Fliegerkosmonauten (Marian Kiss, Deutschland, Polen 2009, 88 Min.) — Deutscher Wettbewerb Dokumentarfilm
Während der politischen Eiszeit 1976 startete die Sowjetunion das Interkosmos-Programm: Kosmonauten aus den Bruderstaaten Polen, Tschechoslowakei, DDR, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Mongolei, Vietnam, Afghanistan und Kuba flogen gemeinsam mit Sowjetkosmonauten ins All. Die Inszenierungen in den verschiedenen Ländern gleichen sich einerseits sehr: die Kosmonauten wurden sorgfältig ausgewählt — intakte Familie, Arbeiter- oder Bauernherkunft, sie wurden nach ihrer Rückkehr als Helden gefeiert und sollten die Macht der jeweiligen Staatsführer stärken.
Andererseits mußte die Inszenierung den Ländern angepaßt werden: der mongolische Kosmonaut war Nomade, also wurde in dem Land, in dem es kaum Fernseher gab, über die die Neuigkeit gewürdigt werden konnte, eine eigene Stadt mit dem Namen Kosmos in der Wüste als Pilgerort errichtet. In Rumänien verschwand der Kosmonaut sofort von der Bildfläche, um nicht den Glanz der Ceaușescus zu beeinträchtigen. Um der Unzufriedenheit in den jeweiligen Ländern (Streiks in Polen, 10 Jahre Prager Frühling in der ČSSR) zu begegnen, sollten der polnische und der tschechoslowakische Kosmonaut (der — sorgfältig inszeniert — einen tschechischen und einen slowakischen Elternteil hatte) zuerst fliegen. Am Ende wurden dem polnischen Kosmonauten die gesunden Mandeln entfernt, damit der Tscheche vor ihm fliegen konnte.
Bei Sigmund Jähn erinnere ich mich, wie sehr in meiner Kindheit betont wurde, daß er der erste Deutsche im All sei, wo doch sonst in den Achtzigern jeglicher Bezug auf Deutschland tabu war.
Der Film sucht die Kosmonauten auf, erzählt, wie sie jetzt leben, begleitet einige von ihnen nach Sternenstadt, wo sie vom damaligen Training erzählen und ihre sowjetischen Ausbilder wiedertreffen. Der kubanische Kosmonaut ist heute im Verteidigungsministerium, der mongolische bewahrt die Kapsel inzwischen in seinem Wohnzimmer auf, seit in den Neunziger Jahren „die Mongolei privatisiert wurde“ und aus dem Verkehrsmuseum ein Einkaufszentrum wurde. Der afghanische Kosmonaut floh nach dem Abzug der sowjetischen Truppen vor den Mudschaheddin und lebt in der Nähe von Stuttgart. Sigmund Jähn arbeitet in Sternenstadt bei Moskau und bereitet heute internationale Kosmonauten auf ihren Einsatz vor.
„Fliegerkosmonauten“ hat Geschichten zu erzählen und hält eine gute Ausgewogenheit zwischen der Ernsthaftigkeit, die dafür nötig ist und der Leichtigkeit des Themas. Die Gespräche mit den Kosmonauten werden durch wunderschöne Aufnahmen aus den jeweiligen Ländern und Archivmaterial der sowjetischen Raumfahrt und aus Propagandafilmen ergänzt. Musik und Schnitt sind flott, drängen sich aber nie vor die erzählte Geschichte. Einzig die Erzählerstimme (Anna Thalbach), die aus Ich-Perspektive der ungarischen Autorin spricht, könnte an wenigen Stellen etwas mehr zurückgenommen sein.
Im anschließenden Gespräch weiß Bertalan Farkas, der ungarische Kosmonaut, der zur Premiere gekommen ist, noch einige sehr interessante Ergänzungen.