Es hätte so einfach sein können: ein abstruses Boulevard-Thema (Vergewaltigungsdrogen) und ein Polizeiruf aus Halle, Garant für Langeweile. War es aber zum Glück nicht.
Zu den KO-Tropfen: gelesen hatte ich schon davon auf Vermischtes-Seiten, das Ganze jedoch für eine Legende gehalten. Gestern gab es dann aber eine Dokumentation im Südwest-Fernsehen: das Ganze scheint ein wirkliches, ziemlich ekliges Phänomen zu sein: Frauen wachen auf, mißbraucht, ohne eine Erinnerung an das, was passiert ist. Die Drogen sind geschmacks- und geruchlos und nach wenigen Tagen nicht mehr nachweisbar (die bekannteste: GHB oder Liquid Extasy wird auch vom Körper produziert).
Die Fälle häufen sich in letzter Zeit in Deutschland, die Täter kommen oft aus dem Bekanntenkreis. Man geht von einer sehr hohen Dunkelziffer aus, da die Opfer meist auf eine Anzeige verzichten, gerade weil sie sich an nichts erinnern können. Hinzu kommt, daß viele Polizisten ahnungslos sind und den Opfern nicht glauben. Insofern ist eine solche Dokumentation keine schlechte Sache, wenn dadurch für Aufklärung gesorgt wird.
Der Polizeiruf (Buch: Rodica Döhnert, Regie Christiane Balthasar) hatte für Hallenser Verhältnisse erstaunlich viele tatsächliche Krimi-Elemente. Die Auflösung war weder völlig abstrus, noch vorher zu erraten. Ein klassischer Whodunit mit überraschenden Wendungen:
Ein Mädchen wird verwahrlost im Park aufgegriffen. Augenscheinlich ist sie vergewaltigt worden, kann sich aber an nichts erinnern. Kurze Zeit darauf wird ihre Freundin gefunden, tot. Es entwickelt sich ein bunter Reigen von Verdächtigen: der Freund der Vergewaltigten, der Vater, eine Drogen-WG (das ist der Osten: große Jugendstilvilla mit Fenstern zum Verlieben), ein Möbelhersteller, seine Angestellten. Die Ermittlungen werden erschwert, weil viele ganz unterschiedliche Dinge zu verschweigen haben und deswegen widersprüchliche Aussagen machen.
Nun gut, die Witze sind weiterhin etwas flau, die Sprache schlampig („schnellstmöglichst”), die kleinen Reibereien der Kommissare affig, das Tempo zu langsam, das Schauspiel ungenau. Aber es scheint wieder Hoffnung zu geben auf gute Filme aus Halle.
Trotzdem bleibt ein ungutes Gefühl: Polizeiruf und Tatort eignen sich auf Grund der hohen Einschaltquoten zur Publikumsbelehrung. Gegen gesellschaftlich relevante Drehbücher ist auch nichts einzuwenden. Man will aber nicht bemerken, daß man belehrt wird. An erster Stelle muß die Unterhaltung stehen. Das kann ernsthaft geschehen, wie in diversen Schimanski-Folgen oder auch abstrus wie im HR-Tatort Herzversagen. In “Schneewittchen” jedoch wird alles Schritt für Schritt wie im Lehrbuch vorgeführt.
[Erstsendung 12. Februar 2006]