[Sind solch dröge Überschriften besser?]
Am 9. April hat Bundesbauminister Tiefensee angekündigt, 620 Millionen Euro für die Fortsetzung des Programms Stadtumbau Ost bereitzustellen. Tiefensee hat Erfahrung mit diesem Programm — er war bis vor kurzem Oberbürgermeister von Leipzig.
In Leipzig werden seit einigen Jahren mit Steuergeldern großflächige Abrisse von Bauten des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts finanziert. Das ist besonders tragisch, weil diese einmaligen Häuser zu DDR-Zeiten zwar verfielen, nach der Wende jedoch noch fast vollständig erhalten waren. Kraß auch, daß eine der Forderungen von 1989 der Erhalt der Bausubstanz war, die jetzt von einem Bauminister, der Leipziger Freiheit beschwört, mit vernichtet wird, gründlicher als es die DDR gekonnt hätte.
Arnold Bartetzky schreibt heute anläßlich der neulich stattgefundenen Demonstration in einem ausführlichen Artikel in der FAZ (Schluß mit den Märchen, S. 37):
[…] längst pfeifen es die Spatzen von Leipzigs Dächern, daß die [städtische Wohnungsbaugesellschaft] LWB, um sich potentielle Konkurrenten auf dem heißumkämpften Wohnungsmarkt vom Hals zu halten, einen Großteil ihrer unsanierten Häuser ohne Rücksicht auf ihren Denkmalwert lieber planmäßig dem Verfall und schließlich der Abrißbirne überläßt, als sie zu einem marktüblichen Preis an sanierungswillige Investoren zu verkaufen.
[…]
Daß diese perfide, von der Stadt als dem einzigen Gesellschafter der LWB unterstützte Strategie nicht nur die beherrschende Stellung des Unternehmens auf dem Immobilienmarkt stabilisiert, sondern auch bares Geld in seine Kassen spült, ist dem milliardenschweren Abrißprogramm namens “Stadtumbau Ost” zu verdanken: Mit einer Pauschalprämie von zur Zeit sechzig Euro pro Quadratmeter Wohnfläche werden die meisten Abrisse in Ostdeutschland von der öffentlichen Hand finanziert. Gerade im Falle der freistehenden Bauten in der Zerbster Straße, die sich ohne besonderen Sicherungsaufwand großflächig einstampfen lassen, dürfte diese Summe die tatsächlichen Kosten deutlich übersteigen. Zudem wird die LWB für ihren Vandalismus vom Bund mit einem Erlaß der auf dem Grundstück lastenden Altschulden belohnt, so daß sie die Brachfläche nach der Selbstbereicherung aus Steuergeldern gewinnbringend veräußern kann.
Die geplante Vernichtung des Eutritzscher Ensembles bezeichnet den Höhepunkt einer neuen Abrißwelle, die Leipzig derzeit überrollt. Schon in den letzten Jahren hat die Stadt, vor allem durch eine verfehlte Baupolitik und Praktiken der LWB, unzählige Baudenkmäler vom Spätklassizismus bis zur Jahrhundertwende verloren. Angesichts des steigenden Widerstands in der Bevölkerung und der zunehmenden Sensibilität der Lokalpresse keimte kurz die Hoffnung auf, daß der Aderlaß eingedämmt werden könnte. Doch nach der Winterpause erlebt die Leipziger Abbruchindustrie, nicht nur dank der LWB, eine neue Blütezeit. So wurde vor einigen Tagen in der schon zuvor durch unsinnige Verbreiterungspläne verwüsteten Friedrich-Ebert-Straße zum allgemeinen Entsetzen das sogenannte Märchenhaus, einer der prachtvollsten großbürgerlichen Jahrhundertwendebauten Leipzigs mit einer in ihrer historistischen Überschwenglichkeit deutschlandweit einzigartigen Fassade, in einen Schutthaufen verwandelt. Ein weniger spektakuläres, aber für das Stadtbild noch wichtigeres Haus aus der frühen Gründerzeit wird gerade am Dittrichring, direkt gegenüber der Thomaskirche, nach einem Teileinsturz niedergelegt.
Während den beiden Bauten wegen ihres ruinösen Zustands und des Bankrotts beziehungsweise der Unfähigkeit ihrer Besitzer schon lange kaum Rettungschancen eingeräumt wurden, ließe sich zumindest die Fassade eines ebenso zentral gelegenen, im LWB-Besitz befindlichen Gründerzeithauses in der Käthe-Kollwitz-Straße ohne weiteres erhalten. Doch die Stadt denkt gar nicht daran, sich den Wünschen des Investors zu widersetzen, der das Gebäude vollständig für einen Erweiterungsbau der benachbarten Medica-Klinik abbrechen will. Ein weiteres schockierendes Beispiel für die Preisgabe eines Kulturdenkmals für kurzsichtige Investoreninteressen bietet der vor einigen Wochen erfolgte Abriß der 1909 errichteten Wagenhalle im ehemaligen Straßenbahnbetriebshof Reudnitz. Die älteste Stahlbetonhalle Leipzigs mußte einem Supermarkt weichen, obwohl sie mit vertretbarem finanziellem Mehraufwand in das Projekt hätte integriert werden können.
[…]