Wer fühlen will, muß hören
Sonntag, 4. Januar 2009[…]
Der Grund, warum Weblogs keine Öffentlichkeit sein können, weder einzeln noch als Chor von Stimmen, ist ihre ökonomische Basis: Sie haben keine. Keine Augenwischerei: Niemand kann sich citizen journalism, der den Namen verdienen würde leisten. Leute, die Öffentlichkeit betreiben und verantwortlich damit umgehen sollen, müssen ökonomisch freigehalten werden — das ist eine Binsenweisheit. Man rettet die Welt nicht nach Feierabend.
Kritische, d.h. erkenntnisorientierte und argumentierende, Öffentlichkeit ist historisch erzeugt worden von einer Knappheit der Broadcasting-Kanäle, die eine Selektion derer nötig machte, die sie bespielen durften — und, wo sie funktioniert hat, durch eine bewusste Entscheidung für eine bestimmte Form des Umgangs mit den zur Verfügung stehenden Kanälen. Eine kritische Öffentlichkeit wird von Leuten initiiert, die wissen, was sie tun. Man kann nur gegen Argumente argumentieren, und um welche vorzubringen, braucht man zunächst einmal Leute, die sich freie, gründliche und redliche Argumente tatsächlich leisten können, intellektuell und ökonomisch.
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Spalanzani über Musikjournalismus, die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die Entwicklung von Kritikfähigkeit durch eine öffentliche Debatte. [In Folge auf Diederichsen und Frank Lachmann.]
Und Journalisten recherchieren gründlich und redlich und sind intellektuell und ökonomisch unabhängiger als „wir”. Alles klar. Nicht das es so was nicht gäbe und nicht das ich nicht wüßte, dass ich keine Blog-Einträge von der Qualität eines Le Monde Diplomatique Artikels verfassen könnte. Aber mit diesem oder jenem Feuilleton Artikel oder dieser oder jener politisch-kulturellen Kolumne können so allerlei Blogs locker mithalten. Da sag ich mal: pfft.
Hast Du den verlinkten Text und die Kommentare dazu gelesen? Es geht nicht darum, wer besser ist, sondern wo Öffentlichkeit hergestellt wird.
Ah, habe den Text erst jetzt gelesen – der Kritik am Quoten-Hinterherrennen der Öffentlich-Rechtlichen stimme ich zu.
Aber ich frage mich, ob es die vielbeschworene Öffentlichkeit als solche, breite und nicht-spezifische denn je gegeben hat. Inwiefern waren denn die Gastarbeiter in den Medien der 60er Jahre beteiligt?
Was ich auch weiterhin nicht überzeugend finde, ist das ökonomische Argument und die vermeintliche größere Freiheit derjenigen, die bei einer staatlichen Sendeanstalt arbeiten. Das gilt vielleicht für einige (wiederum: ökonomische) Nischenbereiche bei den Öffentlich-Rechtlichen, aber nicht für die Hauptproduktion.
Aber wie gesagt: das Argument im verlinkten Artikel geht ja eher dahin, dass die Öffentlich-Rechtlichen ihre einigermaßen unabhängigen Sendungen stärken und an eine zentralere Stelle rücken sollen. Das fänd ich auch fein. Allerdings ist dann natürlich die Frage, ob dann nicht der ganze Sender zum Nischenprodukt wird. Das wäre die Negativthese, die wahrscheinlich auch in den Sendeanstalten als Totschlagargument genutzt wird. Ich hätte ja auch mehr Hoffnung darauf, dass „der Markt“ oder „die Leute“ (der Begriff der Öffentlichkeit behagt mir nicht so recht) in Echt auch jute Sachen kiekern wollen…
Die Diskussion wollte ich eigentlich, genau wie Frank, gar nicht aufmachen. Ich bin bloß weniger diszipliniert und kann mir dann Seitenhiebe auf Debatten, an denen ich mich damals gar nicht beteiligt hatte, nicht verkneifen.
Nur so viel dazu: Ich bin gewiß der letzte, der nicht bei jeder Joffe-Kolumne denkt: Warum schreibt eigentlich dieser Kerl die ZEIT voll und nicht ich? — aber da geht es nur um Meinung. Meinung kann prinzipiell jeder. Die Frage bei Meinung ist eben nicht, wer kann, sondern wer darf und mit welcher Reichweite. Was nicht prinzipiell jeder kann, ist: Sachkundig zu sein auf einem Gebiet, es sich leisten zu können, Sachen vorzubereiten, die gerade keinen aktuellen Aufhänger haben, und mit langem Atem an Themen zu arbeiten, die Aufmerksamkeit brauchen. Dafür braucht man einen Freiraum, den der öffentlich-rechtliche Rundfunk prinzipiell hat. Die großen überregionalen Zeitungen hatten lange ein Selbstverständnis, das sie kämpfen ließ um diese Freiräume, und genug Geld, um es sich leisten zu können — aber inzwischen wird das Eis bei denen wohl sehr dünn, ökonomisch und vom Selbstverständnis, und irgendwann wird es zu Ende sein.
Und ich frage mich, wer den Job dann machen soll — wenn nicht die Öffentlich-Rechtlichen.
Aye, aye. Finde ich auch. Denn kleine Blogger sollten sicher keine Ausrede für die Großen sein, auf Unabhängigkeit und langfristige Recherche zu verzichten. Ich stimme auch zu, dass genau diese Fähigkeit deren Position doch eigentlich stärken müsste.
Das Hinterhecheln hinter vermeintlichen Quotenbringern hat ja einige strukturelle Ähnlichkeiten zu der Sache mit den vielen tollen Finanzprodukten…