Archiv für die Kategorie „Stralau ohne Handschuhe“

Ein Junge weint nicht

Sonnabend, 2. September 2023

Was nach Jahren zählt, sind oft nicht die Lieben, die wir tatsächlich geliebt haben, sondern die verpaßten Gelegenheiten, das Was wäre wenn. Das Gefühl, das unerfüllt sich den Himmel ausmalt.

Kinderferienlager Schneckenmühle 1983, der Sommer zwischen vierter und fünfter Klasse. Sie hieß Petra. Sie hatte kurze blonde Haare, ein Grübchen am Kinn und klare grüne Augen. Wir standen jeden Tag am Abend beieinander und sahen uns schweigend in die Augen und da war dieses Ziehen im Herzen, das mich später so oft begleiten würde. Es war der Moment, kein Versprechen auf mehr. Jeden Abend standen wir einfach da und wußten: dieser Moment gehört ganz uns.

Bis mich die anderen Jungen beiseite nahmen und mir sehr sehr deutlich machten, daß das, was ich da mache, sehr uncool sei. Und ich mein Gefühl tötete und ihr sagte, daß sie nicht mehr kommen solle. Sie schaute sehr traurig und ging.

Ein Junge weint nicht.

Dok Leipzig 2022 – Gutes und Enttäuschendes

Freitag, 4. November 2022

Unter neuer Leitung gab es weniger Filme als sonst, aber immer noch mehr gute Filme, als eine Person in einer Woche sehen kann. Schön fand ich, daß auf der Eröffnungsveranstaltung die langen Reden zu kurzen Grußworten gekürzt worden sind.

Unbedingte Filmempfehlungen: „Rebellinnen“ über drei Fotografinnen der DDR, Kunst und Widerstand. „The Homes we Carry“ über Moçambikanische DDR-Vertragsarbeiter, die um ihr Geld betrogen wurden und das Aufwachsen als Schwarze Deutsche ohne Vater. Filme von Mila Turajlić, die mit viel Witz, Tempo und Rhythmus die Geschichte Jugoslawiens erzählt und die berührenden Animationen von Špela Čadež (Slowenien).

Sehr seltsam war der Mittwoch, und zwar bei zwei Vorführungen:

„König hört auf“ ist ein Film über den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König und seinen Abschied vom aktiven Berufsleben. Lothar König kennen die meisten – er leitete seit Anfang der Neunziger die Jenaer Jugendarbeit und hat sich dabei unter anderem sehr im Kampf gegen Faschismus engagiert, was ihm u.a. nach einer Gegendemo zu Pegida eine von der sächsischen Polizei initiierte Hasudurchsuchung und Verfahren einbrachte sowie tätliche Angriffe und Morddrohungen gegen ihn und seine Tochter aus der rechten Szene.

Den Film hat sein Sohn Tilman König gedreht, er ist insgesamt sehr stimmig und hat einige sehr gute Momente, insbesondere, wenn es um die Widersprüche in Königs Person geht.

Zum Filmgespräch konnte Tilman König nicht da sein, aber dafür Lothar König und das hat ihm eher geschadet: nach zwei Stunden ohne Zigarette sowieso schon nervös, hatte er offenbar das Gefühl, nach dem Film sehr viel richtigstellen zu müssen, denn natürlich hatte Tilman König aus vielen Stunden Filmmaterial eine subjektive Auswahl getroffen. Hier hätte der Protagonist geschützt werden müssen – so wurde es ein langer Monolog, dem man schwer folgen konnte und der vor allem aus einem Mißverständnis entstand. Interessanter wäre das Gespräch mit seinem Sohn gewesen.

Schockiert hat mich eine Vorstellung im Rahmen der Retrospektive, die dieses Jahr DDR-Dokumentaristinnen gewidmet war. Ich war leicht überrascht, als die Kuratoren die Eingangsworte sprachen, denn sie waren zu jung, um die DDR miterlebt zu haben, aber warum nicht mal ein anderer Blick auf die DDR. Der erste Film der Vorstellung „Jung sein – und was noch?“ von Gitta Nickel 1977 begleitet die Arbeit und das Leben einer Jugendbrigade auf der Stralsunder Werft. Ein guter Film, der sich den handelnden Personen nähert, Probleme aufzeigt und in dem die Kamera viel zeigt, was auf der Tonspur ungenannt bleibt.

Allerdings hat dieser Film bei mir so viele DDR-Gefühle hervorgeholt, daß mich der zweite Film mit voller Wucht traf: „Dialog“ von Róża Berger-Fiedler handelt von einem NVA-Offizier und seiner Zusammenarbeit mit der Sowjetarmee. Der Film hat eine Aussage: zu zeigen, wie gut die Zusammenarbeit ist. Er enthält sehr viele offensichtlich für die Kamera gestellte Szenen und sein Protagonist erzählt vor allem Propagandageschichten. Mir wurde bei diesem Film körperlich massiv unwohl, weil die Erinnerung an all die Gewalt, den Militarismus und die Angst, die die DDR-Gesellschaft so stark prägten, wieder hochkam. Es war das erste Mal, daß mir eine Triggerwarnung geholfen hätte – ich hätte den Film trotzdem gesehen, wäre aber gern vorbereitet gewesen.

Ich wollte das Kino während der Vorstellung verlassen, hoffte aber auf das Filmgespräch danach und wurde bitter enttäuscht:

Wie kann man denn einen solchen Propagandafilm zeigen und im Gespräch mit der Regisseurin überhaupt nicht darauf eingehen? Wenn sie sagt „ich stehe zu diesem Film“ (sie hatte ihn seit damals auch nicht wieder gesehen), warum gibt es keine Nachfragen, wie das gemeint ist – heißt das, sie würde ihn auf jeden Fall noch einmal so drehen, wenn es die DDR noch gäbe oder heißt das, sie steht dazu, daß sie ihn damals gedreht hat, denkt aber heute anders darüber? Man hätte auch fragen können, wie die Zusammenarbeit war, denn ganz gewiß haben NVA und Sowjetarmee bei diesem Film viel mitgeredet. Oder warum bei den Propagandablasen nicht nachgehakt wurde. Oder warum so viele Szenen nachgedreht wurden.

Ich selbst war danach nicht in der Lage, vor vollbesetztem Kino diese Fragen selbst zu stellen, weil ich mich emotional nicht mehr unter Kontrolle hatte. Ich bin sehr enttäuscht von der naiven unkritischen Haltung der Kuratoren – sie hätten all diese Fragen stellen können, waren aber offenbar sehr schlecht vorbereitet oder haben falsche Rücksicht auf die Anwesenheit der Regisseurin genommen.

Ich finde, man darf Propagandafilme beim Filmfest zeigen, diese müssen aber besser eingeordnet werden.

Bigos

Sonntag, 4. September 2022

Ausschnitt aus einem alten Tagebucheintrag:

März 2014. Der polnische Kollege hat für sich und seine Familie eine Wohnung in Pankow gekauft, 40 Kilo Bigos gekocht und guten polnischen Wodka in großen Mengen herangeschleppt.

[…]

Auch die Krim ist Thema. Der Kiewer Kollege erzählt von russischen Soldaten, die durch die Ostukraine fahren und russische Flaggen hissen und meint, die Krim-Bevölkerung habe hirnrissig abgestimmt, denn vorher gab es Autonomie innerhalb der Ukraine und viel Geld für die Stationierung der Schwarzmeerflotte. Als Teil Rußlands würden sie verarmen wie andere russische Randregionen auch. Wenn auch nicht die Nato, so müßten sich doch mehrere Nato-Staaten bewegen, wenn Rußland offiziell in die Ostukraine einmarschieren sollte.

Der finnische Kollege erzählt, wie in Finnland diskutiert wird, ob man als russischer Nachbar jetzt lieber doch der Nato beitreten sollte, oder ob das Putin eher noch mehr reizen würde.

Der Kroate ist für mehr europäische Integration, der Serbe mißtraut amerikanischem Geld und Propaganda. Die Irin, der Engländer, der Indonesier, der Pakistaner und insbesondere der Kanadier finden die kontinentaleuropäische Situation interessant.

Viele halten Europa für unentschlossen, keiner ist der Meinung, man müsse mehr auf russische Sorgen eingehen.

Im Hintergrund bricht das einst stolze Weltreich zusammen.

Morgen gehe ich nach dreißig Jahren wieder zum Gerhard-Schöne-Konzert. Vielleicht wird’s nie wieder so schön.

Bitte die neue Monatsmarke aufkleben

Dienstag, 1. März 2022

1989 hatte ich eine Monatskarte für die Berliner S-Bahn für den Bereich Wilhelmshagen–Ostring. Dazu gehörte implizit auch der Teil der Stadtbahn zwischen Ostkreuz und Friedrichstraße. Und es war ein Symbol aufgedruckt:

Das fand ich cool: zum einen war der Begriff Ringbahn außerhalb von Reichsbahnerkreisen in den Achtzigern nicht mehr in Gebrauch. Und: theoretisch hätte ich mit dieser Monatskarte auf der West-Berliner Nord-Süd-Bahn fahren können!

Als es dann tatsächlich möglich war, brauchte ich die Monatskarte nicht: in den ersten Monaten konnten Ostler kostenlos in West-Berlin fahren.

Tag der Befreiung

Sonnabend, 9. Mai 2020

Ausgerechnet am Jahrestag des Kriegsendes habe ich (zufällig) meinen Kindern das Spiel „Länderklauen“ beigebracht.

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Heute, am 9. Mai, zieht ein Kleinflugzeug ein rotes Banner mit Hammer und Sichel über den Berliner Himmel.

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Interessant ist der Begriff „Tag der Befreiung“ – ich habe ein Problem damit, weil für mich die DDR-Propagandalüge mitschwingt, daß die (Ost-)Deutschen von einer Nazi-Führungsriege befreit wurden, die Mehrheit aber gar nicht beteiligt gewesen war. Im Westen hingegen verbindet sich der Begriff mit der Weizsäcker-Rede (man glaubt kaum, daß die schon 35 Jahre her ist), in der der „Tag der Befreiung“ gegen die Rede von Niederlage oder Zusammenbruch gesetzt wird.

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In der DDR war der 8. Mai bis 1967 arbeitsfrei. Als die Fünf-Tage-Woche eingeführt wurde, wurden im Ausgleich der 8. Mai sowie Ostermontag, Christi Himmelfahrt, Fronleichnam, Reformationstag und Buß- und Bettag abgeschafft. Es gab aber dennoch jedes Jahr Großdemonstrationen. 1985 war dann noch einmal arbeitsfrei.

Berliner Telefonnummern

Sonnabend, 16. Juni 2018


Heutzutage sind die meisten Telefonnummern im Berliner Netz sieben- oder achtstellig. Ausgehend davon, daß in der wunderbaren Kindergeschichte „Kai aus der Kiste“ von 1924/1926 sechsstellige Nummern vorkommen, rätselte ich neulich mit Jochen Dreier, wann die siebenstelligen Nummern eingeführt wurden.

In der Stadtbibliothek in der Breiten Straße gibt es alte Telefonbücher und sehr hilfreiche Mitarbeiterinnen. Dort findet sich:

  • Für Ost-Berlin: erste siebenstellige Nummern ab 1960, 1975 nur noch vereinzelt sechsstellig, ab 1977 finde ich keine sechsstelligen Nummern mehr.
  • Für West-Berlin: erste siebenstellige Nummern ab 1964, ab 1976 nur noch vereinzelt sechsstellig.

In der Stadtbibliothek hat man mich auf digitalisierte Telefonbücher hingewiesen. Im West-Berliner Telefonbuch von 1990 findet sich noch (mindestens) ein Privatanschluß mit einer sechsstelligen Nummer.

Ich muß nochmal hinfahren, um herauszufinden, wann denn dann wirklich in West-Berlin Schluß mit den sechsstelligen Nummern und auch, wann die ersten achtstelligen Nummern eingeführt wurden.

Nebensache: die Änderung des Präfix 659 auf 649 im Berliner Südosten war 1979.

Interessant wäre auch, wie die Wiedervereinigung im Berliner Telefonnetz stattgefunden hat.

Nachtrag

Ich habe mich falsch erinnert: Bei Kai aus der Kiste ist die Telefonnummer eigentlich vierstellig („Bitte Amt Nordenn viärrundsibbenzick viärr zwo!“) – bei den digitalisierten Telefonbüchern finden sich 1936 noch vierstellige Nummern und 1945 dann sechssetellige.

Wie ich mal beim Orgelkonzert war und Helmut Kohl dazukam

Mittwoch, 16. Mai 2018

Ich denke, es muß kurz nach seiner Abwahl, also irgendwann Ende der Neunziger gewesen sein, daß ich zum Orgelkonzert in der Samariterkirche war.

Damals war jeden Mittwoch erst Orgelkonzert, dann Friedensgebet. Als wir ankamen, waren Kameras im Altarraum aufgebaut und in der ersten Reihe saßen Leute, die sonst nicht da waren, u.a. Vera Lengsfeld.

Ich kriege die Reihenfolge nicht mehr ganz hin, aber ich glaube, Kohl + Gefolge kamen zum letzten Orgelstück, was etwas störend war. Dann hielt Lengsfeld eine kurze Ansprache (Samariterkirche, Bluesmesse, Eppelmann, Revolution 89). Mir ist erinnerlich, daß ich ihren Auftritt als unangenehm anbiedernd gegenüber Kohl empfand. Ich weiß nicht mehr, ob Kohl selbst auch etwas gesagt hat.

Da ich eigentlich sowieso nur zum Orgelkonzert wollte, bin ich dann auch gegangen.

Top Job – Diamantenraub in Rio

Freitag, 16. Dezember 2016

Seit ich diesen Film von 1966 vor 30 Jahren im Fernsehen sah, ging er mir nicht mehr aus dem Kopf. Jetzt gibt es eine Neuauflage der DVD von 2010.

Die Erinnerung hat mich nicht getäuscht, der Film ist ein Meisterwerk.

Liebling Kreuzberg

Sonntag, 4. Dezember 2016

Jemand hat alle Folgen von Liebling Kreuzberg bei Youtube hochgeladen und seit Krugs Tod schaue ich sie mir wieder an. Krug, der Ausnahmeschauspieler, der die kleinen und die großen Gesten perfekt beherrscht und Jurek Beckers Dialoge, die sitzen und für eine Vorabendserie überraschend gut und voller Witz sind. Dazu das West-Berlin der Achtziger Jahre (das Abendschau- und Schultheiss-Westberlin, war ja nicht alles Mark Reeder und Neubauten).

Eine West-Vorabendserie gestaltet von den Ostlern Becker und Krug mit der Mauer in jeder zweiten Folge im Bild und einer deutlichen Bewunderung für das regelhafte der Rechtsprechung und Anwaltstätigkeit im Westen.

Was muß es DDR-Politiker geärgert haben, daß Krug (mit „Auf Achse”) nach direkt nach seiner Ausreise wieder in die DDR-Wohnzimmer sendete.

Hier steht jetzt wieder was in kleiner Schrift

Sonntag, 4. Dezember 2016

Seit einiger Zeit ist der entspannteste und aufmerksamste Moment der Woche das sonntägliche Hemdenbügeln, eine Tätigkeit, die sich sehr gut dazu eignet, dabei konzentriert Radio zu hören. Bei „Essay und Diskurs” leitet Mathias Greffrath gerade eine sechsteilige Ringvorlesung über Marxens Kapital (Huch: Die Rechtschreibprüfung kennt den traditionellen Genitiv „Marxens”).

Das ist ja mal schön, wenn man als alter Ostler Jahrzehnte nach der Revolution den Marx vom Kopf auf die Füße gestellt bekommt. In der Schule hatte das immer etwas von wahnhafter Geheimwissenschaft, in der die Bruchstücke, die wir vorgesetzt bekamen, zum einen Teil aus Tautologien bestanden, zum anderen Teil so aus dem Zusammenhang gerissen waren, daß sie unverständlich wurden.

Die Deutschlandfunk-Stücke sind sehr verdichtet und erwarten ungeteilte Aufmerksamkeit – angenehm altmodisch.

Nachdem die ersten beiden Folgen – Greffraths Einführung, Wolfgang Streeck über das Verhältnis von Kapitalismus und Gewalt – dicht am Text bleiben, beleuchtet Michael Quante im Interview über Entfremdung im Kapitalismus auch die Wege und Irrwege der östlichen und westlichen Marxdeutung im 20. Jahrhundert und Paul Mason beschäftigt sich in „Der Niedergang des Kapitalismus” mit den heutigen Umwälzungen durch Informationstechnologie im Licht der Marxschen Theorie.

Letzteres teilweise sehr spekulativ, aber interessant über das Heute hinausdenkend. Zu Masons Thema gab es bei den Scaladays eine unterhaltsame Keynote „Postcapitalism” von Jamie Dobson, die aber inhaltlich nicht so weit geht und leider beim bedingungslosen Grundeinkommen endet, dafür aber mehr nachvollziehbare Beispiele für sinkende Produktionskosten bringt und detaillierter auf die Softwareindustrie eingeht. Die Gesichter mancher Software-Hipster im Publikum, mit ökonomischen und gesellschaftlichen Themen konfrontiert, waren unbezahlbar. (Wer jetzt an Karl Marx und Hipster denkt: der Witz hat so’n Bart!)

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In den letzten Wochen andere Arbeitsstellen angesehen. Konnte mich noch nicht so recht entscheiden, habe aber das deutliche Gefühl, daß es nach einer ganzen Weile Zeit ist, weiterzuziehen. Schön.

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So neblig wie in diesem November war das Wetter lange nicht. Auch schön.

Halt! Rauschgift ist Selbstmord

Freitag, 22. Mai 2015

Ich muß mal mein Briefmarkenalbum im Keller suchen. Es gab darin eine Seite Deutsches Reich, neben älteren Marken vor allem Hindenburg und ein paar Hitlers. Meine Eltern hatten mir verboten, die Hitler-Marken anderen zu zeigen, befürchtend, daß es irgendwie Ärger geben könnte. Ich weiß nicht, ob es wirklich Ärger gegeben hätte, aber so waren die Zeiten.

Aber ich habe mich gegruselt vor Hitler in meiner Briefmarkensammlung. Ich habe ihn meiner kleinen Schwester gezeigt, die hat sich noch mehr gegruselt.

Mehr noch als vor Hitler hatten wir jedoch Angst vor einer österreichischen Anti-Drogen-Marke von 1973. Es gab die regelmäßige Wette, wer sich traut, die Seite mit dieser Marke anzuschauen. Später habe ich oft überlegt, ob das Motiv wirklich so schlimm ist oder ob wir Kinder es uns schlimmer ausgemalt haben.

Jetzt habe ich es wiederentdeckt und, nun ja, es ist tatsächlich etwas heftig:

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Kreuzberg, Erster Mai 2015

Freitag, 1. Mai 2015

„Saisonbeginn 30.4., 7 Uhr” hat jemand stolz mit Kreide auf die Tafel vor dem Prinzenbad geschrieben.

“Trinkt keinen Alkohol, ißt vegan und glutenfrei. Zum Glück hat er einen Freund, sonst würde ich mir Sorgen machen.” Der Wirt im Prinzenbad-Imbiß spricht kreuzbergisch, also Hochdeutsch, aus dem das sich abgewöhnte Berlinisch noch ein wenig an den Wortendungen herausklingt. Im Unterschied zu Mittisch, das bemüht berlinert und möglichst viele Ost-Ausdrücke einflicht.

Das Freibad-Publikum vor allem Rentner und langhaarige Mitt-Fünfziger.

Im Unterschied zu den Ost-Berliner Bädern grüßt man sich hier gegenseitig sehr freundlich. Alle wirken sehr einladend. Auch das Personal ist urst nett. Ich werde von zehn Leuten darauf hingewiesen, daß das kalte Becken nur 15º hat. Von denen, die dort aussteigen mit stolzem Unterton. Ich versuche es dennoch, nur um schnell ins wärmere Becken zu wechseln.

Für die Schlüssel der Wertsachenschließfächer muß man 10€ Pfand hinterlegen. Eine Frau meint, das sei ein wenig hinterwäldlerisch, woanders könne man diese ja mit der Eintrittskarte öffnen und schließen. Ich kenne kein Berliner Bad, in dem das geht und frage überrascht, wo das denn so sei. Sie sagt „Kopenhagen, Stockholm”. Ach so. Das hier ist doch aber Berlin.

Auf dem Rückweg die übliche Polizeiansammlung am Kottbusser Tor. Kreuzberg wirkt aber viel friedlicher als noch vor wenigen Jahren am Ersten Mai. Viel gefährlicher als Polizei- oder Demonstrantengewalt sind sowieso die hirnrissigen Fahrradwege am Kottbusser Tor.

Wir sind die Lausitz!

Donnerstag, 2. Oktober 2014

Peter Rocha, Autor der märchenhaften Lausitz-Trilogie, ist gestorben.

Und Schweden will die Zerstörung der Lausitz beenden.

Auf nach Leipzig!

Dienstag, 30. September 2014

Es wird dunkel. Eine Woche lang werden wir eintauchen in fremde Welten bis der Kinokopfschmerz einsetzt. Vom 27. Oktober bis 2. November läuft das 57. Internationale Festival für Dokumentar- und Animationsfilm in Leipzig. Ein letztes Mal mit Claas Danielsen. Länderschwerpunkt ist Jugoslawien, die Retrospektive zeigt Kameramänner der DEFA. Eröffnet wird mit Laura Poitras’ “CITIZENFOUR”.

Seufz

Montag, 14. Juli 2014

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Ach ja

Montag, 14. Juli 2014

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Veranstaltung zum DDR-Durchgangsheim in Stralau

Donnerstag, 19. Juni 2014

In der heutigen Thalia-Grundschule befand sich zu DDR-Zeiten ein sogenanntes Durchgangsheim im System der Jugendwerkhöfe, in dem Kinder teils sehr schlimme Erfahrungen gemacht haben. Seit einiger Zeit schon gibt es von verschiedenen Seiten die Forderung nach einer Gedenktafel an der Schule und von anderen Seiten Ablehnung.

Am 30. Juni 2014 findet ein öffentliches Expertenhearing statt, u.a. mit ehemaligen Insassen, Ulrike Poppe (heute Stasi-Beauftragte in Brandenburg und einst selbst Erzieherin im DH) und Detlef Krenz vom Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg:

Mo., 30. Juni 2014, 14-18 Uhr, Studiobühne Alte Feuerwache, Marchlewskistraße 6, 10243 Berlin.

Anmeldung und nähere Informationen:
FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum
Christiana Hoppe
Adalbertstr. 95A
10999 Berlin
Tel. +49-30-50585233
Fax + 49-30-50585258
gedenktafeln@fhxb-museum.de

DOK-Leipzig 2013: Stop the Pounding Heart

Freitag, 8. November 2013

Stop the Pounding Heart (Roberto Minervini, USA 2013, 100 min.) — Internationaler Wettbewerb Dokumentarfilme

Eine vierzehnköpfige sehr fromme Familie, die auf dem texanischen Land vom Ziegenmelken und Käseverkauf lebt und ihre Kinder zu hause unterrichtet. Eine Nachbarsfamilie. Und die anderen Nachbarn: Cowboys, die Rodeos durchführen. Stop the Pounding Heart begleitet vor allem die Familie und in dieser vor allem die vierzehnjährige Sara. Wir erleben die Kinder beim wilden Spielen auf dem Bauernhof, die Töchter mit der Mutter beim Verkauf von Käse (“handgemolken, handgekäst”) auf umliegenden Wochenmärkten und Familiengespräche über das Leben und die Religion.

Es ist berührend, zu sehen, wie die Mutter ganz wach und konzentriert bei ihren Kindern ist und ihre Lebenserfahrung und Überzeugungen weitergibt. Dazu gehört dann allerdings auch, daß die Frau die Gehilfin des Mannes sein soll. Wie in vielen Dokumentarfilmen, die Menschen begleiten, funktioniert hier Natürlichkeit durch den Trick, daß die Kamera die Menschen über eine sehr lange Zeit begleitet, bis die Menschen sie aus den Augen verlieren. Durch das viele Filmmaterial ist es dann möglich, später dem Film eine eigene Handlung zu verleihen: die Warnungen der Mutter vor leichtfertigem Dating vor der Ehe werden gegen das leichte Flirten zwischen Sara und einem der Cowboyjungen geschnitten. Wir erleben eine Geburt. Im Gespräch mit ihren Schwestern sagt Sara, die sich sonst ganz liebevoll um ihre kleinen Brüder kümmert, daß sie nicht wie die anderen heiraten und Kinder bekommen will.

Stop the Pounding Heart ist ein stiller Film, der nicht vorgibt, viel zu erzählen zu haben, aber uns gerade durch diese Ruhe den Einstieg in diese fremde Welt erleichtert, uns mit den Figuren mitnimmt und eine Geschichte entwickelt.

Schön, daß hinterher noch ein Gespräch mit Sara und ihren Eltern möglich war. Schön, daß da interessierte Fragen gestellt wurden und nicht (wie es in anderen Jahren auch schon war) sich aufgeklärte Frager aus dem Publikum profilieren wollten. Schön zu sehen, wie Sara ihren Wunsch, anders zu sein als ihre Familie und zu reisen, wahrgemacht hat: angeregt durch den Film macht sie jetzt selbst Filme. Schön, daß die Familie die Kamera auf den Hof gelassen hat — der Vater erzählte von seinen Bedenken wegen amerikanischem Reality-TV, das gern voyeuristisch über fromme Hinterwäldler berichtet.

Und er hatte recht: der Film spart die Konflikte, die rund um die konservativen Anschauungen entstehen, nicht aus. Dennoch werden die Protagonisten nicht vorgeführt, sondern stehen für sich.

Stop the pounding heart hat in Leipzig die Goldene Taube für lange Dokumentarfilme gewonnen.

Dok-Leipzig 2013: Rougarouing

Donnerstag, 7. November 2013

Rougarouing (Michael Palmieri, USA 2013, 11 min.) — Internationaler Wettbewerb für kurze Dokumentarfilme

Louisiana: eine Cajun-Extremfastnacht im Schlamm. Es werden wundervolle Masken getragen, alles wirkt von fern alemannisch-archaisch, allein, es ist deutlich schmutziger und brutaler. Männer, Frauen, Kinder wälzen sich im Schlamm, schlagen aufeinander ein, peitschen sich mit dicken Tauen aus, ein Huhn sitzt in einem Käfig auf einer Stange und muß heruntergeschlagen werden.

Für einen Schwarz-Weiß-Film ungewöhnlich kontrastarm. Das verleiht Rougarouing eine seltsam unwirkliche Atmosphäre, die passend zum Inhalt ist.

Schweigen

Mittwoch, 16. Oktober 2013

Hier war lange Schweigen. Schlimme Dinge sind geschehen und noch nicht vorüber. Aber das Schweigen soll ein Ende haben: übernächste Woche ist wieder Dokfilmfest in Leipzig.

Am Nachbartisch

Sonnabend, 6. April 2013

Er scheint großes Interesse an ihr zu haben, sie wirkt indifferent. Beim Gehen: „Bist du eigentlich auch bei Facebook?” Die demütigend lange Pause vor ihrem Nein.

Strafen statt Verständnis. Erfahrungen aus dem Durchgangsheim Alt-Stralau

Mittwoch, 6. März 2013

Mittwoch, 13. März 2013, 17.30 – 19.30 Uhr

Thalia Grundschule, Alt-Stralau 34, 10245 Berlin

Die so genannten Durchgangsheime (D-Heime) gelten in der Forschung als die am meisten vernachlässigten Einrichtungen der DDR-Jugendhilfe. Minderjährige warteten hier oft Wochen auf eine Entscheidung über ihre weitere Unterbringung. Bewachung und Kontrolle waren dabei meist wichtiger als Verständnis für die Kinder und Jugendlichen.
Vermeintliche Fürsorge wurde viel zu oft zur Repression. Lebensläufe ehemaliger Heimkinder bezeugen neben den schwierigen Erfahrungen jedoch auch den Mut und die Kraft junger Menschen, sich zu behaupten.
Im Gebäude des ehemaligen Durchgangsheims Alt-Stralau befindet sich heute die Thalia Grundschule. Eltern, Schülerinnen und Schüler sowie die interessierte Öffentlichkeit sind eingeladen, am historischen Ort Berichte von Zeitzeugen zu hören und mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

Podiumsgespräch:

  • Claudia Engelhardt (1986 im D-Heim Alt-Stralau)
  • Dirk Meinert (Ende der Sechzigerjahre mehrfach im D-Heim Alt-Stralau)
  • Wolfgang Wenzel (1960 im D-Heim Alt-Stralau)

Moderation: Elena Demke (Referentin beim Berliner Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen)

Veranstaltet vom Berliner Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in Kooperation mit der Thalia Grundschule

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Zum gleichen Thema: Ulrike Poppe über ihre Zeit als Erzieherin im Stralauer Durchgangsheim

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Donnerstag, 21. Juni 2012

Friedrichstraße, Stadtbahnsteig. Ich löffle ein Eis und warte auf die S-Bahn. Eine wohl magersüchtige Frau steckt sich eine Zigarette an. Ich schaue und frage mich, warum sie so achtlos mit ihrem Körper umgeht. Sie mustert mich abschätzig. So sehen wir uns unfreundlich an, bis mir auffällt, was sie sieht: einen dicken eisessenden Mann. Und sie fragt sich, warum er so achtlos mit seinem Körper umgeht. Normalenterror. Ich muß lächeln.

Ein Sonntag auf dem Eis

Sonntag, 12. Februar 2012
Stralau auf dem Eis
Wie bei Breughel: heute vormittag war ganz Stralau auf dem Eis des Rummelsburger Sees. Klicken macht groß

Eis

Freitag, 3. Februar 2012

Eis auf dem Rummelsburger See, Winter 2012

Es ist das dritte Jahr in Folge, daß der See zugefroren ist. Vorher passierte das nur ungefähr aller drei Jahre. In der Zeitung schreiben sie, daß auch die harten Winter eine Folge des Klimawandels sind.

Heute: Bürgerversammlung zum Baugebiet an der Mole (Ostkreuz/Rummelsburg/Stralau)

Montag, 16. Januar 2012

Das sehr große Baugebiet an der Mole (Ostkreuz/Rummelsburger Bucht) wird neugeplant. Leider hat das Bezirksamt Lichtenberg sich für einen Entwurf entschieden, ohne auf den Bürgerwillen einzugehen. Heute soll darüber diskutiert werden und ein Grundstein für einen Alternativentwurf gelegt werden:

Bürgerversammlung
19.00 Uhr
in der Aula des Oberstufenzentrums Marktstraße 2–3, 10317 Berlin-Rummelsburg

Fröhliche Weihnachten!

Sonnabend, 24. Dezember 2011
Manfred Bofingers Grab in Stralau
Manfred Bofingers Grab in Stralau. Klicken macht groß.

Sonst fliegt der Laden auseinander

Donnerstag, 22. Dezember 2011

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Klar, ich kann der NPD vorwerfen, dass sie Kinderfeste in Mecklenburg veranstaltet und die Kinder an sich gewöhnt, nur: Wenn ich selbst keine veranstalte, dann wird sie dieses Terrain besetzen. Wenn in einer Berliner Grundschule wie in Müggelheim damit geworben wird, dass “die Sozialstruktur sehr homogen” ist und nur “wenige Kinder einen ausländischen Pass” haben, kommt man dem Problem näher.

[Interview mit Thomas Heise]

Links

Freitag, 16. Dezember 2011
  • Erschütternd: Ulrike Poppe über ihre Zeit als Erzieherin im Stralauer Jugendwerkhof-Durchgangsheim
  • Die teure Sparsamkeit

    Im internationalen Vergleich waren deutsche Städte immer sicher und frei von Slums. Das war die unmittelbare Folge einer großzügigen Wohnungsbauförderung, die wir uns Jahrzehnte lang geleistet haben. Wenn wir jetzt meinen, am Wohnungsbau sparen zu müssen, ist die Entstehung von Ghettos in unseren Städten vorprogrammiert. Und wenn die Finanzminister dafür die Folgekosten zu bezahlen haben, werden sie ihre Vorgänger verfluchen, also diejenigen, die heute an der Wohnungsbaupolitik sparen.

  • Gute Deutsche

    Montag, 31. Oktober 2011

    Mein Opa nannte es „Erziehung durch Beschämung“, wenn er uns statt Strafe Süßigkeiten gab.

    Marcus Jauer schreibt über den klassischen Umtauschbetrug kurz vor der Währungsunion, in der Druckausgabe vom Wochenende hieß der Text noch einfach „Danke!“