreichischen Tatort. Das macht aber gar nichts, wenn sie so stimmig inszeniert sind, wie in „Granit“ Folge. Die Bilder der verschneiten Landschaft sind ganz wunderbar passend zur Geschichte. Auch das Schauspiel ist hervorragend genau — schön zum Beispiel die blasierten Fernsehstädter mit ihren Friedrichshain-Frisuren und dem zielstrebig-lässigen Auftreten zwischen den ruhigen Bauern (prima: Simon Schwarz und Lukas Zolgar).

Allerdings leidet die Story doch unter einigen Ungereimtheiten, man erkennt den Täter schon, als er das erste Mal gezeigt wird daran, daß er anders ist als alle anderen. Die Musik (Matthias Pflug) ist manchmal extrem cool und ungewöhnlich, hin und wieder aber drängt sie sich zu stark vor die Handlung.

[Erstsendung: 21. Dezember 2008]

Tatort: Waffenschwestern (HR)

Sonntag, 21. Dezember 2008

Nun ist es ja so, daß die ARD-Sender Quoten an den Sonntagabend-Krimis haben, je nach Größe dürfen sie unterschiedlich viele Sonntage im Jahr bespielen. Für den Hessischen Rundfunk gibt es drei Sendungen im Jahr und bisher fiel davon eine auf den vorzüglichen Polizeiruf aus Bad Homburg mit Jan-Gregor Kremp und Inga Busch. Da dieser jedoch anfang dieses Jahres seine letzte Folge hatte, gibt es jetzt eine mehr für den Frankfurter Tatort. Die dortigen Darsteller Andrea Sawatzki und Jörg Schüttauf lassen sich aus Termingründen nicht für drei Drehs im Jahr zusammenbringen und so gibt es nun eine Folge im Jahr, in der nur einer der beiden ermittelt — Waffenschwestern ist die erste solche Folge, Dellwo ist im Urlaub und so ermittelt Charlotte Sänger allein.

Dieser Teil der Geschichte — die Alleinermittlerin zwischen arrogantem Staatsanwalt (noch besser als sonst: Thomas Balou Martin), dem vermittelnden Chef (Peter Lerchbaumer) und der Alleinermittlerin — funktioniert ganz wunderbar: sicher inszeniert setzt eine sehr lebendige Kamera die vorzüglichen Schauspieler ins Bild. Andrea Sawatzki wirkt noch unwirklicher und blasser, ja grüner als sonst und es tut ihr gut, einen Film zu haben, der sich ganz um sie dreht. Auch die Ausstattung (eine Hitparade der bekanntesten Grün- und Brauntöne des öffentlichen Dienstes, die wunderbar mit Sawatzkis Haar- und Gesichtsfarbe korrespondieren) tut ihr übriges. Toll auch die sorgsam-witzigen Details: Wie beim ersten Mord zunächst nur der übriggebliebene Kaffeetassenhenkel in der Hand des Opfers zu sehen ist, bevor langsam die Leiche gezeigt wird.

Aber ach: die eigentliche Handlung (Buch: Michael Proehl) wirkt wie eine überstudierte Männerphantasie: schießende Rächerinnen im RAF-Stil, die Duelle des 19. Jahrhunderts nachstellen und dabei pathetisch Puschkin rezitieren. Unglaubwürdig und langweilig erzählt.

[Erstsendung: 14. Dezember 2008]

Tatort: Unbestechlich (MDR)

Sonntag, 14. Dezember 2008

Die Geschichte ist unerheblich (ein Drogenfahnder gerät auf Abwege), Martin Wuttke ist gut und Milan Peschel großartig und der neue Leipziger Tatort zeigt weiterhin die Stadt, wie wir sie kennen (dieses Mal im Zentrum: das Beyerhaus).

[Erstsendung: 7. Dezember 2008]

Tatort: Häschen in der Grube (BR)

Sonntag, 14. Dezember 2008

Völlig absurde Geschichte: Skrupellose Pharmaforscher kaufen Kinder irgendwo in Zentralasien, um an ihnen in Deutschland ein Leukämiemedikament zu testen. Als Pflegeeltern Verdacht schöpfen, gibt’s Streß.

[Erstsendung: 23. November 2008]

Tatort: Salzleiche (NDR)

Sonntag, 14. Dezember 2008

Ich bin ziemlich hinterher mit den Tatörtern und zu allem Überfluß habe ich noch meine Notizzettel verloren und muß die wenigen Bruchstücke aus dem Gedächtnis rekonstruieren.

Die Leiche eines Wachmannes des Gorlebener Salzstockes wird nach einem halben Jahr im Salz gefunden. Der Chef der Betreibergesellschaft wird erpreßt. Und Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) soll den Tod aufklären.

Dazwischen wird die Geschichte und das Drama um das Zwischenlager am Schicksal verschiedener Personen aufgerollt: die alt gewordene Protestanführerin, die Wachmänner, der Leiter der Betreibergesellschaft Kasper (Stephan Grossmann), ein Geologe, der einst im Dienst de Kraftwerks stand (Rainer Sellien) und der Landpolizist Halder (Matthias Bundschuh). Grossmann, Sellien und Bundschuh, die alle am Deutschen Theater sind oder waren, machen dieses vorzüglich inszenierte melancholischen Stück (Regie: Christiane Balthasar) zu einem herausragenden.

Dabei ist es schön zu sehen, wieviel Schrägheit der Film seinen Figuren zutraut. Kasper wird erpreßt, der Geologe steht im Verdacht, aber man weiß es nicht genau. Und während Kasper von Anfang an unheimlich und gleichzeitig völlig harmlos herüberkommt, ist man überrascht und bestürzt, als er schon ziemlich zu anfang bei einem Autounfall ums Leben kommt. Sellien ist enttäuscht und schon fast unerträglich zynisch. Es ist zwar klar, daß er der typische Neun-Uhr-Verdächtige ist, aber sein Spiel erfreut doch sehr.

Umwerfend aber ist Matthias Bundschuh, der mit seiner leisen, hohen Stimme, den flinken Augen und dem ausdrucksvollen Gesicht immer wieder den Irrsinn im völlig Normalen anklingen läßt, wie er es schon wunderbar als Jakob von Gunten getan hat.

Einzig störend ist Maria Furtwängler mit ihren Ursula-von-der-Leyen-Texten, bei denen ich manchmal den Eindruck habe, daß sie sie selbst in das Drehbuch schreibt.

[Erstsendung: 16. November 2008]

Tatort: Wolfsstunde (WDR)

Sonntag, 16. November 2008

Das ist so eine Sache mit Sexualopfern. Sadistischer Mord nach mehrfacher Vergewaltigung ist einerseits ein Schocker am Beginn und die Ermittlungen werden durch die Empörung in der Presse unter Druck gesetzt — was gut ist für’s Tempo. Andererseits sind weibliche Sexualopfer im Tatort häufig — und so auch in Münster — mit einem Schuß Voyeurismus inszeniert und verleiten die Autoren (Kilian Riedhoff und Marc Blöbaum) zu tendenziösen Settings: hier das unschuldige, schwache Opfer, dort das Böse schlechthin. Einige der hiesigen Zuschauer beklagen auch die Verharmlosung sexueller Gewalt in Filmen wie diesem oder „Eine Maria in Stettin“.

Davon abgesehen ist „Wolfsstunde“ eine Wohltat. Münster hat endlich einen nachvollziehbaren Kriminalfall und Axel Prahl bekommt neben dem Familien-Fernseh-Klamauk eine Rolle, in die er hineinpaßt. „Wolfsstunde“ ist solide und sehr spannend inszeniert, auch wenn der Serientäter (prima gespielt von Arnd Klawitter) sofort erraten wird, wie es immer geschieht, wenn ein berühmter Schauspieler erst spät auftaucht. Auch bleibt seine Motivation, sein Seelenleben dem Zuschauer verborgen, wodurch er zum allein Bösen wird, eine schlechte Abkürzung im Drehbuch.

Ganz vorzüglich fand ich das Schauspiel von Katharina Lorenz, die ein früheres Opfer des Vergewaltigers spielt, das mit dem Leben davongekommen ist. Sie arbeitet in der Bank, will nicht aussagen, steht aber extrem unter Spannung. Lange ist nicht klar, was von dem, was sie sagt, phantasiert ist, und was stimmt. Diese Ambivalenz wird bei den Ermittlern gespiegelt, unter denen Thiel (Axel Prahl) der einzige ist, der an der Serientäterthese festhält.

[Erstsendung: 9. November 2008]

Polizeiruf 110: Wolfsmilch (MDR)

Dienstag, 4. November 2008

Uaaa. „Wolfsmilch“ macht das Unmögliche wahr: noch langweiliger als die bisherigen Folgen aus Halle zu sein. Man kann den Herren Schmücke (Jaecki Schwarz) und Schneider (Wolfgang Winkler) beim Denken zusehen, während sie versuchen, einen Korruptionsfall zu lösen, der einmal mehr bei den oberen drei von Halle spielt. Hierarchie ist dabei wichtig: „Herr Abgeordneter“, „Herr Oberstaatsanwalt“, „Herr Polizeirath“ mit „th“.

[Erstsendung: 2. November 2008]