Archiv für die Kategorie „Immer wieder sonntags“

Tatort: Liebe am Nachmittag (WDR)

Sonntag, 12. November 2006

Ooch nja. Aus Köln hat man schon besseres gesehen. Uninspirierendes Beziehungswirrwar, in dem Geschlechterverhältnisse in etwas altbackener Manier durchgekaut werden.

[Erstsendung: 5. November 2006]

Tatort: Das letzte Rennen (HR)

Sonntag, 12. November 2006

Vor dem Frankfurt-Marathon bricht ein Krimineller aus dem Gefängnis aus, der noch eine Rechnung mit Kommissar Dellwo offen hat. Als dann ein Läufer erschossen wird, ist schnell klar, daß dieser Opfer eines Fehlschusses wurde. Sowohl Dellwo als auch der Schütze müssen nun gefunden werden. Das tatsächliche Ziel ist jedoch jemand anders.

Dieser Film lebt hauptsächlich von seinem Rhythmus und dessen Umsetzung. Geprägt wird der Rhythmus durch den Lauf. Innerhalb dessen ist Zeit für hübsche Verfolgungsjagden (neuer Kollege versucht Dellwo abzufangen, verpaßt ihn aber immer wieder), Querverbindungen (Charlotte Sänger verfolgt ihre eigene Spur, dirigiert ihre Kollegen aber per Telefon) und Konflikte (Dellwo weigert sich, den neuen Kollegen auch nur wahrzunehmen, dieser wiederum versucht Charlotte beim Chef anzuschwärzen). Auch die Nebenhandlungen (Dellwo weigert sich arrogant, einen neuen Kollegen auch nur wahrzunehmen, Charlotte Sänger vertraut lieber ihrem Gefühl und weiß, daß Technik auch versagen kann, die Assistentin ist schwanger) sind gut in den Rhythmus verwoben.

Umgesetzt wird der Rhythmus durch präzises Schauspiel, spektakuläre Bilder (Kamera: Dominik Schunk) und gute Musik (Tobi Neumann und Martin Probst). Einzig die Untermalung von Laufszenen durch Lola-rennt-Beats hat man inzwischen schon zu oft gehört.

[Erstsendung: 29. Oktober 2006]

Polizeiruf 110: Mit anderen Augen (BR)

Montag, 23. Oktober 2006

Ui. Alle Zeitungen sind vorher voll des Lobes für diese Folge. Insbesondere, daß Buddy Giovinazzo die Regie führte, wird für erwähnenswert gehalten. Einzig die Kritikerin der Süddeutschen bemängelt zu viel Gewalt am Sonntagabend.

Nun: Edgar Selge ist wie gewohnt ein außergewöhnlicher Schauspieler, der mit unglaublicher Präsenz und Präzision seine Rolle ausfüllt. Das ist immer wieder schön zu sehen, beim Münchner Polizeiruf*, bisher auf höchstem Niveau am Sonntagabend, allerdings Standard. Auch der unsichere Polizeichef ist mit Gregor Bloéb grandios besetzt. Der Profiler (Udo Kier) ist ein netter Gruß an CSI Miami und ähnliches und es ist eine hübsche Idee, Kommissar Tauber mit jemandem zu konfrontieren, der noch exzentrischer ist als er selbst.

Auch ist die Geschichte recht spannend erzählt: ein Serienmörder tötet und verstümmelt auf äußerst brutale Art und Weise Frauen, die eine körperlichen Makel haben. Der unter Druck stehende Polizeichef bringt seinen Freund, den Profiler Zermahlen ins Spiel. So versuchen denn Tauber, seine Kollegin Obermaier (Michaela Mai) und Zermahlen jeder auf seine Weise, vor der nächsten Tat den Mörder zu finden. Der Profiler macht viel Hokuspokus, die Opfer kommen aus Taubers Umgebung und am Ende wars dann jemand, der schon mal aufgefallen war.

Aber das Drehbuch (Christian Limmer) läßt uns mit seiner Lückenhaftigkeit doch etwas ratlos zurück: Tauber, der die esoterisch-intransparenten Methoden von Zermahlen stark anzweifelt („Ich glaube nur, was ich sehe“) wird plötzlich zum Freund. Zwei Männer müssen nur mal einen zusammen trinken, oder was ist die Aussage? Auch über die Motive des Mörders erfahren wir nichts, er wird am Ende einfach erschossen.

Mit „Er sollte tot“, „Die Prüfung“ oder „Die Maß ist voll“ gab es schon wesentlich bessere Folgen aus München.

[Erstsendung: 22. Oktober 2006]

*Da das schon manchmal etwas verwirrt: Aus München gibt es sowohl den Polizeiruf mit den Kommissaren Tauber (Edgar Selge) und Michaela Mai (Jo Obermaier) als auch einen Tatort mit Ivo Batic (Miroslav Nemec), Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Carlo Menzinger (Michael Fitz). Die beiden Sendungen haben nichts miteinander zu tun.

Tatort: „Aus der Traum“ (SR)

Sonntag, 22. Oktober 2006

Am vergangenen Wochenende verhinderte die Bahn ein rechtzeitiges Eintreffen am Tatort. Schabia ist mal wieder eingesprungen. Danke!

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Der Kommissar Franz Kappl (Dudelsack) stolpert an seinem ersten Arbeitstag in sein neues Büro und mitten in die Geburtstagsfeier von Stefan Deininger (Basstuba), der sich von seiner Kollegin Kathi „Marylin“ Schaller ein Ständchen singen läßt und sich bis zu diesem Zeitpunkt sicher gewesen war, der neue Hauptkommissar und Palünachfolger zu werden. Kathi ist es auch, die kurz danach ermordet wird. Der Fall wird nach klassischer Tatortmanier aufgerollt (Juweliere, Eifersucht, eine böse Bande; alles dabei), birgt keinerlei Überraschungen, wird dafür aber sehr gemütlich und nett erzählt. Irritierend allerdings, daß scheinbar alles nachsynchronisiert wurde, irgendwas stimmte jedenfalls nicht mit dem Ton.

Im Vordergrund stand nicht so sehr der Fall sondern der neue Kommissar und sein Umfeld. Wir Zuschauer waren etwas enttäuscht darüber, wie farblos und brav dieser rüberkam. Dem eifersüchtigen Deiniger hätten wir den Posten mehr gegönnt. Und daß die beiden sich am Schluß auch noch versöhnen mußten und Deininger nun auch Hauptkommissar ist, naja. Ein Urteil über den neuen Kommissar möchte ich trotzdem noch nicht fällen, lassen wir ihn sich ruhig noch etwas einarbeiten.

Autorin: Schabia.

[Erstsendung: 15. Oktober 2006]

Tatort: Nachtwanderer (SWR)

Montag, 9. Oktober 2006

Wirre Kiste um Funktelefone, Basisstationen und eine sanfte Variante von Bürgerwehr.

[Erstausstrahlung: 8. Oktober 2006]

Tatort: Bienzle und der Tod im Weinberg (SWR)

Sonntag, 8. Oktober 2006

Im Weinberg stirbt die alte Winzerin bei der Ernte einen vergleichsweise angenehmen Herzschlags-Tod: beim Arbeiten umgefallen, so stellt man sich die Schwaben vor. Auf der Beerdigung fällt ihr Sohn, Mike Dippon von der Brüstung, nicht zufällig, wie sich herausstellt.

Mike Dippon, der gerissene Einkäufer für einen Maschinenbauer, war bei vielen unbeliebt: er war dabei, den kleinen Zulieferer Ralf Schaufler in den Ruin zu treiben. Er stand kurz vor der Scheidung, an der seine Frau nicht interessiert war. Er wurde bei der Beförderung gegenüber seinem Kollegen Stefan Butz bevorzugt. Später stellt sich heraus, daß Dippon etwas mit Schauflers Frau hatte, daß er seinen Vorgesetzten erpreßte und daß diese Erpressung durch Butz fortgesetzt wird. Und so geschieht dann noch ein zweiter Mord. Daneben gibt es große Unterschiede zwischen ihm und seinem Bruder Karl, der den elterlichen Weinberg weiterpflegt.

Den Film prägen seine Ansichten auf das Leben in der stuttgarter Region, die Blicke in den Talkessel, das Nebeneinander von Weinanbautradition und Maschinenbaumoderne. Und die Menschen sind so, wie man sich Schwaben zumindest vorstellt: Arbeit und Geld werden wertgeschätzt, im Guten wie im Schlechten. Nebenbei wird bezug genommen auf alte Legenden: Aschenputtel, Judas im Weinberg, die ungleichen Brüder Kain und Abel. All das paßt eigentlich ganz gut zusammen.

Leider wird jedoch das Menscheln in Form eines Babysitterjobs des Kommissars mal wieder hoffnungslos übertrieben.

[Erstsendung: 1. Oktober 2006]

Tatort: Pauline (NDR)

Montag, 25. September 2006

Feuerwehrball in einem kleinen niedersächsischen Dorf. Erwartbare schmierige sexuelle Anspielungen. Wer tanzt mit wem. Alkohol war mit im Spiel, als du von deinem Hocker fielst. Hernach wird die 12-jährige Pauline tot im Fluß gefunden. Erschlagen mit einem kleinen Gegenstand.

Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) tastet sich vorsichtig durch das Beziehungsgestrüpp im Dorfe, begleitet von der einheimischen Polizistin Katharina Lichtblau (schlimmes Wortspiel, großartig gespielt von Johanna Gastdorf). Da ist Paulines Mutter (Corinna Harfouch), geflüchtet vor der Sprachlosigkeit ihres Mannes. Ihre Schwester Jette (Anna Maria Mühe) geht mit dem Pferdehirten Sven (Wotan Wilke Möhring). Dieser sowie der sonderbare Gärtner (!) Guntram Schollenbruch (Thomas Arnold) sind verdächtig, Neigungen für Heranwachsende zu zeigen. Doch die Kinderschänderfährte ist eine falsche, obwohl Charlotte Lindholm so gerne an die Statistik glauben will. Am Ende war’s ein Dumme-Jungen-Streich, zu dem unterlassene Hilfeleistung kommt — der Sohn versagt vor seinem tyrannischen Vater — und die Kommissarin entschuldigt sich beim falsch Verdächtigten. Überall jedoch sinistre Gestalten, besonders hübsch schleimig: der Pfarrers-Ehemann der Dorfpolizistin, der mit der gutaussehenden Charlotte theologische Gespräche “fortsetzen” möchte, den sie jedoch eiskalt auflaufen läßt.

“Pauline” läßt sich Zeit, die handelnden Personen und ihre Motive glaubwürdig einzuführen. Nebenher wird die trübe regnerische Stimmung, durch die sich die hannöverschen Tatorte auszeichnen, gut in die Handlung eingebaut. Und Martin hat endlich sein Coming Out. Schlimm jedoch: der Ton. Man versteht fast nüscht.

Sprachkritik: einmal wird tatsächlich DNS gesagt, dann jedoch wieder DNA. “Bist Du in Ordnung”.

[Erstsendung: 24. September 2006]

Polizeiruf 110: Die Lettin und ihr Lover (HR)

Montag, 25. September 2006

Eine furchtbare Situation: Kommissar Keller (Jan-Gregor Kremp) erwacht aus dem Morphiumrausch und erinnert sich, die Lettin Laima vergewaltigt zu haben. Diese wiederum hat in der Nacht den ihr nachstellenden Weinhändler die Treppe hinuntergestoßen, wo er nun mit gebrochenem Genick aufgefunden wurde. Da Keller in der Nacht bei Laima gesehen wurde, wird nun gegen ihn ermittelt. Er taucht unter und versucht den Fall zu klären. In einem alten Hotel am Strand von Jurmala vor Riga wartet schließlich die Lösung.

Aus dieser Konstellation hätte man viel machen können: eine Tragödie, einen klassischen Whodunit, einen fiesen Psychoschocker, eine Klamotte, eine Romanze oder ein Roadmovie. Dummerweise kann sich das Drehbuch (Titus Selge) nicht für eine Richtung entscheiden und versucht, alles reinzustecken. Und so scheitert “Die Lettin und ihr Lover” trotz hervorragender Besetzung an der Überambitioniertheit des Skripts.

[Erstsendung: 17. September 2006]

Tatort: Mann über Bord (NDR)

Montag, 11. September 2006

Das Thema des Kapitäns, der ein Doppelleben führt, ist alt. So alt, daß manchen ein Doppelleben nicht auszureichen scheint. Dieses völlig unspektakuläre Sujet wird im Kieler Tatort jedoch zu einem Meisterwerk des Rhythmus’ verarbeitet.

Im Hauptstrang folgt der Rhythmus den Schiffsreisen von Kommissar Borowski zwischen Kiel und Göteborg. Ihm voraus eilen jedoch die Anrufe: beim Kapitän, bei der Kieler und der Göteborger Polizei, bei den Gattinnen des Kapitäns. Gleichzeitig wird der Rhythmus in die Vergangenheit verlängert: wer hat wann wen angerufen? Der Informationsvorsprung, den der Zuschauer am Anfang hat, wird übertragen auf die beiden Ehefrauen: wer hat wann vom Doppelleben erfahren und somit ein Mordmotiv?

Obwohl sich die Handlung steigert (Welche der beiden Frauen plant einen Mordversuch auf die andere und verrät sich dadurch? Welche Rolle spielt der alkoholabhängige Erste Offizier? Was weiß der Steuermann?), bleiben Kamera, Schnitt und Musik im Rhythmus. Lars Becker (Regie) und Dorothee Schön (Buch) haben hier eine Perle geschaffen. Hinzu kommt ein exzellentes Casting und kammerspielartige Dialoge, in denen die Pausen oft länger sind als nötig und die den Kieler Tatort immer etwas still und unwirklich erscheinen lassen.

[Erstsendung: 10. September 2006]

Polizeiruf 110: Traumtod (NDR)

Freitag, 8. September 2006

Eine einigermaßen abstruse Geschichte um einen geschliffenen Bernstein, für den gemordet wird. Das Ratespiel, das um den Stein herum aufgebaut wird, könnte sogar ganz amüsant sein, kämen die Figuren nicht so abziehbildartig daher.

Hinzu kommt, daß die behaupteten Motive der Personen nicht schlüssig durch ihr Handeln begründet werden. Warum läßt sich Kommissar Tellheim auf die Party locken? Vor allem aber: die Mörderin litt darunter, daß ihr Mann alles für seine Sammelleidenschaft ausgab. Als Mordmotiv ist das ziemlich dürftig. Auch in besserverdienenden Kreisen wird eine Scheidung nicht mehr als Schande angesehen, hört man. Überhaupt scheinen die Moralvorstellungen des Autors (Ulli Stephan) etwas angestaubt zu sein: der Vollrausch des Kommissars nach Feierabend wird nicht zugelassen, sondern später als gezielte Betäubung umgedeutet.

Wie so oft wird schwache Handlung von teurer Einrichtung begleitet und dann mit dicker Musiksauce zugekleistert, damits keiner merkt. Uwe Steimle, der im richtigen Leben Kabarett macht, scheint zumindest seinen Text etwas aufgebessert zu haben, denn diese Pointen scheinen nicht so recht zum Rest zu passen. Sicher ist es nicht einfach, in die Fußstapfen von Beate Langmaack zu treten, die bisher großartige Drehbücher des Schweriner Polizeirufes schrieb. Hier ist aber noch ziemlich viel Luft.

[Erstsendung: 3. September 2006]

Tatort: Der Lippenstiftmörder (SWR)

Dienstag, 29. August 2006

Die 16jährige Nikki wird am Bahnhof gefunden. Unscheinbar sitzt sie auf der Bank. Jedoch ist sie tot. Jemand hat ihr nach ihrem Tod Lippenstift angelegt.

Die Großstadtpolizei kommt nach Angerburg und muß dort zunächst ihr Verständnis von Ermittlungsarbeit durchsetzen.

Lena Odenthal kommt in die Küche und trifft ein junges Mädchen, die sich als Koppers Schwester vorstellt. Später sagt er, sie hätte ihn abgeschleppt, nicht umgekehrt.

Und während man noch dem Gefühl nachhängt, dies sei wieder einer der eher langweiligen Gefühls-Tatorte, ist man mittendrin im Verwirrspiel der Kleinstadt, in der viele ein Motiv haben, falsche Alibis lange kein Beweis sind und selbst ein entflohener Triebtäter nur durch starken Narzissmus auffällt.

Dabei wird sich Zeit genommen, die Figuren auszuführen: den Sporttrainer, der wegen Verdachts sexueller Nötigung aus Ludwigshafen in die Kleinstadt zog; den Leiter der geschlossenen Psychiatrie und seinen Gegenspieler, den unheilbaren Patienten; die einsame Freundin und ihren unsensiblen Vater.

Kopper: unwiderstehlich schlecht gelaunt.

[Erstsendung: 27. August 2006]

Tatort: Schattenspiele (NDR)

Dienstag, 29. August 2006

Schon vor längerer Zeit lief der Tatort Schattenspiele, den sich Schabia für mich angesehen hat. Vielen Dank:

Jonathan Waputo, gerade aus der Abschiebehaft geflohen, schleppt sich mit letzter Kraft zum Polizeipräsidium und verstirbt.

Bei der Obduktion der Leiche stellt sich heraus, daß diese an einer Überdosis Aconitin starb: eine Pharmafirma hatte jahrelang Rheumamedikamente an den Häftlingen ausprobiert und diese als „Vitaminpräparate“ vom Zivi an die Insassen verteilen lassen. Waputo aber starb an einer gezielten Überdosis und letzten Endes wars der Gefängnisdirektor Lambertz, der Waputo aus dem Weg schaffen wollte, denn Lambertz’ Freundin hatte 20 Jahre zuvor ein Kind überfahren. Der Beifahrer bei diesem Unfall war der kenianische Student Winston Miller, der nach dem Unfall wegen Fahrerflucht verklagt worden war.

Komissar Holicek (Tilo Prückner) der diesen alten Fall bearbeitete, wird von Winston Miller in dessen Wohnung niedergeschlagen. Während Holiceks Ohnmacht erschießt sich Miller mit dessen Dienstwaffe. Es war aber nicht Miller, der damals starb, sondern ein namenloser Schwarzer, der schon vorher auf der Flucht nach Europa gestorben war.
20 Jahre später meint Holicek, in der Leiche Waputos den damaligen Angeklagten Miller zu erkennen und rollt den Fall nochmal auf. Keiner glaubt ihm, er flüchtet sich in Arbeit und Alkohol. Die Staatsanwältin und selbst sein Kollege Casstorf (Robert Atzorn) sind gegen ihn und halten ihn für plemplem. Doch zum Glück — Holicek ist schon vom Dienst suspendiert — findet Casstorf einen ausschlaggebenden Hinweis in den alten Akten und der Fall wird gelöst.

Schauspielerisch machte dieser Tatort seinem Titel alle Ehre, denn Tilo Prückner spielte Robert Atzorn ganz und gar in den Schatten. Mit viel Herzblut und Witz überzeugt er die Zuschauer als übernächtigter, versoffener Irrer, den seine Vergangenheit nicht losläßt, während Robert Atzorn nur schmierige Plattitüden von sich geben darf. (Besonders schlimm: der weltverbesserische Monolog über Abschiebepraktiken um die Staatsanwältin zu beeindrucken.)
Wirklich erstklassig: Holiceks Albträume, seine Ausraster im Präsidium und ganz besonders die Flashbacks zum Fall zwanzig Jahre vorher, inkl. 80er-Outfit.

[Erstsendung: 20. August 2006, Text: Schabia]

Polizeiruf 110:
Bis daß der Tod Euch scheidet (MDR)

Mittwoch, 16. August 2006

Halle am Tiefpunkt. Zwei dicke Alte auf Fastenkur (perfide: wenn es einen Marktführer gibt, muß in der Schleichwerbung nicht mal mehr das Produkt genannt werden). Dessau: in der Bauhausvilla Bauhauslampen und Bauhausbilder an der Wand.

Selbst Pommes Schranke muß dem Zuschauer erklärt werden.

[Erstsendung: 13. August 2006]

Polizeiruf 110: Er sollte tot (BR)

Mittwoch, 16. August 2006

Schlimm das: seit Tagen so ein Desinteresse an allem Möglichen. An diesem Weblog-Ding besonders.

An Sonntagabendüberraschungen aber auch. Kurz abräumen, was in den letzten zwei Wochen passiert ist:

“Er sollte tot” ist die ziemlich beklemmende Geschichte einer jungen Frau, die sich bevorzugt bei alten Männern prostituierte und ihnen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen Geld abnahm. Obwohl der größte Teil des Filmes vom Verhör eingenommen wird, ist die Erzählung so unglaublich dicht wie der Rauch im Verhörzimmer. Und während der Zuschauer sich ähnlich wie der Ermittler immer mehr mit der Täterin identifiziert, schafft sie es, am Ende durch konsequente Opferperspektive, wieder Distanz zu schaffen.

Kaum ein ARD-Krimi des letzten Jahres hat so viel Ratlosigkeit hinterlassen und die Zuschauer dabei so mitgenommen.

Der Einarmige ist schon ein abgebrühter Knochen.

[Erstsendung: 6. August 2006]

Tatort: Gebrochene Herzen (SWR)

Dienstag, 1. August 2006

Das hatte was von Vorabendserie: Seifenoper am Bodensee rund um einen jungen Mann, der vor Jahren eine Minderjährige vergewaltigte und nun versucht, vorzeitig freizukommen. Um ihn herum aufgestellt: seine Familie, die nichts mehr von ihm wissen, die Betreuerin, die ihn heiraten und das Opfer, das ihn nicht mehr sehen will.

Er selbst wird am Grabe seines Großvaters angeschossen und liegt von da an in Lebensgefahr im Krankenhaus. Wir Zuschauer hangeln uns von Indiz zu Indiz, von Verdächtigem zu Verdächtigem, aber Spannung kommt nicht auf.

Stattdessen Abziehbilder: die Landschaft zuvörderst — blumig, des Täters Familie — hart, des Opfers Familie — verletzt, die Braut — Helfersyndrom, völlig übertrieben, Perlmann — der Frauenschwarm, Klara Blum — tantig. Einzig Beckchen schafft es, ihrer auch arg klischeehaften Rolle etwas abzugewinnen. Und so wird es erst heute was mit der Zusammenfassung — aber was soll man diesem Gedöns (Buch: Dorothee Schön, Regie: Jürgen Bretzinger) auch abgewinnen.

[Erstsendung: 23. Juli 2006]

Tatort: Tod aus Afrika (ORF)

Montag, 3. Juli 2006

Uje. Die komplette Story (Buch: Felix Mitterer) zielt auf die Szene ab, in der ein sudanesischer Flüchtling vom Leid der Afrikaner erzählt. Bis dahin schleppt sich dieser Film müde durch Tirol, die Afrikaner werden als Opfer und Voodoo-Tänzer dargestellt, die in Österreich vom finsteren Deutschen (ok, der ist eine nette Referenz an Mitterers Piefke-Saga) zu Prostitution und Schwarzarbeit genötigt werden. Triefender Berg-Ethno-Kitsch, inklusive Geißen-Peter, der jedoch hier seine Vergangenheit als Kindersoldat in düsteren Kinderzeichnungen verarbeitet.

Tschetschenen hingegen sind gute Auftragsmörder. Und so ungewöhnlich witzig, wie des Kommissars Tochter vor einer Weile eingeführt wurde, so kuschelig-langweilig spielt sie hier das dritte Fragezeichen.

Seltsam, daß so etwas von Mitterer kommt, der mit Dem Teufel vom Berg einen der besten Tatorte des letzten Jahres hingelegt hat.

[Erstsendung: 2. Juli 2006]

Tatort: Blutschrift (MDR)

Dienstag, 6. Juni 2006

Heute ist der 6.6.6. Ein Tag für Abergläubische. Passend dazu der gestern gesendete Leipziger Tatort.

Auch passend zum Wave-Gotik-Treffen (ja, das wird so geschrieben) in Leipzig am vergangenen Wochenende (Wie wars? War jemand da?): in einem frischen Grab wird eine mumifizierte Leiche mit Zungenpiercing gefunden.

Ansonsten viele Bücher. Die aus dem 11. Jahrhundert stammende und seit dem Kriege verschollene Blutschrift ist wieder aufgetaucht. Eine Buchsammlerin, ein Antiquar, ein Professor an der Deutschen Bücherei, ein Restaurator sowie zwei Studentinnen sind hinter ihr her. Und so werden die Motive und Verwicklungen der handelnden Personen klassisch abgewickelt.

Auch wenn diese Folge hin und wieder etwas dröge und die Witze manchmal altbacken daherkommen, ist es eine der besseren Leipziger Folgen (Buch: Holger Jancke). Eigentlich lebt der Film von seinen lokalen Bezügen, die dieses Mal nicht auf Biegen und Brechen hergestellt sind, sondern sich sinnvoll fügen: Leipzig als Buchstadt (inkl. kleinen Seitenhieb nach dem größeren Frankfurt), Leipzig als Dark-Wave-Zentrum, Leipzig mit Vergangenheit.

Seltsam und ungeklärt allerdings das Bücher-Notlager: Am Anfang ist die Rede vom Notlager der Universitätsbibliothek (die Leipziger Uni-Bibliothek mit sehr wertvollen alten Büchern und einem wunderschönen wiederaufgebauten Hauptgebäude hatte tatsächlich ein Notlager), das dann später im Film zum Notlager der Deutschen Bücherei wird (die Deutsche Bücherei mit einem vollständigen Bestand der deutschsprachigen Literatur seit 1913 hatte m.W. kein Notlager).

[Erstsendung: 5. Juni 2006]

Tatort: Bienzle und der Tod in der Markthalle (SWR)

Montag, 29. Mai 2006

Frühmorgens findet ein Wachmann beim Rundgang in der Stuttgarter Markthalle einen der Händler erstochen in seinem Stand liegen; neben ihm kniend sein 19-jähriger, geistig behinderter Sohn Geza mit der Tatwaffe in der Hand.

Bienzle muß sich mit dem Geflecht der Marktleute auseinandersetzen und kommt dahinter, daß das Opfer nicht nur Obst und Gemüse, sondern auch gestohlene Juwelen „umgesetzt“ hat.

Gleichzeitig kümmert sich Bienzle um den Jungen, der nun Waise ist – die Mutter hat ihn schon lange zuvor verlassen – und nimmt ihn zu sich nach Hause. Da gerät Geza heftig mit Hannelore aneinander, die von dem Besuch keinesfalls erbaut ist.

Angenehm durchsichtig und verständlich, was sicherlich nicht zuletzt am Erzähltempo lag. Auch die Sorgfalt in der Dosierung von Humor und Privatem neben ernsthafter Arbeit hatte angenehmen ZDF-Charme, was sicher auch am Autor Felix Huby lag. Der Memory-Champion Geza Janicek (Arndt Schwering–Sohnrey) muß zum Glück nicht als Rainman herhalten. Schön und illustrativ gecastet: der böse italienische Schmuckhehler (Rolf Zacher) und der vorbestrafte Fleischereigeselle (Arved Birnbaum).

Musik: etwas plakativ (Psycho-Geigen bei Bedrohlichkeit, lustig grummelnde Keyboard-Fagotte im Lustigkeitsstrang)

Überraschender Schluß, in unserer Tatort-Runde hatte keiner auf den Sohn getippt.
Lustiges Detail: Mir bekannte Spaßvögel haben Bienzles im Film erwähnte Telefonnummer in echt ausprobiert, irgendeine Frau war dran. Vermutlich Streiche unter Dreharbeitern.

Autor: Ekzem
[Erstsendung: 28. Mai 2006]

Tatort: Stille Tage (RB)

Sonntag, 28. Mai 2006

Letzte Woche war irgendwie keiner da. Deshalb gerade noch rechtzeitig: die Tatortkritik. Vielen Dank an Schabia.

Manfred Schirmer (Joachim Król) seine Frau ist weg. Doch die Polizei möchte ihm nicht helfen. Inga Lürsen (Sabine Postel) und Stedefreund (Oliver Mommsen) finden irgendwann trotzdem die Leiche und einen Verdächtigen, auf dessen Hof das Handy und der Schmuck der Toten gefunden wird. Der wird von Frau Lürsen ziemlich plump verhört, bis sie zum Glück weg muß, weil ihr Vater Alzheimer hat. Stedefreund verhört den vermeintlichen Täter zwar etwas geschickter, doch dieser gesteht und widerruft das Geständnis wieder. Derweil kommt die Kommissarin, weil sie so traurig wegen ihres Vaters ist, mit dem ebenfalls traurigen Täter zusammen. Sie trösten sich, doch nachts kriegt sie dann Hunger und entdeckt zufällig im Kühlschrank einen verbogenen Gitterrost und damit das wahre Gesicht ihres neuen Freundes. Die Nachbarin von Schirmer (das einsame Landkind) ist schon lange in den Witwer verliebt und wird auch immer mal verdächtigt. Sie hatte ihre Chance auf den Möbelhändler schon gewittert, ist aber jetzt eifersüchtig auf die Kommissarin und droht ihm deshalb, ihn zu verpetzen. Dann gibt es noch einen Fitneßtrainer, mit dem die Tote eine Affäre hatte und wegen dem die Ehe der Schirmers in die Brüche ging. Wahrscheinlich haben ich und die Mitkucker das Ende nicht verstanden. Denn klar war eigentlich schon nach 10 Minuten, daß es der Ehemann war. Doch ist sie nun zufällig die Kellertreppe runtergefallen und wurde danach vom Täter ins Tiefkühlfach gestapelt? Und was sollte das dann mit den Schafen, an denen angeblich der Mord eingeübt worden sein soll?
Ehrlich gesagt war mir das bei „Stille Tage“ dann auch egal, denn der ganze Film war nicht schön. Zwischen der grausamen Einsamkeit, die hinter dem oberflächlich idyllischen Landleben lauert und den beteiligten Charakteren, die zwar einsam, unbeliebt oder häßlich, aber trotzdem in krampfhafter Darstellung psychologisch tiefgründig rüberkommen sollen, wird wertvolle Tatortzeit mit vielzuviel Privatquatsch verschwendet. Außerdem gehört es sich nicht, daß Tatortkommissare mit handelnden Personen zusammen kommen. Und wenigstens das Motiv hätte ein bißchen besser erläutert werden können. Aber vielleicht bin ich ja einfach zu doof.

Autorin: Schabia

[Erstausendung: 21. Mai 2006]

Tatort: Tödliches Vertrauen (ORF)

Montag, 15. Mai 2006

Der Mord an Raimund Jacobi (Hary Prinz) läßt zunächst viele Motive zu: Wirtschaftskriminalität, gedemütigte Geliebte, geschwängerte Tochter des Geschäftsführers, Vertuschung persönlicher Bereicherung.

Die Handreichungen, die Hauptkommissar Eisner (Harald Krassnitzer) zuteil werden, um dieses komplexen Gefüges Herr zu werden, haben Parallelen zu den Micky-Geschichten aus dem Lustigen Taschenbuch: zufällige Hinweise im Radio, die Geliebte lässt wichtige Details in der Wohnung des Kommissars liegen, den Fall klärende Familienfotos stehen gerahmt auf dem Klavier von Frau Kubek (Petra Morzé). Eisners Tochter Claudia (Sarah Tkotsch) hat als „Goofy“ die Aufgabe, zu nerven und den Fall in eine andere Richtung zu lenken.

Angenehm ist, daß weite Strecken des Films ohne Musikuntermalung auskommen, die an den passenden Stellen auch immer gediegen klassisch gerät, zum Beispiel das Kontrabaßpizzicato, wenn im dunkeln nach dem Computer-Einbrecher gesucht wird.

Speiseszenen könnten akustisch etwas weniger genau wiedergegeben werden.

Mitzuschauer kritisierten eine zu kumpelhafte Drogendarstellung.

Autor: ekzem

[Erstsendung: 14. Mai 2006]

Tatort: Außer Gefecht (BR)

Dienstag, 9. Mai 2006

Der “Todesengel” wird gesucht: der Altenpfleger Peschen (Jörg Schüttauf) hat mehrere Menschen getötet. Um ihn zu stellen begeben sich die beiden Kommissare als Undercover-Kellner in das Restaurant im Münchner Olympiaturm. Doch die Festnahme verläuft nicht ganz glatt: der Verdächtige spritzt Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) im steckengebliebenen Fahrstuhl eine schmerzerzeugende Substanz, Serotonin („Eine Überdosis Glück“), wie sich später herausstellt. Nachdem er ihn also in der Gewalt hat, kann er Leitmayer seine Motive nahebringen und ihn gleichzeitig mit dessen unglücklicher Beziehung zum Vater konfrontieren.

Die hohen Einschaltquoten führen leider viele Tatort-Buchschreiber dazu, sich “großer”, relevanter Themen anzunehmen. Leider sind sie diesen nicht immer gewachsen (obwohl es auch herausragende Folgen gibt) und der Film verkommt entweder zur Schmonzette oder die Kriminalistik bleibt auf der Strecke. Mindestens aber wird man, wie in dieser Folge, dem Thema nicht gerecht. Ja, es gibt Gewalt und Einsamkeit in Altenheimen. Ja, manche sehen Sterbehilfe als billigen Ausweg. Aber weder bringt es diese Folge fertig, dem Zuschauer Schicksale nahezubringen, noch schafft sie es, der Debatte um Tötung auf Verlangen vs. Sterbebegleitung einen neuen Aspekt hinzuzufügen.

Stattdessen bleibt leider die Handlung auf der Strecke. Und nur weniges ist so schlimm wie ein langweiliger Krimi. Zwar ist die Fahrstuhlszene dramatisch inszeniert, richtige Spannung will aber nicht aufkommen.

Sehr schön hingegen der Einfall, den Film in Echtzeit spielen zu lassen und die häufigen Blicke auf die Uhr mit den Uhren der Zuschauer zu synchronisieren. Glück gehabt, daß es vorher keinen Brennpunkt gab.

Seltsam, daß der Fahrstuhl mit Weitwinkeleinstellung gefilmt wurde, so daß er riesig wirkte und die beklemmende Wirkung ausblieb.

Immer wieder großartig: Michael Fitz als der Menzinger Carlo.

[Erstsendung: 7. Mai 2006]

Polizeiruf 110: Matrosenbraut (NDR)

Dienstag, 2. Mai 2006

Ich habe nichts gegen Norddeutsche. Einige meiner besten Freunde sind Norddeutsche. Aber ganz verstehen werde ich sie in ihrer Wortkargheit nie.

Man könnte denken, daß Norddeutsche einander noch weniger verstehen. Wahrscheinlich wollen sie das auch gar nicht, sondern hauptsächlich in Ruhe gelassen werden.

Nachdem Tobias Törner (Henry Hübchen) den Poilzeiruf verlassen hat, ist Jens Hinrich (Uwe Steimle) erstmal mit dem zurückgelassenen Goldfisch allein. Diese Folge erzählt, wie er sich mit seinem neuen Kollegen Markus Tellheim (Felix Eitner) arrangieren muß, obwohl doch beide nicht wollen.

“Haben Sie besondere Fähigkeiten?”
“Nein.”
“Ich auch nicht.”

Dieser Dialog trifft die Ratlosigkeit, mit der beide aufeinandertreffen präzise. Und so stimmig ist alles in dieser Episode. Mecklenburg wirkt nicht gerade freundlich, die Bewohner dieses Landstriches auch nicht, eher unfreiwillig skurril. Das Buch (Beate Langmaack) und die Kamera (Alexander Fischerkoesen) lassen den Zuschauer teilnehmen an einer fremden Welt.

Und wie man es von Norddeutschland erwartet, wird der Witz äußerst trocken serviert. Hinrichs in seiner verschrobenen Unbeholfenheit wird von Folge zu Folge größer.

Leider ist es die letzte Folge, für die Beate Langmaack schreibt. Hoffen wir, daß der beste ostdeutsche ARD-Krimi einen guten Nachfolger findet.

Ach ja, die eigentliche Krimi-Handlung: auch ok, wenn auch nicht besonders wichtig.

[Erstsendung: 30. April 2006]

Tatort: Revanche (SWR)

Montag, 24. April 2006

Schön schnell geschnitten. Sympathische Figuren. Prima Schauspieler. Klassischer Krimi ohne Sozialgetue. Großartige Bilder, angenehm zurückhaltende Musik. Und das Menscheln außerhalb der eigentlichen Handlung beschränkt sich auf den großartig-unsympathischen Studenten-Streber, der mal bei der Polizei reinkuckt. Selbst die Tochter in tragischen Verhältnissen, die sich mit altkluger Eigenmächtigkeit über ihre verstrickten Eltern hinwegsetzt und damit entscheidend zur Aufklärung beiträgt, verkommt nicht zum Kleine-Mädchen-Klischee.

In Ludwigshafen werden gern sprechende Autokennzeichen verwendet: Kopper hat LU-ZF 4, Lena Odenthal (Ulrike Folkerts, von ihren Fans zärtlich UFo genannt) LU-FO und der tragische Täter dieses Films benutzte LU-SR.

Das Problem mit der Schleichwerbung allerdings ist, daß man oft nicht so genau weiß, woran man ist. Nach “Komm, süßer Tod” glaubt man nicht an Zufall, wenn die Notrufnummer des DRK mehrmals groß eingeblendet wird.

[Erstsendung: 23. April 2006]

Tatort: Kunstfehler (RBB)

Dienstag, 18. April 2006

Die Geschichte ist schnell erzählt: zuerst der Hund, dann die Ehefrau des erfolgreichen Arztes Matthias Lehndorff (Helmut Zierl) werden ermordet. Als Täter in Frage kommt zunächst der pleitegegangene Werbegrafiker (gut gespielt von Christian Düring) mit zwei Motiven (sein Kind ist nicht von ihm, sondern vom Arzt und die Frau des Arztes hat ihn falsch beraten). Am Ende wars dann der Klavierlehrer der Tochter, der nicht über den Verlust seiner eigenen, vom Arzt totoperierten Tochter hinwegkam.

Wie immer in Berlin ist die Story (Buch: Pim Richter) ziemlich dünn, außerdem die Dialoge ziemlich gestelzt (Regie: Hartmut Griesmayr), das Schauspiel diesmal dafür angenehm zurückhaltend, schlechte Gags tauchen kaum auf und auch die Musik (Joe Murabe) findet das richtige Maß.

[Erstsendung: 17. April 2006]

Polizeiruf 110: Tod im Ballhaus (MDR)

Montag, 10. April 2006

Was sich der MDR so unter Krimi vorstellt: Abstruses Drehbuch (Peter Kahane), schlechter Schnitt und hölzerne Dialoge (Regie: Hans Werner). Dazwischen tapsiges Menscheln um die neue Küche von Kommissar Schmücke (Jaecki Schwarz).

[Erstsendung: 9. April 2006]

Tatort: Sternenkinder (NDR)

Dienstag, 4. April 2006

Auch dieser Kieler Tatort lebte von der Unnahbarkeit seines Protagonisten Klaus Borowski (Axel Milberg). Dieses Schroffe, Beiläufige, in dem die Dinge, nun ja, festgestellt werden, tut den Kieler Folgen gut.

Das Buch (Orkun Ertener) und seine Umsetzung waren packend, um nicht zu sagen gruselig. Am Anfang wird eine Frau gefunden, der von einem unbekannten Täter das Kind aus dem Leib geschnitten wurde. Und während die Polizei verzweifelt nach dem Kind fahndet, werden die Zuschauer mit der Täterin bekanntgemacht, die sich in unheimlicher Idylle dem Kinde widmet, dabei fast hysterisch um die Aufrechterhaltung der Normalität kämpfend. Was es so gruselig macht: die Identifizierung mit dieser Frau, die Angst, was passieren wird, wenn das Lügengebäude in sich zusammenfällt. In der Szene, als die Polizei die Wohnung stürmen will und es gleichzeitig bei der Täterin klingelt, ist der Trick (daß die Polizei vor einer ganz anderen Wohnung steht) zwar schnell durchschaut, es ist aber dennoch hübsch gemacht.

Die Rolle des allwissenden Beobachters, die der Zuschauer hier einnimmt, wird durch die großartige Kameraführung (Andreas Doub) verstärkt: viele Szenen sind von oben aufgenommen, bei anderen steht eine Mauer o.ä. im Wege, hinter der die Kamera die eigentliche Handlung ausspioniert.

Dem Problem mit der Uhrzeit geht der Film auch sehr gekonnt aus dem Wege: nach 45 Minuten ist der Fall gelöst. Allerdings geht es nach kurzer Erholung weiter: der berühmte Frauenarzt Martin Sonneborn (wieso eigentlich?) wurde ermordet. Was nun folgt und die erste Tat miterklärt, ist leider ein wenig abstrus: in seiner Klinik wurden einerseits Mütter behinderter Kinder zur Abtreibung gedrängt, andererseits die getöteten Föten für verbotene Forschung an anderen schwerkranken Embryonen benutzt.

Leider auch deswegen, weil das ja tatsächlich häufig vorkommt: Mütter werden zur pränatalen Diagnostik und bei positivem Befund zur Abtreibung gedrängt. Der Forschungsteil hingegen hört sich etwas konstruiert an.

Diese zwei Kriminalfälle sind diesem handlungsstarken Film jedoch noch nicht genug: Der smarte iranischstämmige Kollege Alim Zainalow (Mehdi Moinzadeh) wird leider aus dem Drehbuch geschrieben. Wegen angeblicher Zahlungen an islamistische Organisationen wird er festgenommen. Hernach verläßt er seinen Arbeitsplatz, weil ihm sein Chef Milberg nicht vertraut hat. Etwas unglaubwürdig, dieser Handlungsstrang, auch wenn die ehrenwerte Absicht, Muslime vom Generalverdacht auf Terrorismus zu befreien gar nicht zu dick aufgetragen ist.

Viel Symbolik allerorten: die Bauchaufschneiderin sieht aus wie Michael Jackson; die Personen, die den Kommissar liebten, ihn dann aber wegen seiner Liebesunfähigkeit verlassen, gehen durch den Notausgang und auch die Strümpfe der Psychologin werden wieder gezeigt.

Ach ja: mal wieder furchtbare Musiksoße (Karim Elias).

[Erstsendung: 2. April 2006]

Tatort: Der schwedische Freund (SWR)

Dienstag, 28. März 2006

Ziemlich langweiliges Geplänkel (Buch: W. Anders) um den Mord an einem schwedischen Geschäftsmann. Stümperhafte Ermittlungen. Kleine Andeutungen werden dem Zuschauer noch mal ausführlich erläutert. Viel Rotwein-Kerzenschein-Romantik (Regie: Uli Möller). Der Pippi-Langstrumpf-Schwede hat seinem deutschen Kollegen die Lockerheit voraus, er und seine Tochter (wohnt im etwas anderen Bauernhaus) teilen aber ein dunkles Geheimnis. Übertriebenes Schauspiel in alle Richtungen. In Schweden duzen sich alle. Auch auf deutsch.

Kein abgrundtief schlechter, aber auf keinen Fall ein guter Film. Keine Lust, mehr Worte darüber zu verlieren.

(Geht auch mal vor’s Haus, da scheint die Sonne! Und kommenden Sonntag dann Kiel mit Axel Milberg).

[Erstsendung: 26. März 2006]

Tatort: Pechmarie (WDR)

Dienstag, 21. März 2006

Mal wieder ein Juwelier, dieses Mal tot. Zu Beginn des Filmes sieht man die Täter, einen Mann und eine Frau, sich am Tatort streiten. Beide sind maskiert, so daß der Zuschauer nicht erkennen kann, um wen es sich handelt. Und so hätte das hübsche Versteckspiel weitergehen können, wenn nicht die Ratekönigin unserer Runde schon nach 20 Minuten den richtigen Riecher gehabt hätte: die Schwester der Toten hat mit ihr die Identität getauscht und die gestohlenen Steine befinden sich in der Puppe, die sie ihr ins Grab warf.

Nach Wochen der Entbehrung endlich mal wieder ein Krimi, wenn auch kein außergewöhnlicher. Die Nebenhandlung um Schenks mögliche Scharlacherkrankung ist zwar ein wenig betulich, der singende Italiener (Alexander Sascha Nikolic) und der Pathologe Dr. Joseph Roth (Joe Bausch) dafür ziemlich charmant.

[Erstsendung: 19. März 2006]

Tatort: Feuerkämpfer (NDR)

Montag, 13. März 2006

Behinderte, Migranten, Schwule, Scheidungsväter, Feuerwehrleute — ich hab was gegen unterdrückte Minderheiten. Zumindest dann, wenn sie Anlaß sind, den Tatort in eine ungenießbare süße Soße zu verwandeln.

Daß aber auch immer alles dreimal ausgesprochen werden muß. Und dann wird so ein fader Wortwitz („Der Brandstifter entkam über die Feuerleiter“) auch noch mit dem Kommentar „Ironie“ versaut (Erwähnte ich schon, daß ich „Ironie“ auch nicht ausstehen kann? Selbstironie schon gar nicht).

Kriminalistik? Nicht vorhanden. Dafür Pädagogik schön stabil in Dreifachausführung.

Besonders schlimm: die „knisternde Erotik“ zwischen Jan Casstorff und der Staatsanwältin. Der Gipfel der Geschmacklosigkeit: der rote Schlüpper der Staatsanwältin. Von sowas träumt Thomas Bohn (Buch und Regie) wohl.

Gute Nacht.

Und als hätte es keinen Schleichwerbeskandal gegeben, ungeniert plaziert: Nokia, Deutsches Rotes Kreuz und Bionade („Die ist ohne Zucker!“).

[Erstsendung: 12. März 2006]

Tatort: Unter Kontrolle (SWR)

Montag, 6. März 2006

Nachstellung. Ein Veranstalter von Betriebsfeiern wurde umgebracht. Kurz zuvor hat ihn seine Geliebte im Streit niedergeschlagen. Diese wiederum wird vom schnaufenden Stalker verfolgt.

Das war’s auch schon an Story. Von nun an könnte es jeder gewesen sein, und auch jeder wird verdächtigt. Leider verhält sich die Polizei dabei unlogischer als es der Zuschauer ihr zugestehen will. (Wenn DNS1-Daten da sind, warum muß der potentielle Täter dann erst eingeschüchtert werden — eine Haarprobe hätte doch gereicht. Warum lautet die erste Frage nach einem gesehenen Fahrzeug “Saß eine Frau oder ein Mann am Steuer?” anstatt, wie üblich, nach Kennzeichen und Farbe? Müssen heute wirklich noch Fangschaltungen in Wohnungen installiert werden? Ich dachte, dafür gibt’s längst standardisierte Schnittstellen beim Telefonanbieter.)

Des weiteren ganz viele schlimme Klischees, Zeigefingerpädagogik („Diese Männer machen Frauen angst, weil sie selbst vor Frauen Angst haben.“ Ui.) und diese widerliche Musiksoße, mit der solche anrührenden Szenen gerne angerührt werden.

Schade. Dabei sind Ulrike Folkerts und Andreas Hoppe schauspielerisch ganz prima.

Lieber Tatort: ich zahle meine Fernsehgebühren fast nur für Dich, weil ich sonst selten zum Fernsehen komme. Streng Dich ein bißchen an! Für meine Mutter mußtu das nicht machen, die kuckt auch sonst alles mögliche.

[Erstsendung: 5. März 2006]

1Immerhin wird das erste Mal im Tatort auch die deutsche Bezeichnung DNS verwendet.